Wohlstand und Glück:Irgendwann ist es genug

Wer wünscht sich nicht mehr Geld und Güter? Doch die Hoffnung, dass wachsender Wohlstand auf Dauer glücklicher macht, ist vergeblich: Glück wächst nicht, wenn das Einkommen steigt, sagen US-Forscher.

Christian Weber

Dass in den USA die Zahl der Selbstmörder ähnlich hoch sei wie 1900, obwohl sich das durchschnittliche Einkommen versechsfacht habe, unterstütze nicht gerade die These, dass ein starkes Wirtschaftswachstum das Glück einer Nation mehre, schrieb vor kurzem Andrew Oswald von der University of Warwick.

?Water Cube? der Olympische Spiele als Freizeitzentrum eingeweiht

Ein Schwimmbad wie der Wasserpark im Pekinger National Aquatics Center ist zweifellos geeignet, um kleine Menschen glücklich zu machen. Generell aber steigt in Staaten mit hohem Wirtschaftswachstum wie China das Glück der Bevölkerung nicht mit dem monetären Wohlstand.

(Foto: dpa)

Diese Annahme verdeutlicht jetzt eine Studie, die ein Team um den Ökonomen Richard Easterlin von der University of Southern California in Los Angeles in der Fachzeitschrift PNAS (online) veröffentlich hat. Deren Kernaussage lautet: "Das Glück wächst nicht, wenn das Einkommen eines Landes steigt." Das folgern die Autoren aus der Analyse von Daten aus 37 Ländern, die zum Teil über mehrere Jahrzehnte erhoben wurden.

Der Streit schwelt seit längerem in der boomenden Branche der Glücksökonomie. Bereits 1974 hatte Easterlin erstmals dieses nach ihm benannte Paradox formuliert, wonach mehr Geld nur kurzfristig die Stimmung hebt, vorausgesetzt, die Grundbedürfnisse nach einer anständigen Unterkunft, Nahrung und Arbeit sind befriedigt. Allerdings hatte der Forscher in dieser ersten Studie zum Thema nur Daten aus den relativ saturierten USA verwendet, wo Einkommenszuwächse womöglich weniger relevant sein könnten. Außerdem kamen andere Forscher immer wieder auch zu abweichenden Ergebnissen.

Die neue Studie beseitigt diese Mängel. Erstmals berücksichtigten die Ökonomen auch neun Entwicklungsländer aus Asien, Afrika und Lateinamerika sowie elf osteuropäische Staaten, die sich im Übergang zur Marktwirtschaft befinden. In all diesen Ländern wurde im Durchschnitt 22 Jahre lang das Bruttosozialprodukt pro Kopf verfolgt. Gleichzeitig wurde die Lebenszufriedenheit der Studienteilnehmer regelmäßig mit standardisierten Fragebögen erhoben.

Das Ergebnis war erstaunlich: Egal, ob man sich reiche oder arme Länder anschaut, exkommunistische oder spätkapitalistische Gesellschaften - nirgendwo wächst die Lebenszufriedenheit dauerhaft mit der Wirtschaft. Lediglich in Übergangsgesellschaften wie Südkorea oder Russland war das subjektive Wohlergehen der Menschen vorübergehend an Wachstum oder Niedergang der Wirtschaft gekoppelt, doch spätestens nach zehn Jahren habe sich dieser Zusammenhang wieder aufgelöst.

In China, wo sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in weniger als zehn Jahren verdoppelt hat, zeigte sich sogar ein leichter, wenn auch nicht statistisch signifikanter Rückgang der Lebenszufriedenheit.

Vergleiche mit dem Umfeld

Offensichtlich sei es so, spekulieren die Forscher, dass die materiellen Bedürfnisse mühelos mit dem Einkommenswachstum mithalten. Hinzu komme, dass Menschen ihr materielles Wohlergehen nicht absolut wahrnehmen, sondern sich beständig mit ihrem sozialen Umfeld vergleichen: Jeder kleine Milliardär, der mit seiner Yacht in den Hafen von Saint-Tropez einfahrt, muss die Erkenntnis verarbeiten, dass es fast immer noch reichere Milliardäre mit noch schickeren Yachten gibt.

Die PNAS-Studie bestätigt Autoren, die in einer egalitären Organisation der Gesellschaft einen besseren Garanten für mehr Lebensqualität sehen als allein das Wachstum. So hatten etwa die britischen Autoren Kate Pickett und Richard Wilkinson vor kurzem in einem viel beachteten Buch mit statistischen Analysen nachgewiesen, dass extreme Einkommensgefälle entgegen neoliberaler Logik fast allen Mitgliedern einer Gesellschaft schadet (Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Haffmans & Tolkemitt). Ihnen zufolge leben selbst die Reichen in ungleichen Ländern weniger lang und sind kränker als anderswo.

Immerhin scheinen solche Botschaften mittlerweile in der Politik gehört zu werden. Der Deutsche Bundestag jedenfalls hat Ende November mit den Stimmen aller Fraktionen außer der Linken die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen, die einen allgemeinen Wohlstandsindikator entwickeln soll, der ausdrücklich auch Aspekte wie Verteilungsgerechtigkeit, politische Teilhabe und sogar die subjektive Lebensqualität der Menschen berücksichtigt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: