"Hart aber fair" in der ARD:Plasberg-Talk: Fünf gegen Alice Weidel

Titel: 'Der Bürgercheck zur Wahl: Was muss sich ändern bei Sicherheit und Zuwanderung?'; Hart aber fair, ARD

Versuchten Alice Weidel von der AfD zu entlarven: Cem Özdemir, Nikolaus Blome, Omid Saleh, Joachim Herrmann und Frank Plasberg (von links nach rechts).

(Foto: ARD)

Im "Bürgercheck" zu Sicherheit und Zuwanderung müht sich die Runde an der AfD ab. Der Moderator lobt Bayern noch mehr als Joachim Herrmann und ein Student stellt unangenehme Fragen.

TV-Kritik von Matthias Kolb

Ein Bundestagswahlkampf stellt nicht nur die Ausdauer von Politikern auf die Probe. Konzentriert und kreativ müssen sie sein, über alle Themen informiert und zugleich nah dran an den "normalen" Menschen, um deren Stimmen sie werben. Auch die Redaktionen der TV-Talkshows stehen vor einer Herausforderung: Wie sorgt man dafür, dass bei oft identischen Politiker-Runden doch noch etwas Überraschendes rauskommt? Oft setzt man auch hier auf "normale" Bürger und manche von ihnen bleiben etwas länger im Rampenlicht als die Spitzenkandidaten in solchen Fernsehformaten zur Beantwortung der Zuschauerfragen brauchen.

Dass Omid Saleh am Montagabend bei Hart aber fair zu Gast ist, hat er einem anderen Auftritt zu verdanken. Eine Woche zuvor hatte der Student und Sohn iranischer Eltern in der ARD-Wahlarena mit Angela Merkel geschildert, dass er einer "Hasswelle" ausgesetzt sei und die Bundeskanzlerin gefragt, was sie gegen Rassismus und Ausgrenzung in Deutschland tue. Merkel sagte damals nicht konkret, wie man Vorurteile und Ressentiments bekämpfen könne - sie würdigte nur, dass der 22-Jährige momentan "eine Menge Mut" brauche.

Ob sich Omid Saleh bei seinem Hart aber fair-Auftritt besonders mutig vorkommt, weiß nur er selbst. Die Diskussion zur Frage "Was muss sich ändern bei Sicherheit und Zuwanderung?" bereichert er auf alle Fälle. Angesichts des Themas ist es wenig überraschend, dass sich die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel sehr viel Kritik anhören muss. Nikolaus Blome, Politik-Chef der Bild, hält ihrer Partei "Zynismus im Kleingedruckten" vor: Es sei weltfremd zu denken, dass jedes Folteropfer seinen Pass mitbringen (oder sich einen besorgen) könne, bevor er oder sie fliehe.

Die seltsamen Zahlen der AfD

Als Weidel behauptet, dass Deutschland mittlerweile "ein Auswanderungsland für Hochqualifizierte und Zuwanderungsland für niedrigqualifizierte Menschen" sei, wirft ihr der Grünen-Chef Cem Özdemir eine perfide Strategie vor: "Sie machen unser Land so schlecht, dass niemand mehr kommt." Es gebe hierzulande Tausende Studenten aus China und Indien - jenen Staaten, in denen Weidel große Sorge um die Sicherheit in Deutschland ausmacht. Moderator Frank Plasberg, der am liebsten die 38-Jährige unterbricht, kontert Weidels Aussage so: "Glauben Sie, dass ein internetfähiger Inder gerne nach Deutschland kommt, wenn er liest, was die AfD vorhat?"

Solche Sprüche lächelt Weidel locker weg und es stört sie auch nicht, dass Plasberg, Blome und CSU-Innenminister Joachim Herrmann ihre Zahlen zum Familiennachzug als übertrieben entlarven. Die AfD warnt vor zwei Millionen Menschen, die als Angehörige von anerkannten Flüchtlingen in die Bundesrepublik kommen dürften. Laut Auswärtigem Amt werden 2017 zwischen 120 000 bis 125 000 Personen als Familienangehörige einreisen; und von März 2018 an seien insgesamt 390 000 Menschen berechtigt, Ehepartner oder Kinder zu sich zu holen. Laut Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre kommt pro Flüchtling eine Person. Die AfD-Spitzenfrau sagt nur: "Wir werden ja sehen."

