Klimawandel:Dem Wald geht es schlechter als je zuvor

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Was vom Walde übrig blieb: Baumsterben im Solling in Niedersachsen. (Foto: imago images/Martin Wagner)

Deutschlands Bäume leiden unter Dürre, Schädlingen und Krankheiten. Eine Standardlösung gibt es nicht - aber handeln muss man.

Kommentar von Marlene Weiß

Auch wenn man ihn in Deutschland gerne zum mystischen Sehnsuchtsort verklärt: Der Wald hat schon viele Veränderungen erlebt. Aus den einst dichten, dunklen Urwäldern wurden Fichten- und Kiefernforste zur schnellen Holzproduktion. Als in den Neunzigern klar wurde, dass Monokulturen anfällig für Sturmschäden und Schädlinge sind, begann man, den Wald wieder umzubauen, zu stabileren Mischungen aus Laub- und Nadelbäumen, ergänzt durch lukrative Neuzugänge wie die nordamerikanische Douglasie. Der Wald hat alles mitgemacht, und soweit man weiß, hat er sich nie beklagt. Aber jetzt scheint er ein für alle Mal genug zu haben: Der Wald, wie man ihn hierzulande kennt, er stirbt.

Schon in der Waldzustandserhebung 2019 zeigten nur noch 22 Prozent der Bäume keine Schäden; der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebungen und weit schlechter als in den Achtzigerjahren, als alle Welt vom Waldsterben redete. In diesem Jahr hat sich die Lage noch einmal deutlich verschlimmert. Grund sind vor allem die Dürre, die nun seit drei Jahren andauert, in Kombination mit Hitze, Schädlingen und eingeschleppten Krankheiten. Nach den Dürrejahren 2018 und 2019 kam 2020 mit einem knochentrockenen Frühling und einem Sommer, der längst nicht nass genug ist, um die Böden wieder zu durchfeuchten.

Zumal der Regen ungerecht verteilt ist: Während in München das Isarhochwasser über die Kiesstrände braust, auf denen sonst im Sommer die halbe Stadt am Bräunungsniveau arbeitet, bleibt es in weiten Teilen Nord-, West- und vor allem Ostdeutschlands viel zu trocken. Die Wasserknappheit setzt die Bäume unter Stress, sie können sich schlecht gegen Borkenkäfer und ähnliches Getier wehren. Kommt Hitze hinzu, fehlt den Bäumen Flüssigkeit, um sich durch Verdunstung zu kühlen, das macht sie anfällig für Pilzbefall.

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Das Erschreckende an der Situation ist nicht, dass der Wald leidet; das war ja klar, wie sollte es anders sein. Wirklich Angst aber macht es, dass die übliche Kur gegen Waldschäden nicht mehr zu funktionieren scheint. Seit Langem gilt es als Patentrezept, heimische Buchenmischwälder zu pflanzen statt Fichten, die mit ihren flachen Wurzeln natürlich besonders mit der Trockenheit zu kämpfen haben. Aber nun zeigt sich: Auch die herzförmig wurzelnden Buchen leiden schwer.

Die Wälder sollen künftig "klimaresilient" sein. Wenn nur jemand wüsste, wie das geht

Diese Bäume haben sich hierzulande jahrtausendelang weiträumig wohlgefühlt. Diese Zeit ist offenbar vorbei. Selbst wenn es künftig wieder mehr regnen sollte: Bevor der Wald sich erholt hat, dürfte die nächste Dürre da sein. Hinzu kommt, dass die Böden ohnehin trockener werden, weil ein immer größerer Teil der Niederschlagsmenge als Starkregen fällt - so schnell kann der Boden das Wasser aber nicht aufnehmen.

Jetzt soll es ein Geldregen richten. 800 Millionen Euro an Hilfen waren bereits zugesagt, weitere 700 Millionen kommen nun noch aus dem Corona-Konjunkturpaket hinzu. Das ist einerseits bitter nötig, denn etwa die Hälfte des deutschen Waldes ist in privater Hand, oft in kleinen Parzellen von nur wenigen Hektar. Seit all das Borkenkäferholz europaweit den Holzpreis gedrückt hat, ist den Eigentümern von Waldstücken das Geschäftsmodell abhanden gekommen. Der Ertrag reicht nicht einmal mehr aus, um das Wegschaffen befallener Bäume zu finanzieren, geschweige denn für Aufforstung.

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Andererseits aber weiß niemand so recht, wofür man das Geld ausgeben soll, damit es auf Dauer hilft. Neue Bäume pflanzen? Kann sein, dass sie eingehen. Von Schädlingen befallene Bäume beseitigen? Wird längst gemacht, ähnelt aber der Kontaktverfolgung nach Corona-Infektionen: Wenn man nicht schnell genug ist, haben die Biester schon das nächste Opfer erwischt. "Klimaresiliente Mischwälder" müsse man entwickeln, heißt es weise aus dem Landwirtschaftsministerium. Fein, wenn man bloß wüsste, was das für Wälder sein sollen.

In dieser Lage sind sich selbst Fachleute uneins. Manche fordern, den Wald mehr in Ruhe zu lassen, selbst Borkenkäferbäume stehen zu lassen, damit das tote Holz Feuchtigkeit speichert und Humus aufbaut, und die Natur machen zu lassen. Andere meinen, dass der Wald mehr Unterstützung brauche, nicht weniger; so schnell, wie der Klimawandel voranschreite, könne sich kein Ökosystem der Welt von allein anpassen.

Es ist schwer zu sagen, welche Seite recht hat, vieles wird man ausprobieren müssen. Es gibt keine Standardlösungen, jeder Standort, jeder Boden ist anders. Ein Baum kann in einer feuchten Senke in der richtigen Umgebung gedeihen, während die gleiche Art ein paar Hundert Meter weiter verkümmert. Und nichts hilft so sehr wie Vielfalt: Nur wenn es viele Baumarten im Wald gibt, junge und alte Bäume und ein intaktes Netzwerk von Lebewesen, hat die Natur eine Chance, mit einer ungewissen Zukunft zurechtzukommen. Aber selbst wenn es glimpflich ausgeht: Der Wald wird künftig ein anderer sein.

© SZ vom 10.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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