Einfluss von Umfragen am Wahltag:"Das ist eine legitime Information"

Lesezeit: 2 min

Das sollte sich "von selbst verbieten", sagt Bundestagspräsident Lammert über die Wahlumfrage, die am Sonntag in der "BamS" erscheinen wird. Doch welchen Einfluss haben Umfragen überhaupt auf das Verhalten der Wähler? Ein Kommunikationswissenschaftler sagt: Gar keinen.

Von Matthias Kohlmaier

Angela Merkel bleibt Kanzlerin, die schwarz-gelbe Koalition regiert bis 2017 weiter. So könnte es am Sonntag kommen, sollten jüngsten Umfragen stimmen. Danach liegen Union und FDP gegenüber der Opposition knapp in Front. Glaubt man aber anderen Zahlen, dann käme es zu einem Patt Schwarz-Gelb und der derzeitigen Opposition aus SPD, Grünen und Linken.

Entgegen der Absprache mit der ARD hatte auch das ZDF eine Umfrage so dicht am Wahltag veröffentlicht. Am Freitag zogen FAZ mit Zahlen von Allensbach und RTL mit Daten von Forsa nach und am Abend dann noch Emnid, die Schwarz-Gelb hauchdünn vorn sieht, und in der "Welt am Sonnntag" erscheinen werden.

Ein Unding, finden viele. "Die täglichen Wasserstandsmeldungen der jeweils neuen Ergebnisse bis zum Wahltag halte ich nicht für eine Errungenschaft", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert gegenüber der Rheinischen Post. "Am Wahltag sollten sie sich von selbst verbieten." Schließlich sei eine "Verwechslung von Umfragen und Wahlergebnissen kaum zu vermeiden".

Bilanz von Schwarz-Gelb
:Merkels Minister im Check

Philipp Rösler, Kristina Schröder, Hans-Peter Friedrich: Wie hat sich das Kabinett aus CDU, CSU und FDP in den vergangenen Jahren gemacht? Die Wähler haben bereits abgerechnet, auch SZ.de zieht Bilanz - und fragt Sie nach Ihrer Meinung: Wer von Merkels Ministern hat gute Arbeit geleistet?

Von Thorsten Denkler und Michael König, Berlin

Wahlumfragen beeinflussen Wähler nicht

Völlig legitim, findet Frank Brettschneider. Der Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim zählt Wahl- und Einstellungsforschung zu seinen Hauptforschungsgebieten. Er hält Lammert entgegen: "Die Erregung wäre berechtigt, wenn Wahlumfragen Wähler manipulieren würden. Aber das tun sie nicht." Probleme könnten nur entstehen, wenn Umfrageinstitute nicht sauber arbeiteten, zum Beispiel zu wenige Menschen befragten oder Suggestivfragen verwendeten. Dafür sei Emnid nicht bekannt.

Das sieht Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner wenig überraschend ebenso. "Was die BamS am Sonntag veröffentlicht, ist keine Prognose, sondern eine Diagnose, und die dient der Aufklärung der Bevölkerung." Die letzten Interviews für die Umfrage seien am Freitagmorgen geführt worden, außerdem erarbeite man für jede Bild am Sonntag einen aktuellen Wahltrend. "Es hätte überhaupt keinen Sinn gemacht, das wegen der Bundestagswahl zu unterbrechen", sagt Schöppner.

Geheimnisse des SPD-Kanzlerkandidaten
:Zehn Dinge, die Sie noch nicht über Peer Steinbrück wussten

Methodik-Sauger, Rotwein-Zocker, Modellschiff-Sprenger: Wer ein bisschen forscht, entdeckt viel Kurioses über SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Eine Annäherung in Bildern.

Kommunikationswissenschaftler Brettschneider findet die Diskussion um Umfragen in der Nähe einer Wahl ebenso unsinnig. Das betrifft auch die ARD, die in der Woche vor der Bundestagswahl bewusst auf die Veröffentlichung neuer Zahlen verzichtet. Diese würden ohnehin nicht zur "Erhellung des Publikums" beitragen, wie WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn im taz-Interview behauptete. "Dieser Ansatz ist falsch", meint Brettschneider und lobt die Konkurrenz vom ZDF und ihr aktuelles Politbarometer.

"Was das ZDF gestern gemacht hat, ist ein Quantensprung in der Berichterstattung über Umfragen in Deutschland", sagt Brettschneider. Aus zwei Gründen: Es sei mehrfach explizit gesagt worden, dass es sich um ein Stimmungsbild, nicht um eine Prognose handle. Und in der Wahlgrafik seien Fehlerbandbreiten angegeben worden. Stand die Union dort bei 40 Prozent, so erklärte Moderator Theo Koll, dass das tatsächliche Ergebnis um "plus/minus drei Prozentpunkte" abweichen könne. "Ein unvermeidbarer statistischer Fehlerbereich", nannte Koll das.

41 Millionen "Bild"-Zeitungen gratis

Wenn Umfragen seriös durchgeführt werden, so sind sie selbst bis zum Wahltag sinnvoll, wie Brettschneider erklärt: "Das ist eine legitime Information, die die Wähler nutzen können und auch sollen."

Was die Beschwerde von Norbert Lammert gegen die Bams-Umfrage angeht, so stellen sich für den Kommunikationswissenschaftler andere Fragen: "Ist Norbert Lammert dagegen, dass am Wahltag Zeitungen erscheinen? Ist er dagegen, dass die Menschen am Wahltag miteinander reden? Auch das kann nämlich Auswirkungen auf die Wahlentscheidung haben."

Aber apropos Bild-Zeitung und Einfluss auf die Wahlentscheidung: Am Samstag vor der Wahl werden wieder 41 Millionen Gratis-Wahlausgaben des Springer-Blattes in den Briefkästen landen. Nicht zum Zwecke politischer Einflussnahme, so der Tenor des Editorials von Chefredakteur Kai Diekmann. Stattdessen fordert er: "Bleiben Sie nicht stumm. Bitte, gehen Sie wählen." Trotz dieses vernünftigen Vorschlags wird eine kritische Lektüre der Gratis-Zeitung gewiss nicht schaden.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: