Lena-Entdecker Stefan Raab:Rotz und Ruhm

Einst war Stefan Raab der Schmuddeljunge im deutschen Fernsehen. Nach dem Sieg, den sein Schützling Lena beim Eurovision Song Contest eingefahren hat, droht der gelernte Metzger ernsthaft zum deutschen Darling zu werden. Wie konnte das geschehen?

Hans Hoff

Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte man viele Leute allein mit der Erwähnung des Namens Stefan Raab auf die Palme bringen. "Hör mir auf mit dem", lautete noch die harmloseste Entrüstungsform, und es gab tatsächlich Haushalte, in denen es Gästen verboten war, beim Zappen länger als eine Sekunde in Raabs Sendung zu verweilen. Fast jeder konnte dort erzählen, dass der Pro-Sieben-Moderator doch der ist, der reihenweise Scherze für verklemmte Jungs absondert und Quote machte mit medienunbeholfenen Menschen, die das Wort Maschendrahtzaun merkwürdig aussprachen. Und der schon Zehntausende Euros an seine Opfer zahlen musste, über die er sich lustig machte, zum Beispiel, weil sie Lisa Loch heißen.

Heute muss man schon lange suchen, bis man jemanden findet, der Raab noch leidenschaftlich hasst. Die Abneigung ist indes nicht unbedingt der großen Liebe gewichen. Eher einem gehörigen Respekt für die Leistung dieses 43-Jährigen, der sich mit den Jahren vom rabiaten Rumpelkomiker zum Good Guy vom Dienst gewandelt hat, und den die ARD schließlich für eine Kooperation beim Eurovision Song Contest einkaufte - und Raabs junges Publikum gerne gleich dazu.

Wenn RTL in der Sendung Schwiegertochter gesucht hilflose Menschen vorführt, macht sich Raab heute einen Spaß daraus, die dahinter liegenden Mechanismen offenzulegen und den Machern etwas ins Poesiealbum zu schreiben. "Liebe Leute bei RTL", sagt er dann: "Für so was kommt man in die Hölle." Und anhand seiner ESC-Aktivitäten probt er dann noch die Beschreibung eines guten Programms. "Die Menschen waren alle glücklich. Das ist das Ziel von Unterhaltung." Raab der Glücklichmacher.

Nach dem Sieg, den sein Schützling Lena beim Eurovision Song Contest eingefahren hat, droht der gelernte Metzger ernsthaft zum deutschen Darling zu werden. Schließlich hat er die hierzulande leichengleich am Boden liegende Bedeutung des ESC mit Phantasie und großer Ernsthaftigkeit reanimiert. Dass sich daraus eine neue Art von nationalem Schlagerselbstbewusstsein entwickeln würde, konnte der Erwecker kaum ahnen, als er loslegte. Aber Musik ist ihm nun mal mehr als nur ein Hobby. Musik ist ihm immer auch Anliegen. Manche möchten ihm deshalb schon das Bundesverdienstkreuz nachtragen, das er dann zu seinen vielen Fernsehpreisen stellen könnte. "Ach Leute", sagt er dann.

Raab ist kein Typ für große Nähe. Die birgt schließlich die Gefahr, dass man etwas mehr kennen lernen könnte als nur den auf der Bühne präsentierten Star, hinter dessen Image sich der wahre Raab prima verstecken kann. Dass er eine Frau hat, dass er Vater ist, alles kein Thema fürs grelle Licht. Und erst recht nicht für die Bild-Zeitung, der sich Raab aus Prinzip verweigert. Auch die von RTL kommen nicht näher an ihn ran als bis vor das kalte Glas des Bildschirms. Seiner Entdeckung Lena hat er zu dieser Taktik ebenfalls geraten, und zusammen demonstrieren die beiden nun die Überflüssigkeit des gängigen Quatschjournalismus.

Man muss immer auf der Hut sein, lautet Raabs Maxime.

"Gänsehaut im Gesicht"

Deshalb nennt er Pro Sieben "meine große Liebe", macht seinem Haussender aber gleich deutlich, dass dieser daraus keine allzu großen Ansprüche ableiten sollte. "Man darf sich niemals so an jemanden binden, dass man keine Möglichkeit mehr hat, Urlaub zu machen", sagt er.

Mehr als 20 Millionen Menschen haben am vergangenen Sonntag kurz nach Mitternacht im Ersten gesehen, wie Raabs Maske beinahe gefallen wäre. Raab hat das Grinsen nicht mehr vom Gesicht bekommen und wirkte doch seltsam unbeholfen, als ihm klar wurde, dass er Deutschland zum Sieg beim Eurovision Song Contest geführt hat.

Am Montag nach dem Sieg gab er sich in seiner Sendung TV total fast weich. "Ich gebe zu, ich war auch ein bisschen gerührt", sagte er. Die Begeisterung der Menschen in Oslo und beim Empfang in Hannover hat ihn zusätzlich mitgenommen. Es war eine neue Erfahrung für ihn, so offensichtlich und ehrlich bejubelt zu werden. "Ich hatte Gänsehaut im Gesicht", gestand er später. Mehr Emotion ließ er nicht zu, aber für einen wie Raab war das schon viel. Es ist ungefähr so wie mit der Scherzfrage von Moderator Matthias Opdenhövel, der Raab aus jahrelanger Zusammenarbeit kennt: "Stefan, hast du dich in deinem Leben jemals schon so geliebt gefühlt, außer kurz nach deiner Geburt?", fragte er in Hannover. Raab sagte gar nichts.

