Öffentlich-rechtlicher Rundfunk:Eurosport muss die Distanz zum Sport wahren

Peking 2008 - Regieraum von ARD und ZDF

Etwa 400 Mitarbeiter von ARD und ZDF berichteteten von den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Damit ist nun Schluss.

(Foto: dpa)

Inszenierung, Doping, Ränkespiele - ARD und ZDF machen die dunklen Seiten des Leistungssports zum Thema. Die Ankündigungen des neuen Rechteinhabers klingen eher nach Kuschelkurs.

Von Holger Gertz

Nach sechzig Jahren wird es keine Olympischen Spiele im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mehr geben, was 1956 in Cortina d'Ampezzo begann, endete 2016 in Rio de Janeiro. Der Begriff Ära wird ja bei jeder Gelegenheit strapaziert, aber sechzig Jahre eine Ära zu nennen, ist ausnahmsweise nicht übertrieben. Von 2018 an kommen die Spiele beim Spartensender Eurosport.

Wenn eine Ära endet, entwickeln viele Menschen sentimentale Gefühle, und für manche ist es ein Schock. Es fühlte sich also in dieser Woche kurz so an, als hätte man verkündet, die Mainzelmännchen würden nach 53 Jahren vom ZDF zu Comedy Central wechseln. Das allerdings wäre in der Tat ein Kracher gewesen, denn die Mainzelmännchen sind so sehr öffentlich-rechtlich, sie sollen bitte bleiben. Es gibt weder fürs ZDF noch für die Mainzelmännchen einen Grund, etwas zu ändern.

Die Verbindung von ARD und ZDF zum olympischen Betrieb dagegen ist schon länger belastet. Und die Trennung jetzt mag schmerzhaft sein, eine Zäsur. Aber sie ist folgerichtig, sie kann eine Befreiung sein für die Öffentlich-Rechtlichen. Vor allem: Sie klärt die Verhältnisse.

Olympia als Heils- und Segenbringer - so wird es von Offiziellen verkündet und verfügt

Wer als Journalist bei Olympischen Spielen ist, muss immer zweigleisig unterwegs sein. Von Sportergebnissen berichten und gleichzeitig davon, wie sie zustande kommen. Inszenierungen beschreiben und manchmal auch bestaunen, aber dabei im Blick haben, wem sie dienen, was sie kosten, wen sie täuschen. Ein Beispiel, frisch aus Rio. Bei der Eröffnungsfeier steht der IOC-Präsident Thomas Bach auf dem Podium und ruft den Brasilianern zu: "Ihr habt das wunderschöne Rio de Janeiro in eine moderne Metropole verwandelt."

Das ist die Geschichte, die die Oberolympier immer erzählen, Olympia als Heils- und Segensbringer, als Katalysator, so steht es auf Transparenten, so steht es in Redemanuskripten, so wird es von Offiziellen verkündet und verfügt. Journalisten müssen dann das, was gepredigt wird, in Beziehung setzen zu dem, was sie sehen: Was haben die Brasilianer davon, wenn bei Olympia auch Golf gespielt wird, aber in Krankenhäusern der modernen Metropole fällt die Klimaanlage aus. Was haben die Favela-Bewohner davon, wenn sie von oben auf die moderne Metropole schauen und sehen, wie das überall fehlende Geld in Form eines schönen Feuerwerks in die Luft gejagt wird.

Dass auch und gerade Schönheit Zynismus sein kann, lernt jeder Berichterstatter bei Olympia als Allererstes.

In Deutschland - und übrigens nicht nur dort - hat sich ein kritischer Blick auf Leistungssport und die olympische Inszenierung etabliert, vor allem in der Presse und im Netz. Es war ein langer Weg. Einige wenige Print-Journalisten fassten Anfang der Neunziger als Erste hartnäckig nach und förderten von Doping bis Bestechung und Korruption genügend Berichtenswertes zutage, seit dem Aufkommen des Internets recherchieren Blogger und zeigen Original-Dokumente.

Im Ersten radelten die Fahrer vom Team Telekom mit der ARD-1 auf dem Trikot

Lange begegneten die schreibenden Journalisten den öffentlich-rechtlich Sendenden mit gepflegter Geringschätzung: Wer so viel Geld für die Rechte raushaut, wird sich die Übertragungen dann ja kaum selber schlechtreden (ein Dilemma, in dem Schreiber zugegebenermaßen nicht stecken). Tatsächlich wurde die noch in den Achtzigern recht rebellische ZDF-Sportredaktion immer zahmer, der Sportspiegel flog aus dem Programm, und ständig trat der marktschreierische Wolf-Dieter Poschmann ins Bild. Im Ersten radelten die Fahrer vom Team Telekom mit der ARD-Eins auf dem Trikot durch das auch landschaftliche reizvolle Panorama bei der Tour de France.

