Bayerische Staatsregierung:Flüchtlingsdrama soll Chefsache werden

Plenarsitzung im bayerischen Landtag

Am Donnerstag hat sich Horst Seehofer zum Krisengespräch mit Sozialministerin Emilia Müller getroffen.

(Foto: dpa)

In Nürnberg schlafen Flüchtlinge in einem Festzelt, im Erstaufnahmelager Zirndorf drängen sie sich vor der Essensausgabe. Kritiker sehen das als "Ergebnis miserablen Regierungshandelns". Jetzt will Horst Seehofer reagieren.

Von Katja Auer, München/Nürnberg

Ministerpräsident Horst Seehofer hat die katastrophalen Zustände bei der Unterbringung von Flüchtlingen im Freistaat offenbar zur Chefsache gemacht. Am Donnerstag fand ein Krisengespräch mit Sozialministerin Emilia Müller statt, am Dienstag soll sich das Kabinett mit der Situation beschäftigen. Über die Ergebnisse des Treffens am Donnerstag wurde Stillschweigen vereinbart, doch der Druck auf die Staatsregierung wächst.

Selbst in den eigenen Reihen wird Unmut laut: Die CSU-Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl besuchte am Donnerstag die Flüchtlingszelte in Nürnberg und verbreitete anschließend via Twitter: "Ich schäme mich!" Es brauche dringend mobile Duschcontainer im Lager, klagte die CSU-Politikerin und richtete die verzweifelte Frage an die Internetgemeinde: "Kann jemand helfen?" Die Opposition übt ohnehin scharfe Kritik. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher nennt die Zustände in den Erstaufnahmeeinrichtungen "das Ergebnis miserablen Regierungshandelns". Auch aus den Wohlfahrtsverbänden wird Ärger laut. Nach Diakonie-Vize Tobias Mähner, der die Staatsregierung zum grundsätzlichen Umdenken aufforderte, meldete sich nun auch Thomas Beyer, Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt, zu Wort. Dass nach dem Krisengespräch kein Ergebnis präsentiert wurde, wertet er als Zeichen, dass die Situation für die Betroffenen noch ernster sein müsse als angenommen. Schon lange hätten die Wohlfahrtsverbände vor einer Zuspitzung der Lage gewarnt, die durch "das ewige Zuwarten der Staatsregierung tatsächlich auf erschreckende Weise eingetreten ist".

Er fordert ein Programm für die Schaffung angemessenen Wohnraums. Unterdessen verschärft sich die Lage weiter. Rosenheimer Grenzfahnder trafen am Donnerstag auf 105 Flüchtlinge in einem Fernreisezug aus Italien. Es handle sich dabei um den "größten Aufgriff, den die Bundespolizei jemals in dieser Form getätigt hat", meldeten die Beamten. Die Männer, Frauen und Kinder stammen aus Syrien, Eritrea, Irak, Somalia und Äthiopien. Schleuser hätten sie über den Seeweg nach Italien gebracht, sagten sie aus. Ohne Essen und Trinken. Einen vierstelligen Betrag hätten sie dafür bezahlen müssen. Nun harren sie in einer Sporthalle der Verlegung nach München oder Zirndorf. Die Münchner Bayernkaserne ist wegen einiger Masernfälle noch geschlossen, sodass derzeit alle Flüchtlinge in Zirndorf ankommen. Dort herrscht drangvolle Enge. Wenn sich 1400 Menschen vor der Essensausgabe drängten und diese zwei bis drei Stunden dauere, müsse man manchmal fürchten, dass jemand zerquetscht werde, sagt Gemeindepädagoge Erwin Bartsch. Für 650 Menschen ist die Einrichtung in Zirndorf ausgelegt, inzwischen lebt dort etwa die dreifache Zahl.

Zahl der Kirchenasyle nimmt zu

In Nürnberg schlafen Flüchtlinge in einem Festzelt und auch Schwabach hat für 200 Menschen Zelte aufgebaut. Auch anderswo wissen sich Kommunen nicht mehr anders zu helfen, dabei wird aus dem Sozialministerium stets betont, dass die Unterbringung in Zelten nur eine provisorische Lösung sei. Erwin Bartsch befürchtet dennoch, dass die Zelte länger stehen bleiben. "Es braucht schnell belegbare Unterkünfte", sagt er. Das könnten Kasernen sein. Mittelfrankens Regierungspräsident Thomas Bauer hatte gefordert, die Kaserne in Roth, die teilweise leer steht, für Flüchtlinge zu öffnen.

Der Rother Landrat Herbert Eckstein (SPD) droht sogar damit, die Kaserne im Notfall zu beschlagnahmen, wenn sich die Lage weiter verschärfe.

Die Regierung in Unterfranken weist den Kommunen inzwischen zwangsweise Asylbewerber zu, da die Gemeinschaftsunterkünfte voll sind. Landräte und Bürgermeister beklagen, dass das Problem damit von oben nach unten durchgereicht werde.

Mit den steigenden Zahlen von Asylbewerbern - um die 30 000 werden es in diesem Jahr in Bayern sein - nimmt auch die Zahl der Kirchenasyle zu. Etwa 70 Gemeinden in Bayern gewährten zurzeit Flüchtlingen Asyl, sagt Pfarrerin Kerstin Voges.

2013 waren es nur 26. Polizei und Behörden achten in der Regel das Kirchenasyl und schieben Menschen nicht ab, die in Pfarrhäusern Unterschlupf gefunden haben. Aufgenommen werden oft solche Flüchtlinge, denen die Ausweisung nach Italien oder Ungarn droht, also in Länder, in denen Asylbewerber unter fürchterlichen Bedingungen leben.

Aber nicht nur die Zahl der Kirchenasyle nimmt zu, sondern auch die Bereitschaft zur unbürokratischen Hilfe. Menschen wollen spenden und bieten sogar Wohnraum an. Immer mehr Kirchengemeinden räumen Pfarrzentren leer, um Asylbewerber aufzunehmen. So werden in St. Otto in Cadolzburg von nächster Woche an 30 minderjährige Flüchtlinge leben, in Würzburg hat die Caritas gerade eine syrische Familie untergebracht und auch in Schweinfurt sollen Asylbewerber in ein leer stehendes Pfarrhaus ziehen. Das hilft - und lässt die Politik noch älter aussehen.

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