Zu offensichtlich geliebt zu werden, scheint nicht sein Ding zu sein. Aber er muss es jetzt aushalten. "Ohne dich wäre das alles nicht so unfassbar groß geworden", preist ihn Pro-Sieben-Sat-1-Fernsehvorstand Andreas Bartl und sorgt für ein verlegenes Lächeln. Wenn NDR-Intendant Lutz Marmor ihm Professionalität und Behutsamkeit attestiert, kann er schon mehr damit anfangen. Auf der Arbeitsebene fühlt Raab sich wohl. Da kennt er sich aus. Da verfolgt er seine Phantasien und eine klare Strategie.

Stefan Raab selbst sagt: "Wer versucht, das Phänomen Stefan Raab zu erklären, dem sage ich: Wir haben gute Ideen, und wir arbeiten hart daran. Das macht den Erfolg aus. Wenn wir keine guten Ideen mehr haben, wird uns keiner mehr gucken." Und das war vor zehn Jahren.

Damals hatte der ehemalige Viva-Moderator nur seine Sendung TV total, und die lief einmal pro Woche, nicht viermal. Da hatte er noch nicht das bahnbrechende und seit 2006 enorm erfolgreiche Format Schlag den Raab erfunden. Da hatte er noch nicht in überaus ernsthaft und bewusst unspektakulär organisierten Castingshows Musiker entdeckt wie Max Mutzke und Stefanie Heinzmann. Oder Fernsehevents erfunden wie die Wok- WM, Das große Turmspringen oder die an diesem Freitag wieder anstehende Autoball-Weltmeisterschaft, bei der Menschen mit ihren Fahrzeugen einen mannsgroßen Ball ins Fußballtor schieben müssen. Was bei anderen Sendern als bestenfalls versponnene Idee abgelegt würde, geht bei Pro Sieben leicht durch. Wenn es von Raab kommt.

Galionsfigur für Pro Sieben

Er weiß sehr genau, was er tun muss, um das von ihm gewünschte Bild zu erhalten. Und er lässt manches auch. "Ich singe nicht mehr. Das ist vorbei. Da sehe ich scheiße aus", hat er erkannt. Er macht eben nur das, was er kann. Und das kann er inzwischen richtig gut. Für Pro Sieben ist Raab heute eine Galionsfigur, die dem Sender nicht nur monatlich durchschnittlich mehr als 20 Sendestunden füllt und gute Quoten bringt, sondern auch das Image des innovativen Kanals poliert. Seine vielleicht erstaunlichste Sendung ist die TV total Bundestagswahl, die inzwischen zwei Mal am Samstag vor den Parlamentswahlen stattfand. Dazu gehört eine Publikumsabstimmung und die Runde mit Vertretern der Parteien. Ernsthafter hat noch keiner Demokratie und Spaßfernsehen zusammengebracht.

Stefan Raab ist für Pro Sieben vielleicht noch wichtiger als es Günther Jauch für RTL ist - auch wenn die Art der beiden höchst unterschiedlich ist. Selbst mit Thomas Gottschalk, dem von ihm sehr respektierten großen Unterhalter der älteren Generation, will Raab nicht verglichen werden. Als ihm ein Journalist an diesem Montag wieder einmal dessen Nachfolge bei Wetten, dass..? vorschlug, war Raab froh, dass ihm der ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber zur Seite sprang. "Stefan Raab ist nicht Thomas Gottschalk, und Thomas Gottschalk ist nicht in der ARD. Und das ist auch gut so", sagte Schreiber. Das markiert das Revier, in dem die gefeierte Gestalt von Pro Sieben nach den Vorstellungen des Ersten in Zukunft bitteschön bevorzugt wildern soll: nicht im ZDF.

Man weiß in der öffentlich-rechtlichen ARD mindestens ebenso gut, was man an Raab hat, wie bei Pro Sieben. Er schmeißt sich mit ganzer Kraft in die von ihm gesuchte Aufgabe. Er gibt alles, auch wenn er sich dabei eine blutige Nase holt. Wie das geht, konnte man kürzlich wieder mal in seiner Show Schlag den Raab erleben. Da stürzte er schwer mit seinem Mountainbike und fiel aufs Gesicht. Knochen brachen, Haut platzte auf, kurz war er sogar ohnmächtig. Jeder andere hätte in so einem Moment abgebrochen. Raab machte weiter. Die ARD erklärt ihren blonden

Volksmusikmoderator Florian Silbereisen schon zum Helden, wenn er mal mit dem Fallschirm abspringt und dann losmoderiert. Für Raab wäre das eine Unterforderung.

Natürlich ist der Kölner mit all den Aktivitäten reich geworden. Er fertigt seine Shows mit der eigenen Firma und ist über Beteiligungen fest mit dem Mutterhaus Brainpool verbunden. Er produziert die von ihm entdeckten Musiker, er schreibt ihnen Lieder, er profitiert davon, wenn Schlag den Raab ins Ausland verkauft wird.

Das Image der Rotznase von nebenan hat er sich trotzdem erhalten. Zu viel Liebe wäre da schädlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: