Raumfahrt:Der mechanische Astronaut

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Damit der Mensch im Weltraum überlebt, ist ein gigantischer Aufwand notwendig. Eine neue Generation humanoider Roboter soll ihm dort in Zukunft zur Hand gehen.

Alexander Stirn

Für einen Vierjährigen ist Justin ein ziemlich aufgewecktes Kerlchen. Er kann Eistee anrühren, er fängt Bälle mit einer Hand, er trägt Wasserkästen und gießt Getränke ein.

Vor vier Jahren haben die Ingenieure am DLR den Roboter Justin zum Leben erweckt. (Foto: DLR)

Und schon bald, so die Hoffnung seiner ehrgeizigen Eltern, wird er auch ins Weltall fliegen.

Justin ist ein Wunderkind, allerdings keines aus Fleisch und Blut: Unter seiner schicken blauen Haut verbergen sich Schaltkreise, Elektromotoren und Seilzüge - zusammengebaut von den Robotikexperten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen.

Vor vier Jahren haben die Ingenieure Justin zum Leben erweckt. Sie haben ihm ein menschenähnliches Gesicht verpasst, einen hageren Brustkorb und gewaltige, muskulöse Arme. Nur auf Beine muss der robotische Racker noch verzichten.

Die braucht er auch nicht, zumindest nicht da, wo er künftig herumhängen soll: Justin gehört zu einer neuen Generation humanoider Roboter, die nach und nach Astronauten zur Hand gehen sollen.

In vielen Bereichen könnten die Maschinen ihre menschlichen Kollegen sogar komplett ersetzen - worüber die Raumfahrer, wenn man sie fragt, nicht einmal traurig wären.

Vorerst muss sich Justin aber mit deutlich banaleren Tätigkeiten zufrieden geben. Vor den Toren Münchens, im fensterlosen Labor des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik, haben die Informatiker ihren Roboter zu einer typischen Praktikantenaufgabe verdonnert: Kaffeekochen.

Mit seinen tapsigen Fingern greift Justin eine herumliegende Kaffeekapsel, einen Becher, einen Zuckerstreuer. Er packt alles auf ein Tablett und rollt damit quer durch den Raum, fummelt die Kapsel in die Kaffeemaschine, hält den Becher darunter, drückt auf den Brühknopf und bietet dem Besucher schließlich eine frische Tasse Kaffee an. Sieben Minuten dauert die gesamte Prozedur. Justin bewältigt sie völlig autonom, ohne dass ihn jemand fernsteuern muss.

"Im Weltall werden wir natürlich keinen Kaffee kochen", sagt Christoph Borst und lacht. Der 39-Jährige leitet die Abteilung für Autonomie und Fernprogrammierung in Oberpfaffenhofen. Mit viel Geduld versucht er, Justin für den Arbeitsalltag fit zu machen, Kaffeekochen ist dabei eine willkommene Vorbereitung: "Die einzelnen Schritte sind gar nicht so schwer, die Herausforderung liegt vielmehr im Zusammenspiel der verschiedenen Aufgaben", sagt Borst. Genauso wie beim späteren Einsatz.

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Auf den ersten Blick wirken Justins Bewegungen ungelenk. Wer genauer hinschaut, sieht jedoch, dass der 45 Kilogramm schwere Torso durchaus feinfühlig zu Werke geht: Er hält seine 43 Gelenke in Fingern, Ellbogen und Schultern nicht mechanisch in der gewünschten Stellung steif - sie geben bewusst nach. Sensoren messen, wie stark der Druck auf die einstellbaren Federn jeweils ist.

Mit Hang zu theatralischen Posen: Der Robonaut2 der Nasa. (Foto: Nasa)

Dieser ausgeprägte Tastsinn hilft Justin, seine Sehschwäche zu überwinden: "Der Roboter sieht die Welt zwar mit einer Stereokamera, er kann Objekte aber allenfalls mit einer Genauigkeit von einem Zentimeter lokalisieren", sagt Borst. Das reicht, um eine Kaffeemaschine zu erkennen, doch es ist bei weitem nicht genug, um die filigrane Schublade für die Kaffeekapsel herauszuziehen. Justin tastet sich daher Millimeter für Millimeter am Griff entlang. Erst wenn er überall wie gewünscht Kontakt hat, greift er zu - und zieht die Schublade ohne ruckeln heraus.

Seine Feinfühligkeit hilft Justin auch im Umgang mit den Menschen. "Sobald der Roboter mit Astronauten zusammenarbeiten soll, werden sich Kollisionen nicht vermeiden lassen", sagt Borst. Das wäre nur möglich, wenn die Menschen mit einer Vielzahl von Kameras beobachtet und ständig erfasst würden - ein immenser, in der Praxis nicht zu leistender Aufwand.

Im Falle einer Berührung gibt der klügere Roboter daher nach: Borst drückt leicht gegen den Zeigefinger des kaffeekochenden Justin. Augenblicklich stoppt die Maschine und murmelt eine Fehlermeldung.

Weltraumroboter agierten nicht immer so sensibel. Als die DLR-Forscher 1993 ihren ersten Roboterarm ins All brachten, waren dessen Fähigkeiten deutlich beschränkt: Rotex konnte nicht viel mehr als ferngesteuert einen Würfel fangen - und war dennoch eine Sensation. Gut zehn Jahre später folgte der nächste Schritt: Mit Rokviss montierten die Ingenieure erstmals einen Roboterarm an der Außenseite der Internationalen Raumstation ISS. Rokviss trotzt erfolgreich den Widrigkeiten des Weltalls und lässt sich mittlerweile sogar mit einem Handy steuern.

Die Ehre, auch den ersten humanoiden Roboter auf der Raumstation zu betreiben, bleibt den deutschen Forschern allerdings verwehrt. Diese Chance will sich die US-Raumfahrtbehörde Nasa nicht entgehen lassen: Anfang November werden die Amerikaner ihren Robonaut2 zur ISS bringen - einen stattlichen Torso mit breiter Brust, goldenem Helm und einem Hang zu theatralischen Posen.

Mehr als zehn Jahre haben die Nasa, das Pentagon und General Motors an dem mechanischen Astronauten gebastelt, zu Beginn wird er trotzdem nicht sonderlich viel können: Der 140 Kilogramm schwere Robonaut soll vor allem zeigen, wie Roboter mit der Schwerelosigkeit und der kosmischen Strahlung klarkommen.

"Ursprünglich sollten wir Robonaut 2 nur auspacken und anschalten", erzählt der italienische Astronaut Paolo Nespoli, der im Dezember für die Europäische Raumfahrtagentur Esa zur ISS starten soll. "Wir wollten aber auch mit ihm interagieren und schauen, ob wir ihm vertrauen können." Nach Dienstschluss ließen sich Nespoli und seine Nasa-Kollegin Catherine Coleman daher in die Geheimnisse des Robonauten einweihen.

Die beiden Raumfahrer interessiert vor allem, ob ihr mechanischer Kollege seine Aufgaben immer in der gleichen, vorhersehbaren Art und Weise erledigt - oder ob sie sich auf komische Aktionen einstellen müssen. Ein bisschen Spaß will das ungleiche Trio aber auch haben: "Ich möchte dem Roboter jedenfalls beibringen, Flöte zu spielen", sagt Coleman.

Wirklich handfeste Aufgaben im All sehen anders aus. Aber die kämen auch für Justin noch viel zu früh: Seine mächtige Pranke mit dem Daumen und den drei Fingern ist etwa doppelt so groß wie eine menschliche Hand. Das reicht zwar zum Kaffeekochen, ist beim Umgang mit Werkzeugen, die für den Menschen entworfen wurden, aber eher hinderlich. Bajonettverschlüsse zum Beispiel, die gleichzeitig gedrückt und gedreht werden müssen, kann Justin nicht öffnen - zumindest nicht autonom. Dazu müsste er ferngesteuert werden.

Mit der nächsten Generation humanoider Roboter, die gleich nebenan erforscht wird, soll sich das ändern: Noch hängt der neue Arm schlaff von einer künstlichen Schulter herab. Die schützende Silikonhülle fehlt, das glänzende Metallskelett erinnert unweigerlich an die Maschinen aus den Terminator-Filmen.

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Hand-Arm-System, oder kurz Hasy, nennen die DLR-Forscher ihre neueste Errungenschaft. Während Justins Motoren und Module noch in den Fingern sitzen, ist bei Hasy die komplette Steuerung in den Unterarm gewandert. Die Finger werden mit Seilzügen bewegt.

"Die Hand ist dadurch kaum größer als die eines Menschen", sagt Borst. Vor allem aber kann sie fester zupacken. Justin stößt bei einem Kasten Bier an seine Grenzen, Hasy dagegen kann den Hammer schwingen: Zwei Schläge braucht der flexible Roboterarm, um einen Nagel zielgenau in einem Stück Holz zu versenken. Das wassergekühlte System schluckt dabei mehrere Kilowatt an elektrischer Leistung.

"Wir haben durchaus Respekt vor diesen Kräften", sagt Borst, "Angst haben muss man aber nicht." Im Gegenteil. Nach über einem Jahrzehnt Arbeit an mechanischen Systemen sind die DLR-Forscher mehr denn je überzeugt, dass sich der Mensch in seiner ganzen Komplexität nicht kopieren lässt. "Wir sind daher guter Dinge, dass die Menschheit nicht irgendwann von Robotern übernommen wird", sagt Borst.

Die Menschheit vielleicht nicht, aber womöglich der Job der Astronauten: "Zu einem gewissen Grad werden Roboter sicherlich unseren Platz einnehmen, und eigentlich bin ich ganz froh darüber", sagt Catherine Coleman. "Vieles von dem, was wir machen, ist einfach zeitraubend und gefährlich."

Ein Außeneinsatz zum Beispiel ist beim ersten Mal noch faszinierend. Beim fünften Ausstieg wegen einer defekten Klimaanlage nervt die schweißtreibende Arbeit nur noch. "Wenn wir während unserer Mission einige Einblicke bekommen, wie Roboter künftig besser gemacht werden können, wäre das ein großer Fortschritt", sagt die Nasa-Astronautin.

Notfalls könnte die Arbeit auf der ISS aber auch ohne Roboter weitergehen. Anders sieht das aus, wenn die Menschheit eines Tages tatsächlich zum Mars aufbrechen will: Autonome Roboter wären die perfekte Vorhut. Sie könnten Unterkünfte und Stromgeneratoren aufbauen, sie bräuchten weder Wasser noch Nahrung, und wenn etwas schief ginge, wäre das zwar schade, aber keine Tragödie.

"Ich glaube nicht, dass Menschen den Weltraum ohne die Hilfe von Robotern erobern können", sagt Simonetta Di Pippo, Esa-Direktorin für die Bemannte Raumfahrt. "Ich glaube aber auch nicht, dass Roboter diese Aufgabe alleine bewerkstelligen können." Um die vor ihnen liegenden Herausforderungen zu meistern, müssten Menschen und Maschinen künftig eng zusammen arbeiten, sagt Di Pippo. Und das nicht nur beim Kaffeekochen.

© SZ vom 28.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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