EU-Urheberrecht:"Diese Upload-Filter wären regelrechte Zensurmaschinen"

Eine junge Frau sitzt mit Kopfhörern vor ihrem Laptop.

Kritiker der Urheberrechtsreform befürchten, dass Online-Plattformen wie Youtube Vorzensur ausüben müssten - das würde die Vielfalt im Netz gefährden.

(Foto: Ivan Gener Garcia/imago/Westend61)

Mit ihrer Reform des Urheberrechts gefährde die EU das freie Netz, sagt Europapolitikerin Julia Reda. Diesen Mittwoch wird der Rechtsausschuss dem umstrittenen Artikel 13 wohl trotzdem zustimmen.

Interview von Simon Hurtz

Diesen Mittwoch stimmt der Rechtsausschuss des EU-Parlaments über eine Reform des europäischen Urheberrechts ab. Besonders umstritten ist Artikel 13: Er macht Online-Plattformen wie Youtube und Facebook direkt für Urheberrechtsverletzungen verantwortlich. Bislang müssen sie erst dann reagieren, wenn sie der Rechteinhaber, etwa ein Künstler oder ein Musiklabel, darauf hinweist. Künftig sollen sie bereits im Moment des Uploads haften. Julia Reda, die für die Piratenpartei im Europaparlament sitzt, ist eine der schärfsten Kritikerinnen der geplanten Richtlinie.

SZ: 70 digitale Pioniere, darunter Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und Tim Berners-Lee, sehen das freie Netz in Gefahr. In einem offenen Brief warnen sie vor "automatisierter Überwachung und Kontrolle". Wovor haben sie Angst?

Julia Reda: Der Brief bezieht sich auf Artikel 13 der Urheberrechtsrichtlinie, über den der Rechtsausschuss des Europaparlaments am Mittwoch abstimmt. Er beinhaltet, dass Plattformen unmittelbar haften, wenn Nutzer das Urheberrecht verletzen, und schreibt technische Maßnahmen vor, um die Verstöße zu verhindern. Die Anbieter müssen also Filter einbauen, um Inhalte zu überprüfen, bevor sie hochgeladen werden. Das schränkt die Meinungsfreiheit ein und spielt Plattformen wie Youtube und Facebook in die Hände, die ohnehin schon das Netz dominieren. Diese Upload-Filter wären regelrechte Zensurmaschinen.

Youtube durchsucht Inhalte bereits automatisch nach solchen Verstößen. Was ist an den Upload-Filtern neu?

Bislang geht es nur um kopierte Musikaufnahmen. Artikel 13 bezieht sich auf alle Urheberrechtsverletzungen. Die technischen Anforderungen sind ungleich höher. Noch gibt es keine Filter, die dazu in der Lage sind. Bereits die existierenden Filter wie Youtubes Content-ID machen regelmäßig Fehler, die dazu führen, dass legale Inhalte gelöscht werden.

Microsoft setzt ein Filtersystem namens PhotoDNA ein, um Darstellungen von Kindesmissbrauch zu erkennen. Das funktioniert, und niemand beschwert sich über Zensur. Wo liegt der Unterschied?

Aufnahmen von Kindesmissbrauch sind immer illegal, unabhängig vom Kontext. Beim Urheberrecht ist das grundlegend anders. Da gibt es Graubereiche und Ausnahmen wie das Zitatrecht oder die Parodiefreiheit. Auch deshalb wird Artikel 13 oft als "Angriff auf die Meme-Kultur" bezeichnet. Meme nehmen geschützte Inhalte als Grundlage, ändern sie aber ab oder stellen sie in einen anderen Kontext, sodass sie nicht mehr gegen das Urheberrecht verstoßen. Ein Filter würde das nicht erkennen und einfach alles blockieren.

Befürworter von Artikel 13 argumentieren, dass Urheber nur angemessen vergütet werden können, wenn illegale Kopien erkannt und sanktioniert werden. Was sagen Sie den Künstlern und Musikern, die von ihrer Arbeit leben wollen?

Mehrere Ausschüsse des Parlaments haben einen Alternativ-Vorschlag empfohlen. Plattformen, die von Nutzern hochgeladene Inhalte aufbereiten, um damit Geld zu verdienen, müssten dann für diese Inhalte Lizenzen abschließen. Dazu gehört zum Beispiel Youtube mit seinem Content-ID-System, das Musikaufnahmen erkennt. Das käme den Künstlern direkt zugute. Im Gegensatz zu Artikel 13 verbietet der Entwurf jegliche Vorab-Filterung, weil sie rechtswidrig ist. Das hat auch der EuGH zweimal entschieden. Die Richter bewerten die Praxis als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit und sehen darin einen Eingriff in die Privatsphäre. Außerdem führen die Filter nicht automatisch zu einer fairen Bezahlung. Den Urhebern geht es ja nicht nur darum, dass Inhalte gelöscht werden, sondern dass sie eine Vergütung erhalten. Dafür gibt es mildere und effektivere Mittel.

