100. Todestag von Robert Koch:Jagd auf Mikroben

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Vor 100 Jahren starb Robert Koch - die Wissenschaft verdankt ihm bahnbrechende Entdeckungen ebenso wie den ersten Pharmaskandal.

Katrin Blawat

Seinen Ruhmestag, Freitag, den 24. März 1882, hatte Robert Koch sorgfältig vorbereitet. Acht Monate lang hatte er jene stäbchenförmigen Wesen untersucht, die, da war sich der Arzt schnell sicher, die Ursache für das allgegenwärtige Siechtum auf den Straßen waren.

Robert Koch Der deutsche Bakteriologe Robert Koch. (Foto: online.sdewissen)

Immer wieder war Koch in seinem Berliner Labor des Kaiserlichen Gesundheitsamts die gleichen Arbeitsschritte durchgegangen. Er hatte Blut- und Gewebeproben untersucht, die merkwürdigen Stäbchen in flachen Schalen gezüchtet, sie eingefärbt, unter dem Mikroskop fotografiert und sie in bis dahin gesunde Meerschweinchen injiziert, die daraufhin ebenso elend verendet waren wie Menschen auf der ganzen Welt: am "weißen Tod". An Tuberkulose.

Die Ergebnisse dieser Arbeiten präsentierte Koch an jenem Märztag vor der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin in seinem Vortrag über die "Ätiologie der Tuberkulose". Koch war der erste Mensch, der den stäbchenförmigen Gebilden einen Namen gab - "Tuberkelbazillen" - und sie als Erreger der Lungenkrankheit beschrieb.

23 Jahre später erhielt der Arzt für diese Entdeckung den Nobelpreis. Doch Zeit seines Lebens und bis zum heutigen hundertsten Todestag Robert Kochs stand und steht der Vortrag in der alten Institutsbibliothek symbolisch für die Leistungen eines Mannes, der sich auf vielen Gebieten als Pionier hervorgetan hat.

Selbst sein Kollege und zeitweiliger Rivale Paul Ehrlich, von dem nicht einmal gesichert bekannt ist, dass er den Vortrag überhaupt gehört hatte, notierte in einem Nachruf auf Koch, ihm sei "jener Abend stets als mein größtes wissenschaftliches Ereignis in Erinnerung geblieben".

"In Zukunft wird man es mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben"

Robert Koch war der erste Forscher, der Färbemethoden entwickelte, mit denen sich Mikroben sichtbar machen und fotografieren ließen. So bekam der weiße Tod mit einem Mal ein Gesicht, und dieses Gesicht sah nicht aus wie das eines Monsters, sondern harmlos wie das eines leicht zu besiegenden Feindes.

"In Zukunft wird man es nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben", schrieb Koch 1882. Und er freute sich über die Eindrücklichkeit seiner neuen Methoden: "Eine Fotografie kann man als Beweisstück im Kollegenkreis herumzeigen, man kann sie in einer Veröffentlichung reproduzieren."

Koch war es auch, der das Hantieren mit Tiermodellen und mit Nährböden, auf denen sich Bakterien in Reinkultur züchten ließen, zur wissenschaftlichen Routine machte. Dank seiner Arbeit gab es nun die "Krankheit im Labor", wie der Medizinhistoriker Christoph Gradmann in seinem gleichnamigen Buch schreibt.

"In ihrer Bedeutung für die Geschichte der Medizin sind diese Arbeiten kaum zu überschätzen: Wiewohl modifiziert, sind Bakterienfärbung, feste Nährböden und Petrischalen auch heute noch grundlegende Techniken des mikrobiologischen Labors."

Ebenso war Koch der erste Wissenschaftler, der die auch heute wieder sehr populäre Idee hatte, als Privatmann Profit aus seiner Forschung zu schlagen. Und schließlich war es auch Robert Koch, um den sich der erste große Pharmaskandal der Geschichte drehte.

Zunächst aber wurde Koch als Retter der Menschheit gefeiert, als "Erlöser vom Joch der Natur". Etwas vorschnell, aus heutiger Sicht. Denn noch immer ist die Tuberkulose nicht besiegt. Hundert Jahre nach dem Tod des "Mikrobenjägers" ist ein Drittel der Weltbevölkerung mit Mycobacterium tuberculosis, wie der Erreger heute heißt, infiziert.

Bei vielen bricht die Krankheit nie aus, doch zwei Millionen Menschen sterben jährlich an der Krankheit, und immer mehr Erreger widerstehen den Antibiotika. Zu Kochs Zeiten soll jeder zweite Todesfall unter den 15- bis 40-Jährigen auf eine Infektion mit dem Tuberkulose-Bakterium zurückgegangen sein.

Diese Todesraten wollte Koch ändern und zog in die Schlacht. Den Kampf gegen Krankheitserreger führte er unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit; gerne bediente er sich militärischer Begriffe.

"Ich wünsche, dass im Kriege gegen die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts eine Nation die andere immer wieder überflügeln möge", schrieb Koch. Das Vertrauen in seinen Sieg war unerschütterlich, bei ihm selbst, aber auch in der Bevölkerung und bei seinen Geldgebern, den preußischen Bürokraten.

Im wilhelminischen Kaiserreich wurde der Wissenschaftler Koch Teil der politischen Strategie, die kein blutspuckendes, von der Tuberkulose ausgemergeltes Heer brauchen konnte. Koch sollte die Männer kampfestüchtig halten.

"Je gefährlicher die Mikroorganismen waren, desto wichtiger wurden die Forscher", schreibt der Medizinhistoriker Gradmann. Wenn Koch bald die Tuberkelbazillen besiegt haben würde, stünde auch die Vormachtstellung Deutschlands außer Frage, lautete die damals verbreitete Logik.

Lange Zeit blieb die Allmacht des Wissenschaftlers und seines Teams ein Traum. Sie schien jedoch Wirklichkeit zu werden, als Koch 1890 auf einem Kongress ankündigte, ein Mittel gegen die Tuberkuloseerreger gefunden zu haben, das Tuberkulin. Es werde die Krankheit ausrotten, versprach Koch, bei Meerschweinchen habe das Mittel bereits hervorragend gewirkt. Man glaubte ihm.

Dass Koch weder Gewebeproben seiner angeblich erfolgreich behandelten Versuchstiere präsentieren konnte, noch die Rezeptur seines Wundermittels offenbarte, störte zwar einige Kollegen, aber nicht die breite Bevölkerung. Das Land verfiel in einen Tuberkulinrausch.

Virchow deckt den "Tuberkulinschwindel" auf

Schnell waren Verträge für die Massenproduktion des Mittels unterzeichnet - zum ersten Mal in der Geschichte der Arzneimittel - und Koch verhandelte über seinen eigenen Anteil am Profit. 500 Dosen Tuberkulin sollten täglich produziert werden, das brächte einen Jahreserlös von 4,5 Millionen Reichsmark.

Sechs Jahre lang sollte diese Summe an ihn, Robert Koch, fließen. Danach sollte das Mittel an das Kaiserreich übergehen und Koch im Gegenzug seinen größten Wunsch erfüllt bekommen: ein unabhängiges Privatinstitut, wie es sein Kollege und Rivale Louis Pasteur in Paris besaß.

Zum ersten Mal seit Beginn seiner Karriere stieß Koch mit seinen Wünschen auf Widerstand. Ein von der preußischen Verwaltung unabhängiger Forscher erschien den Behörden gefährlich. Gleichzeitig kamen Zweifel am Tuberkulin auf. Die zu Tausenden behandelten Patienten erholten sich nicht, im Gegenteil, einigen schien es nach dem vermeintlichen Medikament sogar schlechter zu gehen als zuvor.

Der Arzt Rudolf Virchow, der Kochs Arbeiten stets skeptisch betrachtet hatte, zeigte schließlich anhand von Gewebeproben die Unwirksamkeit des Mittels. Der "Tuberkulinschwindel" war aufgedeckt. Koch musste zugeben, dass seine Wunderarznei nichts anderes war als ein Extrakt der Tuberkelbazillen.

