Brauchtum in Bayern:Jesus-Filme ohne Kino, Fernsehen und Internet

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Von den alten Bräuchen in der Karwoche haben manche die Jahrhunderte überdauert, andere wurden neu belebt. In Burgharting findet eines von wenigen Ölbergspielen statt.

Von Hans Kratzer, München

"Wie bitte? Wo soll das sein? Was ist da los?" Es ist eine schlichte Frage an Passanten, das Brauchtum des Ölbergspiels betreffend, aber sie wird nur mit Gegenfragen beantwortet, mit Schulterzucken und mit der Replik "nie gehört!" Ein junger Mann will wissen, typischer Reflex des Digital-Zeitalters: "Ist das ein Computerspiel?" Noch aber sind der Palmsonntag, die Karwoche und das leere Grab keine Online-Phänomene.

Vielleicht sind diese Begriffe deshalb vielen der in München und Nürnberg befragten Menschen fremd. Für sie sind es Chiffren einer Vergangenheit ohne Internet, Smartphone und Billigflug. Die Zahl derer, die schon einmal von Kalvarienbergen oder Ölbergspielen gehört haben, schrumpft in jenem Tempo, in dem auch der Freistaat Bayern sein Gesicht verändert. Dass die Vielfalt dieser Traditionen das Land seit dem Mittelalter geprägt hat, beschäftigt nur noch Historiker und Nostalgiker. Jener wachsende Teil der Bevölkerung, der nicht erklären kann, was Ostern und Pfingsten bedeuten, wird vom Brauchtum der Karwoche kaum berührt.

Immerhin, Reste sind noch vital oder werden sogar wiederbelebt. Tatsächlich verströmen Heilige Gräber und Ölbergspiele ein faszinierendes Fluidum, ermöglichen sie doch Einblicke in die Vorstellungswelt der im Barock lebenden Vorfahren. Also jener Menschen, deren bauliches und auch gedankliches Erbe das Land Bayern bis heute mitprägt - Globalisierung hin oder her.

Ölbergspiele waren so etwas wie Lichtspiele in Zeiten ohne Kino, Fernsehen und Internet. Sie sind aus der mittelalterlichen Liturgie erwachsen. "Einer des Lesens und des Lateins unkundigen Bevölkerung konnte das kirchlich gesprochene und gesungene Wort, das Kirchenlatein, nur bildlich oder szenisch veranschaulicht werden", sagt Maximilian Seefelder, der Bezirksheimatpfleger von Niederbayern.

In dem zwischen Landshut und Erding liegenden Dorf Burgharting erfolgt diese szenische Veranschaulichung stets am Palmsonntag. Es ist kurz nach Mittag, die Kirchenglocken läuten, Dutzende Gläubige mühen sich die steile Stiege zur Pfarrkirche St. Vitus hinauf. Während auf der Hauptstraße Myriaden von Radlern und Motorradfahrern vorbeirauschen, ist eine Minderheit auf dem Weg zur Ölbergandacht. Die Fenster der Kirche sind mit violetten Stoffbahnen verhängt, das Altarbild ist abgehängt.

Mechanische Ölbergspiele gab es in der Barockzeit in bis zu 500 Orten Bayerns

Burgharting zählt zu den wenigen Dörfern in Bayern, in denen der Ölbergbrauch noch lebt. Anstelle des Altarbildes ist eine dreischichtige Bühne eingesetzt worden. Sie zeigt jene biblische Szene, in der Jesus zum Garten Gethsemane am Fuße des Ölbergs geht, um dort in Todesangst zu beten. Auf dem Altar von Burgharting werden die Figuren durch einen uralten Mechanismus bewegt, der den Betrachter sofort in den Bann zieht. Spätestens dann, wenn der Engel auf die Christusfigur herabschwebt. Während des dreimaligen Falls Jesu läutet die schwere Glocke, sie heißt Angstglocke.

Um 1900 herum gab es in Bayern mehr als hundert Orte, in denen mechanische Ölbergspiele gezeigt wurden. In der Barockzeit dürften es bis zu 500 gewesen sein. Im frühen 19. Jahrhundert ging dieses Brauchtum genauso zugrunde wie die Passionsspiele. Von den 250 früheren Passionsspielorten sind heute im bayerisch-österreichischen Raum nur noch Orte wie Oberammergau, Erl und Waal übrig geblieben, die aber ein weltweites Interesse befriedigen.

Ölberg- und Passionsspiele bilden aber nur einen Teil jenes üppigen Bilderreigens ab, der die Karwoche einst begleitet hat. Die barock-theatralische Pracht der Karfreitagsprozessionen ist noch im unterfränkischen Lohr am Main zu sehen. Im Zuge der Gegenreformation wurden Kalvarienberganlagen geschaffen, etwa in Bad Tölz, Füssen und Deggendorf. Eine Renaissance erleben seit einigen Jahren die barocken Heiligen Gräber. Spektakulär ist jenes in der Stiftskirche des Klosters Höglwörth im Rupertiwinkel. Der Kirchenraum ist dann in ein mystisches Dämmerlicht getaucht, erhellt nur vom flackernden Schein der mit gefärbtem Wasser gefüllten Glaskugeln. Der Altarraum ist eine Art Bühne mit dem Leichnam Christi als Mittelpunkt.

Heilige Gräber sind in der Karwoche viele zu besichtigen - hier in der Kalvarienbergkirche von Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Zahl der Heiligen Gräber überwiegt die Zahl der Ölbergspiele bei weitem. Außer in Burgharting wird der Brauch noch im Dorf Hohenegglkofen bei Landshut gepflegt sowie in der Gemeinde Schnaitsee (Kreis Traunstein). Dort hat die Pfarrei 2014 den barocken Ölberg erstmals wieder aufgebaut. Die Christusfigur hat wie eine Gliederpuppe Gelenke im Nacken, in den Armen und Händen und kann sich verneigen. Ein Engel wird mit einer Winde auf- und abbewegt.

Die bekanntesten Ölbergspiele finden sich in Dietfurt und in Berching im Altmühltal. Dort werden sogar lebende Menschen am Altar mit Seilzügen auf- und abbewegt. Die Ölbergandacht in der Klosterkirche Dietfurt gibt es seit 1680. Selbst Aufklärungszeit und Naziregime vermochten nicht, ihr ein Ende zu bereiten. Das Ölbergspiel in Berching feierte im vorigen Jahr sein 500-jähriges Bestehen. Menschen jeder Altersgruppe wirken mit größter Begeisterung mit, sei es die elfjährige Verena Daum, die den Engel spielt oder der 85-jährige Christus-Darsteller Erhard Stadler, der schon seit 75 Jahren am Ölbergspiel teilnimmt.

Dieser Text ist am 10. April 2017 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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