Ölpest im Golf von Mexiko:Grenze des Machbaren

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Die Deepwater Horizon war ein Beispiel großer Ingenieurskunst. Doch je größer die Anlagen, desto weiter reichen die Konsequenzen, wenn Mensch oder Technik versagen.

Christopher Schrader

Ohne Energie wäre der Lebensstil nicht möglich, den die westlichen Länder genießen. Strom für das Licht, Öl für das Auto und Gas für die Heizung erlauben es dem Menschen, Kraft und Kreativität auf Ziele jenseits der blanken Existenzsicherung zu richten.

Die Bohrinsel Deepwater Horizon symbolisiert technischen Triumph und Umweltkatastrophe gleichermaßen. (Foto: Foto: AFP/AP/Reuters)

Er überschätzt dabei aber schnell seine Macht über die Technik und unterschätzt, was er alles nicht weiß. Jeder Fehler kann fatale Folgen für Leib, Leben und Umwelt haben. Je größer die Anlagen, desto weiter reichen die Konsequenzen, wenn Mensch oder Technik versagen.

Die Widersprüche zeigen sich besonders deutlich an der Bohrinsel Deepwater Horizon, die vor gut einer Woche im Golf von Mexiko explodiert und dann gesunken ist. Sie symbolisiert technischen Triumph und Umweltkatastrophe gleichermaßen.

Das mit großer Ingenieurskunst und hohem Aufwand gebaute Spezialschiff fährt seit Jahren im Auftrag des Ölkonzerns BP vor der Südküste der USA umher und bohrt nach neuen Ölvorkommen.

An einem Einsatzort angekommen, flutet es Wassertanks in seinen Pontons und sinkt zur Stabilisierung einige Meter tiefer ins Meer; seine Position über dem Bohrloch hält es mit Motorkraft, die jede Abweichung korrigiert.

Vor genau acht Monaten hat diese Bohrinsel Geschichte geschrieben. Unter 1259 Metern Wasser und 9426 Metern Fels war die Mannschaft damals auf Öl gestoßen - das ist, als würde man vom Gipfel des Mount Everest aus einen Kilometer unter den Meeresspiegel bohren.

Der Schauplatz der Rekordbohrung, das Tiber-Wells-Ölfeld, liegt etwa 500 Kilometer westlich vom Macondo-Gebiet, aus dem nun täglich 800.000 Liter Schweröl ins Meer strömen. Hier schreibt die Bohrinsel also erneut Geschichte, weil sie vermutlich die schwerste Umweltkatastrophe der USA ausgelöst hat.

Seit die Menschheit das Feuer gezähmt hat, nutzt sie Energiequellen an der Grenze des technisch Beherrschbaren. Das hat Kultur und Zivilisation vorangetrieben, den Wohlstand gemehrt. Aber immer wieder gerieten Menschen auf die falsche Seite der Grenzlinie und verloren Leben oder Lebensunterhalt. Längst haben die Anlagen dabei Dimensionen erreicht, in denen sie ganze Küstenregionen oder - im Fall von Kernkraftwerken - halbe Kontinente bedrohen.

Risikobewusstsein und Rücksicht für die Umwelt standen beim Fortschritt der Technik nie oben auf der Liste der Prioritäten. Für die Bohrindustrie zum Beispiel war es lukrativ und imageträchtig, Drillgerätschaften zu entwickeln, die im Erdreich ihre Richtung ändern und Kanäle horizontal durchs Erdreich treiben können.

Tonnenschwere Ventile zu konstruieren, die auch im tiefen Wasser verlässlich funktionieren, war womöglich langweiliger; immer wieder haben sie versagt. Dieses Muster durchzieht die Technikgeschichte: Für mehr Sicherheit wird erst auf äußeren Druck und nach Unglücksfällen gesorgt.

Darum liegt die Küche auf alten Bauernhöfen in einer Hütte abseits vom Wohn- und Stallgebäude. Darum ist der TÜV aus Vereinen zur Überwachung von Dampfkesseln entstanden. Darum sind für Öltanker doppelwandige Rümpfe vorgeschrieben.

Natürlich gehört die Risikoanalyse heute selbstverständlich zur Entwicklung neuer Technik. Auch bei der Genehmigung neuer Anlagen müssen die Betreiber einkalkulieren, was schiefgehen könnte, wie wahrscheinlich Unfälle sind und wie sie vermieden werden können.

Darauf halten sich die Industriegesellschaften viel zugute, und gebrauchen den Sachverstand der Ingenieure als Argument gegen Warnungen der Umweltschützer. Aber dieser Fortschritt ist brüchig. Im Fall von BP stellt sich heraus, dass ihr Umgang mit Gefahren auf mehreren Ebenen mangelhaft war.

Zum einen hat die Ölgesellschaft offenbar die Möglichkeit eines katastrophalen Lecks am Meeresboden den amerikanischen Behörden gegenüber systematisch heruntergespielt. Ein Unfall mit ernsten Umweltgefahren sei unwahrscheinlich oder nahezu unmöglich, hat sie behauptet. Zum anderen hat das Ventilsystem auf der Quelle versagt, in dem Schieber und Stöpsel das Bohrloch automatisch hätten verschließen sollen. Womöglich fehlte ein wichtiger Fernauslöser. Auch die in Reserve gehaltenen Tauchroboter schaffen es nicht, den sogenannten Blowout-Preventer zu aktivieren.

Mit dem Bohren in der Tiefsee wandelt die Industrie weiter an der Grenze des technisch Beherrschbaren. Und sie ist wieder auf der falschen Seite der Grenzlinie gelandet. Daher ist es an der Zeit, weitere technische Raffinessen der Ölindustrie auszulassen und die Richtung zu ändern.

Aktuelle Nachrichten aus Amerika zeigen, dass es anders geht. Vor wenigen Tagen ist dort der erste Offshore-Windpark genehmigt worden. Vor Cape Cod, an der Küste von Massachusetts, sollen 130 Windräder entstehen. Auch diese Technologie ist nicht ohne Risiko, die Wucht der Turbinen und Propellerblätter reicht ebenfalls an die Grenze des Beherrschbaren. Aber ein Fehler führt nicht gleich zur Katastrophe.

Deepwater Horizon lehrt, dass die Menschen ihre Energieversorgung künftig mit dezentralen, kleineren Anlagen sicherer, flexibler und umweltfreundlicher gestalten müssen.

© SZ vom 03.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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