46 000 Jahre Winterschlaf:Einmal richtig ausgeschlafen

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Manche Fadenwürmer können Jahrtausende in gefrorenem Boden überdauern. (Foto: K-State Research and Extension / CC-by-2.0)

Biologen haben Fadenwürmer reanimiert, die Tausende Jahre im Permafrost geruht hatten. Jetzt konnten die Wissenschaftler das Erbgut der Überlebenskünstler entziffern. Taugt ihre Strategie auch für Menschen?

Von Hanno Charisius

Nach 46 000 Jahren Winterschlaf zu neuem Leben erwachen: So ist es Nematoden im Labor ergangen. Russische Bodenforscher hatten die Fadenwürmer der Art Panagrolaimus kolymaensis in einer Probe entdeckt, die sie aus dem seit Jahrtausenden gefrorenen Permafrostboden im nordöstlichen Sibirien in der Nähe des Flusses Kolyma genommen hatten. Überstehen konnten die Würmer diese enormen Zeiträume in einem Zustand, den Biologen als Kryptobiose bezeichnen, als einen "Zustand zwischen Leben und Tod", wie Teymuras Kurzchalia sagt, Professor emeritus vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden. Mit 13 Kolleginnen und Kollegen berichtet er im Fachjournal PLOS Genetics über die Reanimation und biologische Analyse der bis dahin unbekannten Fadenwurmart.

Menschen haben einen doppelten Chromosomensatz. Von Vater und Mutter bekommen die Nachkommen jeweils einen Satz vererbt. Panagrolaimus kolymaensis dagegen hat einen dreifachen Satz an Chromosomen und kann sich wie heutige Panagrolaimus-Arten auch eingeschlechtlich fortpflanzen. Das sei auch sinnvoll, sagt Kurzchalia, denn in den Bodenschichten, die die neu entdeckte Nematode vor fast 50 000 Jahren bewohnte, dauerte der Sommer vielleicht nur einen Monat. Nicht viel Zeit für die Partnersuche, "und sonst herrschen vermehrungsunfreundliche Bedingungen", sagt Kurzchalia. "Der Wurm hat sich darauf eingestellt." Der extreme Lebensraum führt dazu, dass sich die Art nur sehr langsam vermehrt.

Nematoden wachsen auf einem Bakterienrasen

Indem sich der Wurm an die extremen Lebensbedingungen im Permafrost angepasst hat, sei es ihm gelungen, auch geologische Zeiträume zu überdauern, schreibt das Team in seinem Aufsatz. Es sei zum ersten Mal gezeigt worden, dass Nematoden derartig lange Zeiträume in der Kryptobiose überdauern können. Womöglich sei diesem Zustand auch gar kein biologisches Ende gesetzt. Begrenzt werde er vielmehr durch Änderungen in der Umwelt, radioaktive Strahlung oder andere abiotische Faktoren.

Kurzchalia fand mit seinem Team auch heraus, dass Panagrolaimus kolymaensis, wie andere Fadenwürmer auch, den Zucker Trehalose produziert, um seine Zellen vor scharfen Eiskristallen im Frost zu schützen. Daneben nutzt der Wurm eine Reihe weiterer Frostschutzmechanismen. Ob sich das auf den Menschen übertragen ließe? Man könnte menschliche Zellen im Labor vielleicht dazu bringen, ebenfalls frostfest zu werden, sagt Kurzchalia. Aber ganze Organe oder einen Körper? "Das ist Fantasie."

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Am Fluss Kolyma haben russische Wissenschaftler seit den 1960er-Jahren Bodenproben gezogen und untersucht. Diejenige, in der die nach dem Fundort benannten Panagrolaimus kolymaensis überdauert hatten, sei vermutlich in den 1980er- oder 90er-Jahren genommen worden, sagt Kurzchalia. Die russische Zoologin Anastasia Shatilovich hatte Ende 2017 mit ihrem Team in einem Fachmagazin über die erfolgreichen Wiederbelebung von Würmern aus dem über 40 000 Jahre alten Permafrost berichtet. Kurzchalia hatte daraufhin mit der Forscherin Kontakt aufgenommen, um das gemeinsame Projekt - die Entzifferung des Erbguts des Eiswurms - zu starten.

Die Genom-Analyse sei notwendig gewesen, um zu bestätigen, dass es sich wirklich um eine bislang unbekannte Art handelt, sagt Kurzchalia. "Sonst heißt es, es ist eine Verunreinigung mit einem neuzeitlichen Wesen." Dafür betrieb das Team in Dresden enormen Aufwand. Um das Erbgut der Tiere vollständig entziffern zu können, brauchte das Team zwischen 500 und 2000 Würmer. Viel Geduld sei bei der Zucht notwendig gewesen, erzählt Kurzchalia. Die Nematoden werden dazu auf einem Rasen aus Bakterien gehalten, von dem sie sich ernähren.

In den alten Bodenproben fanden die Forscher zudem Würmer, die es noch heute gibt. Das Überlebenstalent der Würmer mag beeindruckend wirken, doch ist es lächerlich im Vergleich zu den Fähigkeiten mancher Bakterien, die auch nach Millionen Jahren wieder zum Leben erwachen können.

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