Nobelpreis:Als Biologen Erbsen zählten

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Genetik, Hirnforschung, Umweltfragen: Viele inzwischen zentrale Forschungsgebiete gab es noch nicht, als Alfred Nobel seinen Preis stiftete. Eine Reform der Ehrung aus Stockholm ist überfällig.

Patrick Illinger

In den naturwissenschaftlichen Disziplinen hat das Nobelpreis-Komitee in Stockholm auch in diesem Jahr korrekt entschieden. Alle neun in den Kategorien Physik, Chemie und Medizin ausgewählten Nobelpreisträger des Jahres 2009 sind der Ehrung würdig. Die Laureaten haben die Wissenschaft und damit die Menschheit vorangebracht.

Als Alfred Nobel Ende des 19. Jahrhunderts den nach ihm benannten Preis stiftete, sah die Welt noch anders aus. (Foto: Foto: dpa)

Was Krebszellen so robust macht, wie aus der genetischen Software die Hardware eines Körpers entsteht sowie Digitalkameras und interkontinentale Glasfaserkabel - all das berührt unmittelbar die Lebenswelt am Beginn des 21. Jahrhunderts.

Ohne die Leistungen der einzelnen Preisträger im mindesten zu schmälern bleibt festzustellen, dass der Preis dringend renovierungsbedürftig ist. Die Kategorien, in denen er vergeben wird, repräsentieren das Wertesystem einer vergangenen Epoche - jener Ära am Ende des 19. Jahrhunderts, als der Dynamit-Erfinder Alfred Nobel den Preis stiftete.

Konrad Röntgen entdeckte damals gerade seine X-Strahlen, die großtechnische Herstellung von Ammoniak und Salpeter stand noch aus, und Deutschlands Industrie florierte dank der Herstellung von Farben.

In mehr als 100 Jahren Wissenschaftsgeschichte hat sich viel entwickelt, was im Nobelpreis - immerhin bis heute mit Abstand die wichtigste Ehrung für Forscher - zu wenig Niederschlag findet: zum Beispiel der Bedeutungszuwachs der Lebenswissenschaften.

Unvorhersehbare Entwicklungen

Während Biologen im 19. Jahrhundert Tiere abzeichneten und Erbsen zählten, sind Genetik, Molekularbiologie und Hirnforschung heute Leitwissenschaften. Sie nehmen in ihrer kulturellen Bedeutung jenen Rang ein, den Physik und Chemie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten.

Erkennbar schwer tun sich die Nobel-Jurys, diese Entwicklung in die herkömmlichen Kategorien des Preises zu pressen. Das wurde in diesem Jahr besonders deutlich: Die drei Medizin-Laureaten sind eigentlich Molekularbiologen, die drei Physiker im Grunde Ingenieure, und von den drei Chemikern ist einer Physiker, zwei sind Biologen.

Kritik an der veralteten Struktur des Nobelpreises kommt auch aus der Wissenschaft selbst. In einem Brief an das Nobel-Komitee haben soeben zehn prominente Wissenschaftler und Ingenieure eine Reform des Preises gefordert.

Gefahren wie den Klimawandel und Aids habe der Preisgründer Nobel nicht vorhersehen können, schreiben sie und plädieren dafür, Umwelt-Themen und Verdienste um die öffentliche Gesundheit nobelpreisfähig zu machen.

Die Argumente hierfür sind stark, schließlich würde das dem ursprünglichen Willen Nobels entsprechen. Dieser schrieb in seinem berühmten Testament, der Preis möge jenen zuteil werden, die im "verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben". Dieser Nutzen speist sich heute nicht mehr nur aus Syntheseverfahren oder Elementarteilchen.

Die Ausrottung der Malaria, die Gewinnung von Trinkwasser, alternative Energien - das wäre im 21. Jahrhundert von essentiellem Nutzen für die Menschheit, doch eine dem Nobelpreis vergleichbare Würdigung ist hierfür nicht vorgesehen.

© SZ vom 09.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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