#MeToo als Generationen-Debatte:Jüngere und ältere Frauen müssten jetzt zusammenhalten

Meetoo Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische âĹbergriffe am 28 10 2017 in Berlin

Die #Metoo-Debatte ist vor allem ein Aufschrei junger Frauen.

(Foto: imago/Bildgehege)

Stattdessen streiten sie im Zuge der "#Metoo"-Debatte, ob sie in der Arbeitswelt bisher zu Opfern gemacht wurden. Das ist der Errungenschaften früherer Frauengenerationen nicht würdig.

Kommentar von Vera Schroeder

Ein älterer Mann und sein Fehlverhalten mögen die aktuelle "#MeToo"-Debatte ausgelöst haben. So, wie sie im Alltäglichen weitergetrieben wird, wie sie als Thema in den sozialen Medien, den Talkshows und auf den Bürofluren nicht abebbt, ist sie ein Aufschrei vornehmlich junger Frauen. Und sie macht neben Perspektivunterschieden zwischen Männern und Frauen auch Unterschiede zwischen Generationen sichtbar.

Wenn erfolgreiche Frauen, die ihre Karriere bereits (weitgehend) hinter sich haben, derzeit über das Thema Sexismus im Beruf sprechen, fällt ein Muster auf: Erst wird gerne und genau von all den Härten erzählt, mit denen sie sich auf dem Weg nach oben auseinandersetzen mussten. Wenn es dann um eine Einschätzung der aktuellen Debatte geht, wird es merklich stiller.

Frauen, die zunächst lebendig die sexistischsten Begegnungen mit Männern aus ihrem eigenen langen Berufsleben erzählt haben, deuten dann an, "#MeToo" für etwas übertrieben zu halten. Ja, es gab das alles, es war üblich, es war überall und oft noch ekliger, als man es sich aus heutiger Sicht vorstellen kann. Aber es waren eben auch andere Zeiten. Und eine Hand auf dem Knie, das ist doch nicht so schlimm. Oder, wie es die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen (Jahrgang 1945) bei "Maischberger" vergangene Woche formulierte: "Um ehrlich zu sein, ein bisschen bin ich dieser ganzen Debatte mittlerweile überdrüssig."

Die Frage ist, weshalb zu den strengsten Kritikerinnen der Debatte gerade solche Frauen gehören, die sich ihren Weg nach oben durch harte Widerstände bahnen mussten. Die Antwort liegt im System selbst: Noch vor 30 Jahren war es kaum möglich, als Frau Karriere zu machen, ohne sich den patriarchalen Strukturen der Arbeitskultur weitestgehend anzupassen. Dabei geht es nicht ums Hochschlafen, sondern um die Fähigkeit, männliches Machtverhalten zu durchschauen, bei der eigenen Karriereplanung strategisch mitzudenken und sich in diesem Sinne klug zu verhalten. Ganz abgesehen von dem extremen Leistungsdruck, als einzelne Frau unter sehr vielen Männern zu bestehen.

Gut ausgebildete Frauen heute starten unter anderen Voraussetzungen in den Beruf. Egal, wie groß die Lohnunterschiede immer noch sind, sie wissen: Sie werden gebraucht. Das sagt die Wirtschaft, das sagt das Gebot der Vielfalt in einer globalisierten Welt, das sagt der Menschenverstand, die Frauenquote und vielleicht sogar der Chef selbst. Daraus leiten junge Frauen ganz neue Forderungen ab, unter welchen Bedingungen sie arbeiten möchten. Sie möchten sich nicht mehr einer patriarchalen Arbeitskultur bestmöglich anpassen, sondern - als nächsten (riesigen) Schritt der Emanzipation - diese patriarchale Arbeitskultur komplett abschaffen.

Die Debatte abzutun, wäre falsch

Daher auch die Vermischung der unterschiedlichen Tatbestände, die nun unter "#MeToo" diskutiert werden. Es ist ja nicht so, dass die Aktivistinnen zwischen einer strafbaren Vergewaltigung auf der Besetzungscouch und einem Kompliment für schöne Augen im Vorstellungsgespräch nicht unterscheiden könnten. Aber in beiden Fällen geht es um Machtmissbrauch, und erst wenn man alles zusammen betrachtet, werden die strukturellen Ungleichheiten klar, die nun endlich komplett gekippt werden sollen. Oder, wie es die Publizistin Teresa Bücker (Jahrgang 1984) formuliert: "Man muss natürlich genau trennen, was Sexismus und was sexuelle Belästigung ist. Aber es steht alles in Zusammenhang. Das eine bildet den Nährboden für das andere."

Es ist nachvollziehbar, dass sich Frauen, die unter schwierigeren Bedingungen die Grundlage für alle heutigen Forderungen schufen, mit diesem Perspektivwandel nicht leichttun. Auch, dass sie durch die Debatte nicht im Nachhinein zu Opfern für jedes aus guten Gründen tapfer ertragene schmierige Kompliment gemacht werden möchten. Sie dürfen sich auch über ungnädige Forderungen nach neuen Umgangsformen wundern, mit denen die jungen nun ins Rennen gehen, ohne im Beruf schon je vergleichbar viel geleistet zu haben. Und vielleicht werden ältere Frauen ja sogar recht behalten, wenn sie mit all ihrer Lebenserfahrung daran zweifeln, dass eine Berufswelt, in der Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt sind, überhaupt möglich ist.

Allein: Die Debatte abzutun, ist der Errungenschaften früherer Frauengenerationen nicht würdig. Immerhin geht es um die Zukunft im Beruf - nicht nur der Töchter und Enkelinnen, sondern auch der Söhne und Enkel. Es stünde der älteren Generation hier gut, auch neue Perspektiven zuzulassen. Oder noch besser: sich mit den Jüngeren zu verbünden. Die Chancen auf echte Gleichberechtigung standen jedenfalls nie besser.

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