Die Sportberichterstattung im Öffentlich-Rechtlichen hat finstere Zeiten hinter sich, und noch immer kam und kommt im Fernsehen viel seichtes Zeug. Das ZDF-Olympiastudio hat sich den Beinamen Friedhof der Kuscheltiere verdient, wegen der Plüschfiguren, mit denen Gäste dort bedacht werden. Ein weicher Wolf im warmen Winter von Sotschi, zuletzt ein wahrhaftiger Tukan in Brasilien, dem die Fernsehzuschauer einen Namen geben durften, sie nannte ihn MaRio.

Abseits solcher Kindereien hat sich in den letzten Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen allerdings viel entwickelt: die Erkenntnis, den Sport nicht als Show zu begreifen, sondern ihn ernst zu nehmen, auch in seinen Abgründen ernst. Und nicht Teil des Betriebs sein zu wollen, nicht Mitläufer. Sport inside vom WDR liefert wichtige Hintergründe, nicht nur vor der Wahl von Bach zum IOC-Chef hatten sie ein angemessen wuchtiges Stück.

"Olympia steht kurz davor, sich selbst zu zerstören"

Im ZDF-Sportstudio gab es neulich, moderiert von Jochen Breyer, eine Diskussionsrunde zum sperrigen Thema Sportförderung. Und am Ende der Olympischen Spiele in Rio hämmerte Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, den Olympiabossen einen Kommentar an die Schlosstür, dessen letzte Sätze gern im Ganzen zitiert werden sollen: "Olympia steht kurz davor, sich selbst zu zerstören. Durch halbherzigen Anti-Doping-Kampf, Korruption bis in den innersten Machtzirkel des IOC, Überforderung der Gastgeber. Betrug an Sportkollegen und Betrug an den Fans und Zuschauern. Das macht die Idee kaputt."

Keine ganz neue Erkenntnis, trotzdem bemerkenswert klar formuliert vom Chef eines Senders, der die Rechte noch hatte.

Das richtig schwere Brett war die Recherche eines anderen Mitarbeiters der Öffentlich-Rechtlichen. Hajo Seppelt legte mit der ARD-Dopingredaktion das System des russischen Staatsdopings frei. Wegen Seppelts inzwischen preisgekrönten Recherchen erst kamen bei Olympia in Rio all die Debatten auf, und die massive Kritik an Bach und dem IOC: Warum dürfen so viele Russen starten? Warum aber nicht die Whistleblowerin Stepanowa, die Seppelt vom staatlich gelenkten Dopingsystem berichtet hatte? Welche Nähe der Olympier zu Putin gibt es eigentlich?

So viel zum gewachsenen Verhältnis der Öffentlich-Rechtlichen zum IOC.

Um dem Sport gerecht zu werden, braucht man Distanz zum Sport

Aber von 2018 an überträgt im Fernsehen, im Netz und auf den mobilen Endgerätern ja nun der private Spartensender Eurosport, der den Begriff Sport im Namen trägt wie ein Versprechen. Oder wie eine Drohung. Eurosport ist eine Tochter des US-Broadcasters Discovery. Dass Sportkenner dort arbeiten, bezweifelt niemand, aber um ein komplexes Phänomen wie Olympia zu verstehen, um den Sport also ernst zu nehmen, braucht man Kenntnisse in Juristerei und Medizin, inzwischen auch in der Wirkkraft von Propaganda, und in politischen Zusammenhängen sowieso.

Wer steckt hinter Eurosport?

Der Spartensender Eurosport gehört zum amerikanischen Medienkonzern Discovery Communications. Deutschland ist nur einer von zahlreichen europäischen Märkten des Sportkanals. Eurosport ist hierzulande frei zu empfangen, genauso der Kanal DMAX, auf dem auch Olympia-Bilder gezeigt werden sollen. Der verschlüsselte Sender Eurosport 2 kann nur mit einem Decoder empfangen werden und muss ebenso bezahlt werden wie die Nutzung der Online-Plattform Eurosport Player. Neben den Live-Rechten für Olympia von 2018 bis 2024 hatte Discovery zuletzt die Rechte für die Freitagsspiele der Fußball-Bundesliga von der Saison 2017/2018 an erworben. Discovery Communications wurde 1985 in Silver Spring im US-Bundesstaat Maryland gegründet und hält seit Mai 2014 die Mehrheit an Eurosport International. Mittlerweile erreicht die Gruppe nach eigenen Angaben weltweit insgesamt 2,9 Milliarden Kunden in mehr als 220 Ländern.