Bundesparteitag der Piratenpartei

Julia Reda, geboren 1986, war von 2010 bis 2012 Bundesvorsitzende der Piratenpartei und von 2013 bis 2015 Vorsitzende der Young Pirates of Europe. Reda sitzt seit 2014 im Europäischen Parlament.

(Foto: Caroline Seidel/dpa)

Plattformen wie Youtube und Facebook verdienen Milliarden mit nutzergenerierten Inhalten. Jetzt sollen diese Konzerne Maßnahmen entwickeln, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Könnte das nicht dazu führen, dass kleinere Anbieter bessere Chancen haben, um mit den Marktführern zu konkurrieren?

Das Gegenteil wäre der Fall. Man schafft qua Gesetz einen Markt für Upload-Filter. Google hat nach eigenen Angaben für Youtubes Content-ID 60 Millionen Dollar investiert, und da geht es nur um die Erkennung von Musik. Kleinere Plattformen können die Filter unmöglich selbst entwickeln. Sie müssten sie also einkaufen. Davon profitieren die großen Tech-Unternehmen, weil nur sie in der Lage sind, die Filter-Software anzubieten.

Der aktuelle Kompromissvorschlag nimmt bestimmte Plattformen wie Wikipedia aus und fordert "angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen". Das klingt nicht nach Total-Zensur. Warum reicht Ihnen das nicht?

Das Problem ist, dass kein Beispiel genannt wird, wie eine angemessene Maßnahme aussehen könnte. Die Anforderung bleibt ja trotzdem bestehen: Urheberrechtlich geschützte Inhalte dürfen nicht hochgeladen werden. Da bleiben nur die Upload-Filter. Axel Voss, der die Verhandlungen im Rechtsausschuss leitet, konnte auch auf Nachfrage nicht erklären, was die Plattformen denn sonst tun sollen. Sie müssen filtern. Außerdem haben die Plattformen keine besonderen Anreize, milde Maßnahmen zu ergreifen. Wenn sie wissen, dass sie der Filter vor Strafen schützt, dann werden sie ihn natürlich einsetzen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich Google und Facebook in Unkosten stürzen und Gerichtsprozesse riskieren, um die Grundrechte der Nutzer zu schützen. Das ist Aufgabe des Staates.

Trotz dieser Gegenargumente sieht es aktuell so aus, als würde der Rechtsausschuss den Artikel 13 absegnen. Wie erklären Sie sich die Zustimmung?

Der Dachverband der Verwertungsgesellschaften fliegt regelmäßig bekannte Künstlerinnen und Künstler nach Brüssel und Straßburg ein. Dort erzählen sie Parlamentariern, dass sie ohne Artikel 13 in den Ruin getrieben würden. Besonders häufig treten Plácido Domingo und Jean-Michel Jarre auf. Mit ihrer Berühmtheit haben sie guten Zugang zu den Abgeordneten und sind entsprechend erfolgreich. Emotional verfangen ihre Argumente: Natürlich will man den Urhebern helfen. So wird die Abstimmung auf eine Frage reduziert: Wer dafür ist, will Urheber vor Google und Facebook schützen. Wer dagegen ist, unterstützt die Milliardenkonzerne. Zusätzlich macht die französische Regierung im EU-Rat Druck, weil in Frankreich große Unterhaltungskonzerne sitzen, die viel politischen Einfluss haben.

Diese Strategie scheint aufzugehen. Es werden wohl mindestens 13 der 25 Abgeordneten mit Ja stimmen: Konservative, Liberale und die extremen Rechten vom Front National. Sind Upload-Filter damit beschlossene Sache?

Noch nicht. Wenn der Rechtsausschuss zustimmt, können wir noch eine Abstimmung im Plenum beantragen, an der alle Abgeordneten beteiligt sind. Das wäre voraussichtlich Anfang Juli. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind noch völlig unklar.

2012 gab es massiven Widerstand gegen Acta. Das EU-Parlament hat daraufhin das Anti-Piraterie-Abkommen abgelehnt. Ist diesmal Ähnliches zu erwarten?

Im Moment regen sich im Internet gerade unter Jugendlichen immer lautere Proteste. Wenn sich das fortsetzt, könnte der Widerstand aus der Zivilgesellschaft die Abstimmung im Plenum beeinflussen. Wer Upload-Filter für gefährlich hält, sollte also auch nach dem 20. Juni seine Stimme erheben.

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