Schwieriger wird es für Alice Weidel jedoch, als der zwei Stühle neben ihr sitzende Omid Saleh aus seinem Alltag berichtet. Er nennt die Flüchtlingspolitik der großen Koalition "ein bisschen chaotisch", und sagt klar: "Die AfD benutzt eine Rhetorik, die die Leute heiß macht, ihre Probleme auf Ausländer zu schieben." Der Rassismus habe zugenommen, sagt Saleh, und berichtet von einem Erlebnis an einer Bushaltestelle am Münchner Arabellapark. Dort habe ihn ein Mann länger beobachtet und dann gefragt: "Bist du ein Terrorist oder ein Mörder?"

Anschließend richtet Saleh eine Frage an Alice Weidel: "Was wollen Sie tun, damit ich mich nicht ausgeschlossen fühle?" Die AfD-Frau druckst herum und nennt den Studenten "Opfer einer verkorksten Wahrnehmung", für die allerdings die "verkorkste Flüchtlingspolitik" verantwortlich sei. Der Grüne Özdemir sagt, dass es vielleicht helfen würde, wenn ihr Ko-Spitzenkandidat Alexander Gauland nicht darüber reden würde, die türkischstämmige SPD-Politikerin Aydan Özoğuz "zu entsorgen" (hier läuft ein Verfahren wegen Volksverhetzung). Von diesen Worten distanziert sich Weidel auch an diesem Abend nicht, aber anders als neulich im ZDF verlässt sie immerhin nicht frühzeitig das Studio.

Plasbergs plötzliche Liebe zu Bayern

Allerdings bringt Saleh auch andere Politiker ins Schwitzen. Als es um Abschiebungen geht, ist der Grüne Özdemir klar in der Minderheit. Natürlich seien Vergewaltigungen "unerträglich", aber auch Straftäter dürften nicht in Länder wie Afghanistan abgeschoben werden, wenn diese nicht sicher seien. Das sieht Saleh nicht so: "Leute, die so etwas machen, gehören abgeschoben. Die missbrauchen unseren Schutz. Sie beschädigen das Ansehen von Deutschen mit Migrationshintergrund."

Und sonst? Joachim Herrmann, der als künftiger Bundesinnenminister gehandelt wird, nutzt wie in den Wochen zuvor jede Gelegenheit, um Bayern als das sicherste aller Bundesländer zu loben. "Können wir einfach pauschal sagen, dass Bayern am besten ist?" fragt der genervte Moderator Frank Plasberg und kommentiert ein späteres Selbstlob des CSU-Politikers ("In Bayern nimmt die Kriminalität keinesfalls zu") mit: "Weil Sie spitze sind!"

Gegen Ende der Sendung geht es um eine Bürgerfrage: Braucht Deutschland "als faktisches Einwanderungsland" nicht endlich ein Einwanderungsgesetz, um den künftigen Zuzug besser zu regeln? Ohne ins Detail zu gehen, stimmen alle Politiker und Bild-Journalist Blome zu. So denkt auch Omid Saleh, aber er vertritt eine pragmatischere Lösung: "Wer sich gut integriert hat und in Berufen arbeiten will, wo es an Bewerbern fehlt, der sollte doch hierbleiben können." Dieser Vorschlag könnte gerade im Bereich Pflege, einem plötzlich wichtigen Thema im Wahlkampf, demnächst eine Rolle spielen.

Auch diese TV-Talkshow wird nur bei wenigen Zuschauern zu einer Meinungsänderung geführt haben. Wer Alice Weidel vorher kritisch sah und der AfD Panikmache und Fremdenfeindlichkeit vorwarf, wird nun ähnlich denken. Und die bisherigen AfD-Wähler dürfte kein Argument der fünf Männer zum Umdenken gebracht haben.

Ganz zum Schluss fragt Moderator Plasberg, wie groß der Einfluss der Flüchtlingspolitik auf die Wahlentscheidung der Bürger am 24. September sein werde. Hier sind sich alle einig und variieren ein schlichtes "sehr wichtig" mit der Position ihrer Partei. Für Omid Saleh, den iranischstämmigen Studenten, bedeutet dies wohl, dass er weiter an Bushaltestellen und anderswo Anfeindungen erleben wird. Es wäre gut, wenn er Alice Weidel und anderen Politikern in einigen Monaten vor laufenden Kameras berichten würde, ob der Rassismus im deutschen Alltag abnimmt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: