Bayerische Biergartenküche:Matsch mit Soße

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Der klassische Biergartenfraß besteht nämlich nahezu überall aus den gleichen einfachen Gerichten. (Foto: Stephan Rumpf)

Sommerliche Zwischenfrage: Wenn Bayerns Biergärten ein Traum sind, warum ist das Essen dort dann meist so ein Albtraum?

Eine Polemik von Franz Kotteder

Bayern ist bekanntlich voller Eigenarten und Besonderheiten, die jederzeit das Zeug zum Weltkulturerbe haben. Jedenfalls, wenn man den Bayern glauben mag. Die wollen das von ihnen hervorgebrachte Welterbe nämlich keinesfalls nur auf die Würzburger Residenz, das markgräfliche Opernhaus zu Bayreuth, die Wieskirche und die Altstädte von Bamberg und Regensburg begrenzt wissen, wie die Unesco das tut.

Nein, im Volksglauben gehören noch andere Dinge dazu. Wie jeder deutsche Tourist im Ausland ständig feststellen darf, gibt es da mindestens noch das Oktoberfest, wegen seiner unerklärlichen, weltweiten Beliebtheit, sowie Franz Beckenbauer wegen ebensolcher. Kulturell aber noch bedeutsamer und identitätsprägender als beide zusammen dürfte der bayerische Biergarten sein.

In ihm manifestiert sich geradezu sinnbildhaft das bayerische Wesen mit all seinen Klischeevorstellungen vom Leben und leben lassen und der Gleichheit aller vor dem Biere. Immer wieder heißt es, in einem richtigen Biergarten sitze der Vorstandsvorsitzende neben dem einfachen Handwerker, der Arbeiter neben dem Krösus, und alle fühlten sich gleichermaßen wohl. Real existierender Sozialismus auf Bayerisch, gewissermaßen.

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Das ist natürlich Unsinn. Selbst im Biergarten gibt es mindestens eine Zweiklassengesellschaft. Für Eingeweihte ist das schon an den Tischen deutlich erkennbar: Es gibt welche mit Tischdecken, an denen wird bedient. Und es gibt welche ohne Tischdecken, an denen darf man sich etwas zu essen mitbringen oder am Selbstbedienungsstand besorgen, und man muss sich sein Bier selbst an der Schänke holen.

Styropor oder Dämmstoff

Womit wir schon bei der zweitwichtigsten Sache - nach dem Bier - sind, um die es in einem Biergarten geht: den Speisen. Oder wie soll man das sonst nennen? Verpflegung? Da steckt das Wort "Pflege" drin, das ja oft beschönigend verwendet wird, aber für das, was normalerweise im Biergarten an Nahrung zu bekommen ist, noch viel zu positiv ist.

Man muss es einmal deutlich sagen: Sitzt man an einem Tisch mit Decke, bringt einem die Bedienung in aller Regel solide Wirtshauskost, wie sie auch sonst aus der Küche kommt. Das reicht von hervorragend bis zumindest akzeptabel. Wer aber an einer Holzbank sitzt und es versäumt hat, sich seine Brotzeit selbst mitzubringen, der kann in aller Regel jede Hoffnung auf schmackhafte und vernünftige Nahrung fahren lassen.

Denn meist hat er es in einem Biergarten mit etwas zu tun, das sich mit dem Begriff "Fraß" am ehesten beschreiben lässt. Es ist, als hätten sich alle Biergartenwirte verschworen mit einem großen, gemeinsamen Glaubensbekenntnis, das da lautet: "Wenn du Gast schon zu deppert bist, dir selber eine Brotzeit mitzubringen, und zu geizig, um dich an einen gedeckten Tisch zu setzen, so sollst du keine Labsal erfahren, sondern lediglich Atzung bekommen, vor der es dir grausen möge bis zum Jüngsten Tag!"

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Das wäre jedenfalls eine Erklärung. Der klassische Biergartenfraß besteht nämlich nahezu überall aus den gleichen einfachen Gerichten, gegen die im Prinzip gar nichts zu sagen ist. Man kann sie nämlich so oder so zubereiten, man kann so oder anders mit ihnen umgehen. Im Biergarten aber merkt man sofort: Das ist mindere Ware, die nur als Grundlage dient für ein paar Liter Bier. Mehr nicht.

Beginnen wir mit dem absoluten Klassiker: der Brezn. Es gibt sie im Biergarten meist in zwei Größen: der herkömmlichen und der Magnum-Variante, die etwas kleiner als ein Klodeckel ausfällt. Die kleinere steht meist schon länger rum und erinnert in Konsistenz und Geschmack oft stark an Styropor, die Krümel bleiben aber wenigstens nicht ganz so hartnäckig an der Kleidung haften.

Die große Brezn ist meist frischer, will heißen: Der Rohling kommt gerade vom Auftauen aus dem Ofen, und isst man ihn nicht mindestens zu dritt, so versiegelt er den Magen zuverlässig und komplett. Reichert man ihn noch mit Bier an, so ist abzusehen, dass das Aufstehen von der Bank bald sehr schwerfallen dürfte.

