Psychologie:Randale im virtuellen Garten

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Veganer und Vegetarier, die anderen angeblich das Steak verleiden, sind zwar zum Standard-Gag im Kabarett geworden. Aber in den Gärten wird gegrillt, dass die Kohle glüht. (Foto: Si And Si via www.imago-images.de/imago images/Addictive Stock)

Neigen benachteiligte Gruppen eher zu Gewalt? Wie Forscher diese These mithilfe eines Garten-Simulators untersucht haben.

Von Christoph von Eichhorn

Der Versuchsaufbau: ein Frühstückstisch, Fruchtsaft, zwei Gläser. Die Probanden: zwei Kinder im Kita-Alter. Füllt man die beiden Gläser nun etwas ungleich, lässt das Ergebnis nicht lange auf sich warten. Vermutlich wird ein Kind lautstark protestieren, warum denn sein Geschwisterchen mehr bekomme. Unfair, gemein! Nachschenken bringt wiederum die Gegenseite in Wallung, die sich ihrerseits übervorteilt sieht. Willkommen in der Eskalationsspirale.

Eine wissenschaftliche Erklärung für dieses Verhalten liefert die "relative Deprivation". Laut dieser Theorie fühlen sich Menschen beraubt, wenn sie das Gefühl haben, weniger zu bekommen, als ihnen zusteht - auch wenn sie objektiv keinen Mangel leiden. Die Ausprägungen gehen weit über kindliche Wutausbrüche hinaus. So wird die Benachteiligung gesellschaftlicher Gruppen auch mit Krawallen und gewalttätigen Ausschreitungen in Verbindung gebracht, etwa als im Jahr 2011 Jugendliche in London Scheiben einschlugen und Geschäfte plünderten. Doch Belege für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Gewalt sind rar, die These folglich umstritten. Daher haben Psychologen das Ganze nun mithilfe eines Computerspiels untersucht.

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Forscher um Guillaume Dezecache vom University College London haben für den Versuch eine App programmiert, in der zwei Teams um die Wette einen Garten gestalten. Indem die Mitglieder einer Gruppe zusammenarbeiten, entstehen auf dem Bildschirm Blumen, Bäume oder Parkbänke. Auch wie der gegnerische Garten nebenan gedeiht, ist zu sehen. Doch das Spiel hat auch eine destruktive Seite. So kann eine Gruppe auch die Blumen der Nachbarn plattwalzen und deren Garten verwüsten.

In vielen Runden benachteiligten die Psychologen gezielt eine Seite. Diese musste doppelt so hart schuften, damit eine neue Pflanze wuchs. Gesagt hatten die Forscher den Spielern nichts von dem Eingriff. Diese sahen nur, wie der Garten ihrer Gegner deutlich rascher wuchs - und damit ihre eigene Frustration. Das Ergebnis: Benachteiligte Gruppen drückten deutlich häufiger den Zerstörungsknopf als unter gleichen Bedingungen, berichten die Forscher im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B.

Natürlich ist es nicht das Gleiche, ob man einen Schalter in einem virtuellen Spiel umlegt oder sich einem Aufstand in der realen Welt anschließt. Allerdings sehen die Forscher Hinweise, dass in beiden Fällen ähnliche psychologische Mechanismen am Werk sind. "Wenn die Frustration steigt, kommt irgendwann der Punkt, ab dem man aufhört, konstruktiv zu sein", sagt Dezecache. "Aggression setzt diesen Frust frei." In Befragungen gaben die Teilnehmer an, dass häufig der Vergleich mit den Gegnern ausschlaggebend für die Zerstörungsorgie war, nach dem Motto: Warum sind die schon so weit, hätten wir das nicht auch verdient?

Als unzureichend bezeichnet Dezecache hingegen die häufig von Politikern vertretene These, dass gewalttätige Gruppen eben aus aggressiven Personen bestehen. Schließlich ließ sich im Experiment jede beliebig zusammengewürfelte Mannschaft zum Randalieren hinreißen, sofern sie benachteiligt war.

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