Wer weiß, wie der Skispringer eine Telemark-Landung vernünftig hinbringt, ist ein Experte, wird dem Sport als Ganzem aber nicht gerecht. Um dem Sport gerecht zu werden, braucht man Distanz zum Sport, die die öffentlich-rechtlichen Sender ganz am Ende ja teilweise hatten. Sie werden nichts mehr von Olympia bringen, aktuell haben sie offenbar nicht mal Rechte für Kurzberichte in den Nachrichten.

Discovery aber? Nachdem die Vereinbarung mit dem IOC besiegelt worden war, sagte CEO David Zaslav: "Das ist eine echte Partnerschaft, eine Partnerschaft, die auf einer gemeinsamen Philosophie fußt. Discovery steht für qualitativ hochwertige Inhalte und tolle Geschichten. Wir wollen Menschen inspirieren. Und darum geht es ja auch bei den Olympischen Spielen."

Wie will einer, der sich als Partner begreift, Distanz haben? Was bedeutet dieses auch von Olympiern benutzte Gummiwort "inspirieren"? Und was sind noch mal diese tollen Geschichten?

Zum Beispiel jene von der erwähnten Läuferin Julia Stepanowa, die eine eigene Dopingsperre abgebüßt hatte und dann ausgepackt hat über das Dopingsystem in Russland. Wer hätte mehr für einen sauberen Sport getan als sie? Eine tolle Story, Julia Stepanowa hätte sie von allen Podien erzählen können in Rio. Und eine wie sie laufen zu sehen, wäre tatsächlich inspirierend gewesen, in dem Sinne, dass Mut am Ende doch belohnt wird.

Allerdings kam es dann anders, ihr Mut wurde vom IOC nicht belohnt, sie durfte in Rio nicht starten: Sie erfülle nicht die ethischen Anforderungen.

Das IOC erzählt seine Geschichten inzwischen sogar selbst, es gibt im Netz den Olympic Channel. In Rio wurde das Angebot vorgestellt, zum Beispiel wurde der amerikanische Meisterschwimmer Michael Phelps mit dem altgriechischen Meisterläufer Leonidas von Rhodos verglichen: wer der bessere Athlet sei. Das kann man dem Publikum als selbstdefinierte tolle Geschichte verkaufen, vor allem, wenn keiner mehr da ist, der von außen etwas Störendes reinruft. Nochmal Peter Frey, der ZDF-Chefredakteur sagte in seinem Kommentar das zu Phelps, was gesagt werden musste: "Bei Dauermedaillensammlern wie Phelps oder Bolt schwamm oder rannte der Verdacht immer mit."

Die Distanz der Öffentlich-Rechtlichen zu Olympia wird in Zukunft sehr groß sein

Ist es schlimm, dass Olympia aus dem Programm der Öffentlich- Rechtlichen verschwindet? Der ehemalige BR-Sportchef und Olympia-Veteran Werner Rabe hat gerade der tz gesagt, er sei traurig, dass man sich nicht habe einigen können. "Olympia schauen Alt und Jung, es ist eines der letzten Lagerfeuer." Was Feuer angeht, kennt er sich aus: Vor Sotschi 2014 nahm er am Olympia-Fackellauf teil.

Würde man sich als Öffentlich-Rechtlicher heute auch zweimal überlegen, Stichwort Distanz.

Die Distanz der Öffentlich-Rechtlichen zu Olympia wird in Zukunft sehr groß sein, aber Sport findet nicht nur bei den zwei Wochen Olympia statt. ARD und ZDF werden weiter Sport zeigen, und was Olympia angeht: Zu Korruption, Doping und anderen Verstrickungen werden sie weiter recherchieren, sie müssen erst recht keine Rücksichten mehr nehmen. Das ist eine Chance für den Sportjournalismus.

Und was das Lagerfeuer angeht, nach allem, was zuletzt bei Olympia passiert ist: Man müsste schon ein Zyniker sein, um sich daran wärmen zu wollen.

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