Doch die eigentliche Kernkompetenz der Biergartenküche liegt, wie könnte es in Bayern anders sein, bei den Fleischgerichten. Auch da wird dem Gast schnell klargemacht, dass er nicht zum Essen da ist. Oben auf der Hitliste stehen das halbe Grillhendl und die Spareribs, Letztere wohl ein Erbe aus der amerikanischen Besatzungszeit.

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Das Hendl ist meist ein bedauernswertes Industrieprodukt, das in drei bis vier Wochen zur Schlachtreife hochgezüchtet und dessen Fleisch beim Grillen in Fett, Liebstöckl und Petersilie ertränkt wurde. Die Haut hat einen kräftigen Anstrich aus Paprikapulver und Salz erhalten, weil das "einen guten Durst macht", wie der Bayer und vor allem der bayerische Wirt sagt.

Bei den Spareribs, gegrillten Schweinerippchen, verhält es sich ähnlich. Sie sind fast immer mit einer alles dominierenden Marinade behaftet, was stutzig macht. Wie jeder Fleischhändler weiß, lässt sich mit der richtigen Marinade jedes noch so minderwertige Stück Fleisch bis zur Genussfähigkeit aufpeppen.

Man braucht dazu nur die richtige Menge an Chili, Tomatensoße, Pfeffer und diversen Gewürzen aus Tausendundeiner Nacht - schon ist der Gast zufrieden. Seltsamerweise nimmt er es dann hin, dass das Fleisch meist zäh und extrem trocken ist und einzelne Fasern wie Borsten zwischen den Zähnen hängen bleiben, was nie besonders sexy aussieht.

Manche Biergartenbesucher lassen sich angesichts dieser traurigen Verpflegungslage zu Alternativen wie Fleischpflanzerl, die im Rest der Republik Frikadellen oder Buletten heißen, oder gar zu Presssack verleiten. Wer weiß, welche Delikatesse Fleischpflanzerl darstellen können, wird das nur einmal tun. Im Biergarten sind sie fast immer furztrocken, innen so abschreckend grau wie ein Leben voller verpasster Chancen, und man würde sich auch nicht wundern, wenn sich auf der Zutatenliste Sägemehl fände.

Über den Presssack, oft mit Essig und Öl im Angebot, muss man nicht mehr wissen, als dass gestandenen Münchner Metzgern als Ausdruck tiefster Verachtung für andere Menschen nur der Fluch einfällt: "So oan wie den daadn mia ned amoi in am Presssack verwurschten!" (Zu Deutsch: "Einen wie den würden wir nicht einmal in einem Presssack verwursten!" ).

Von einer gewissen Verachtung für Produkt und Kundschaft zeugen oft auch die übrigen, nicht fleischlichen Gerichte. Der Steckerlfisch, meist in Form von Makrelen, die offenbar in rauen Mengen von der bayerischen Hochseemarine eingebracht werden, wird regelmäßig geschmacklich gestützt durch sehr, sehr viel Hagelsalz, was dem Bierumsatz förderlich ist. Dank Sodbrennen hat man von so einem Fisch oft auch am nächsten Tag noch etwas.

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Sehr nachhaltig auch eine weitere Biergartenspezialität, der "Obazda", eine Käsecreme aus überreifem Camembert, Butter, kleingeschredderten Zwiebeln, viel Rosenpaprika, Kümmel und etwas Weißbier. Der Name stammt vom bayerischen Begriff "Baaz" für Emulsionen jeglicher Art. In seiner Biergartenversion dürfte der Obazda vor allem bei Heimwerkern beliebt sein, weil er von der Konsistenz her auch nach Saisonschluss problemlos als Fugenkitt für zugige Fenster zu gebrauchen ist.

Für die Fleischverweigerer bleiben sonst noch Kässpatzn, von denen sich Vegetarier nach Meinung vieler bayerischer Gastronomen ausschließlich ernähren, sowie Radieschen und der Radi, sprich: der große weiße Bierrettich, fächerförmig aufgeschnitten und leider oftmals etwas holzig, wenn er zu lange in der Vitrine "ausweinen" musste, wie man das landläufig nennt, wenn er seine Flüssigkeit verloren hat.

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Das ist wohl generell das Hauptproblem der Biergartenküche mit Selbstbedienung: die Warmhalteplatte einerseits, die Kühlung andererseits. Fleischspeisen trocknen aus, die anderen sind unangenehm kühl. Hinzu kommen oft lange Lagerzeiten wegen der Unwägbarkeiten des Wetters. In den Biergarten kommen eben entweder wahnsinnig viele Menschen oder keiner. Mit beidem muss der Wirt rechnen.

Als Kompromiss kommt dann oft miserable Ware heraus. Dabei ließen sich aus all den genannten Speisen wahre Köstlichkeiten zaubern, mit den richtigen Zutaten und der entsprechenden Behandlung. Aber: rechnet sich nicht.

Das ist schade, denn eigentlich sind Biergärten ja wirklich ein Traum. Es kann eigentlich nur einen Grund geben, warum sie bis heute noch nicht zum Weltkulturerbe gehören: ihr kulinarisches Angebot.

© SZ vom 09.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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