ARD-Dokumentarspiel:Albert Göring, Bruder des Bösen

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Große Schauspieler, denen meist das Handwerk gelegt ist: Francis Fulton-Smith (l.) als Hermann und Barnaby Metschurat als Albert Göring. (Foto: NDR/Vincent TV/Beate Wätzel)

Die verblüffende und bisher kaum bekannte Geschichte von Albert und Hermann Göring - dieser Stoff mit Starbesetzung müsste ein Selbstläufer sein. Ist er aber ganz und gar nicht.

TV-Kritik von Bernd Graff

Das Dokumentarspiel Der gute Göring behandelt in fünf Akten, die etwas mehr als die fünfundzwanzig Jahre ab 1920 bis zum Ende des Krieges abdecken, die Geschichte von Hermann und Albert Göring. Der eine ist Hitlers Reichsfeldmarschall und Prunknazi, der unbekannte andere ist dessen kleiner Bruder und heute nahezu vergessen. Das ist erstaunlich, denn Albert rettete zahlreichen Juden und anderen von den Nazis Verfolgten das Leben.

So verwendet er sich kurz nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich für eine Frau, die man gezwungen hat, sich mit einem Plakat, auf dem "Ich bin eine Saujüdin" steht, in das Schaufenster ihres zerstörten Geschäfts zu setzen. Albert Göring nimmt der Frau das Schild ab, zeigt den SS-Leuten seinen Ausweis und kann mit ihr gehen. Das konnte er, weil eben auch er Göring hieß und er seinen Namen, wo immer es ging, blitzen ließ. Sehr zum Missfallen seines großen Bruders, der oft alle Hände voll damit zu tun hatte, den Jüngeren aus der Gestapohaft wieder rauszupauken und nazikompatible Erklärungen für die Motive seiner Bruders zu konstruieren.

Hermann Göring hat fast immer ein Kaffeetässchen in der Hand

Die Geschichte dieser so unterschiedlichen Geschwister birgt also Fernsehstoff vom Feinsten, sie mit ordentlicher Starbesetzung nachzuerzählen, müsste eigentlich ein Selbstläufer sein, meint man. Doch das ist sie hier ganz und gar nicht.

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Es liegt zum einen an den gestelzten Dialogen, die einen hohen, jedoch blutleeren Ton anschlagen. Francis Fulton-Smith, der Mann, der auch schon Franz Josef Strauß war, spielt Hermann Göring. Man hat ihn in Uniformen gesteckt, die eine Garnison von Operettenkapitänen glücklich gemacht hätte. Und Fulton-Smith weiß seinen Großen Dienstanzug mit soldatischem Ingrimm trefflich zu füllen, er behält sogar im heimischen Wohnzimmer die hohe Mütze auf. Außerdem hält er fast immer ein Kaffeetässchen in der Hand. Lebendig ist das nicht.

Bruder Albert wird von Barnaby Metschurat gespielt. Er ist ein Frauenschwarm und -held, elegant, aber leicht melancholisch, ein urbaner Filou der Weimarer Republik, ein Kaffeehausspezialist, der sofort die Nazis hasst, mit denen sein Bruder schon 1923 in München putscht, und der auch später nicht in deren Partei eintritt. Doch auch Metschurat spielt so verhalten, als ob er fürchte, die Bügelfalten könnten verknautschen.

Und doch ist die Geschichte famos. Was also lief in diesem Dokumentarspiel nicht ganz rund?

Das Problem steckt in dem synthetischen Genrebegriff, der historische Wahrheit und fiktionales Erzählen gleichberechtigt aufrufen will. Doch passen die beiden Ebenen hier einfach nicht zusammen. Man hört und sieht den historischen Hermann Göring - diesen Göring kennt man, und gegen ihn kommt der gespielte kaum noch an, die Übermacht an Bekanntem lässt eben wenig Spielräume. Ein Problem, das man weder Francis Fulton-Smith noch Barnaby Metschurat zum Vorwurf machen kann.

Eine Geschichte, die man unbedingt einmal in einem Spielfilm sehen möchte

Erst gegen Ende wird die kostümierte Statik durchbrochen: Jetzt spielen klasse Schauspieler. Albert Göring hat sich am 9. Mai 1945 nach der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen den Amerikanern gestellt und ist dann sehr darüber verwundert, dass er - natürlich aufgrund seinen Namens - sofort verhaftet wird. Er wird eine Liste mit 34 Namen derjenigen anlegen, die er vor den Nazis geschützt hat. Er bleibt trotz "Görings Liste" vorerst in Haft - wie sein Bruder.

Es kommt zu Unterredungen zwischen den beiden: Hermann zeigt keinerlei Reue, er weiß um sein Urteil und bittet nun den Bruder um Unterstützung für seine Frau und Tochter. Diese Dialogszenen sind großartig. Und großartiges Schauspiel.

Hermann begeht vor seiner Hinrichtung Selbstmord. Albert wird entlassen, kommt aber in den Nachkriegsjahren nicht mehr auf die Beine - natürlich wegen seines Namens. Verarmt stirbt er 1966. Eine Geschichte von zwei Brüdern, die man unbedingt einmal in einem Spielfilm sehen möchte.

Der gute Göring , ARD, Sonntag, 21.45 Uhr.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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