War dem Wissenschaftler das Vertrauen in seine Fähigkeiten und die Bewunderung, die man ihm jahrelang entgegengebracht hatte, zu Kopf gestiegen? War der Wunsch nach einem eigenen Institut so übermächtig, dass er dafür die von ihm selbst aufgestellten Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens vergaß? Koch blieb jeglicher Kritik gegenüber uneinsichtig, zumindest nach außen hin.

Sein Ruf war gefährdet, zumal er sich in dieser Zeit von seiner Frau getrennt und eine Affäre mit einer 17-Jährigen begonnen hatte. Doch in den vergangenen Jahren hatte sich Koch auch mit Cholera und Typhus befasst, die ebenfalls viele Menschen dahinrafften. Wieder versprach man sich viel von Kochs Wissen.

Dass er sich auch mit anderen Erregern als den der Tuberkulose auskannte, hatte er bereits 1876 gezeigt, als er den Lebenszyklus des Milzbrandbakteriums beschrieben hatte. Und die Cholera war nicht nur in Berlin ein Problem, sondern auch in Afrika, wo sie, zusammen mit Tropenkrankheiten, die Einheimischen dahinraffte.

Ohne deren billige Arbeitskraft aber würde sich Deutschland niemals als Kolonialmacht in Afrika behaupten können. Also wurde Koch nach Afrika und Indien geschickt. Für den Forscher erfüllte sich damit ein Kindheitstraum. Schon als Junge hatte Koch davon geträumt, so wie sechs seiner 13 Geschwister nach Amerika auszuwandern oder wie Humboldt als großer Naturforscher um die Welt zu ziehen.

Jeder Mensch eine Gefahr für die Gesellschaft

Es dauerte eine Weile, bis Koch in verschmutztem Wasser dem Erreger der Cholera auf die Spur kam. Dann, mit der Entdeckung des Bakteriums Vibrio cholerae - den Namen hat es allerdings erst später erhalten - verlor auch die Durchfallerkrankung einen Teil ihres Schreckens. Abermals suggerierte der Anblick der auf einer Fotoplatte fixierten Mikroben, deren Ausrottung sei nur noch eine Kleinigkeit. Es war ein Trugschluss, wie schon bei der Tuberkulose.

Auf seinen Reisen lernte Koch auch die Schlafkrankheit kennen. Schnell hatte er das Gegenmittel Atoxyl parat. Koch verabreichte es Tausenden Menschen, ob sie wollten oder nicht. Koch war von seiner Idee nicht abzubringen, möglichst alle krankmachenden Mikroben auszurotten.

Als er erkannte, dass auch Gesunde Bazillen übertragen können, kam jeder Mensch in den Verdacht, eine Bazillenschleuder zu sein, eine Gefahr für die Gesellschaft. Doch abermals erwiesen sich Kochs Therapieversuche als wenig hilfreich. Die Behandelten starben zwar nicht mehr an der Schlafkrankheit, erlagen aber unter großen Schmerzen den Nebenwirkungen des Medikaments: Es enthielt hohe Dosen Arsen.

Während einer seiner Reisen erreichte Koch die Nachricht vom Nobelpreis. Es muss eine große Genugtuung für den Wissenschaftler gewesen sein, zumal einer seiner Schüler, Emil von Behring, die Auszeichnung bereits vier Jahre zuvor erhalten hatte. Das Schicksal hatte ihm übel mitgespielt, so sah es Robert Koch noch ein Jahr vor der Ehrung.

1904 schrieb er in einem Brief, "dass ich es bei meinem Arbeiten ganz besonders ungünstig getroffen habe und auf mehr Widerspruch und zwar ganz unberechtigten Widerspruch gestoßen bin als irgendein anderer." Fünf Jahre lang konnte sich Robert Koch noch über den Nobelpreis freuen. Dann starb er mit 67 Jahren, reich und herzkrank, in einem Sanatorium.

© SZ vom 27.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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