Naturschutz:"Der trübste Fluss Deutschlands"

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Das 326 Meter lange Kreuzfahrtschiff "Norwegian Escape" im September 2015 auf dem Weg in die Nordsee. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Die Ems galt mal als besonders sauber. Dann kamen die großen Kreuzfahrtschiffe.

Von Thomas Hahn, Weener

Vom Deich bei Weener geht der Blick über die Ems. Über dürre Bäume und welkes Schilf. Es ist Ebbe, deshalb liegen die Schlickbänke frei, und man kann die Schottersteine sehen, die das Ufer befestigen. Die alte Friesenbrücke sieht traurig aus. Der Frachter Emsmoon hat sie im Dezember gerammt. Seither ist sie zerrissen und steht da wie ein verwundeter Stahl-Koloss, der den schönen Zeiten nachtrauert, als er für Züge, Radfahrer und Fußgänger die wichtigste Verbindung zwischen Rheiderland und Overledingerland war.

Die Ems selbst macht einen ganz guten Eindruck. Es hat fast etwas Tänzerisches, wie sie so still und in tausend Verwirbelungen Richtung Nordsee fließt, und unterm wolkenlosen Himmel schimmert sie blau. Allerdings muss Beatrice Claus von der Naturschutz-Organisation WWF den schönen Schein später wieder sich auflösen lassen. "Im Winter geht es der Ems am besten, weil dann viel Wasser von oben kommt und der Schlick rausgespült wird", sagt sie. Den aktuellen Zustand des Flusses beschreibt sie ohne falsche Freundlichkeit. "Er ist sehr schlecht."

(Foto: karte_ems)

Flüsse sind die Lebensadern des Landes. Sie weisen die Wege zum Meer. Sie verbinden Regionen. Sie sind ein Lebensraum, in dem der Mensch schon immer seine Chance gesucht hat. An Flüssen hat er gesiedelt, über Flüsse hat er seine Güter transportiert. Und auch wenn es längst Autostraßen gibt, Schienen für Züge und Flugzeuge, so sind die Flüsse immer noch eine wichtige Säule der mobilen Gesellschaft. Allerdings sind Flüsse Teil der Natur. Von selbst sind sie nie mitgewachsen mit den Ansprüchen des Menschen, weshalb der Mensch früh angefangen hat, die Flüsse zu verändern. Im Laufe der Jahrhunderte hat er sie begradigt, ausgebaggert, gebändigt. Heute sind Flüsse so etwas wie Zentauren der Landschaft. Halb Bauwerk, halb Natur. Gut geht es ihnen dabei nicht, und vielerorts hat sich gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann. Zum Beispiel an der Ems.

Die Flüsse des Nordens stehen unter besonderem Druck. Sie sind die Zubringer zu den Übersee-Häfen. Sie sollen Schiffe tragen, die im Grunde nur für die hohe See geeignet sind und die im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung außerdem immer größer werden. Seit Jahren gibt es erbitterte Kämpfe zwischen Industrie und Umweltschützern um den nächsten Ausbau von Weser und Elbe, welche die Vertreter der Wirtschaft ganz unromantisch "Fahrrinnenanpassung" nennen. An der Ems hat es diese Kämpfe auch gegeben. Gewonnen hat dabei bisher die Industrie. Aber jetzt muss sich etwas ändern. Der Fluss hat die Grenze seiner Belastbarkeit erreicht.

Seit den Achtzigerjahren ist der Unterlauf der Ems schrittweise für den großen Schiffsverkehr bis zu einer Tiefe von 6,30 Meter ausgebaut worden. Den größten Bedarf hat die Meyer-Werft, die letzte überlebende Werft in Papenburg, ein wichtiger Arbeitgeber der Region mit 3300 Mitarbeitern. Das Familienunternehmen Meyer Werft, gegründet 1795, ist bekannt dafür, dass es mächtige Kreuzfahrtschiffe baut. Zwei Mal im Jahr, im Frühjahr und Herbst, wird die Ems um einen zusätzlichen Meter ausgebaggert, damit die weißen Riesen von der Produktionsstätte Richtung Nordsee in ihr Leben als schwimmende Luxushotels gleiten können.

Kreuzfahrtschiff "Quantum of the Seas"
:Gigant durchs Nadelöhr

Sie ist das größte Kreuzfahrtschiff, das jemals in Deutschland gebaut wurde. Die erste Fahrt der "Quantum of the Seas" ist deshalb knifflig. Rückwärts durch die enge Ems muss sie das offene Meer erreichen.

Für die Umweltverbände sind die Vertiefungen die Ursache dafür, dass eine mehrere Meter dicke Schlickschicht die Gewässersohle der Ems über viele Monate im Jahr auf einer Strecke von 20 Kilometern bedeckt und dort praktisch das komplette Leben im Fluss erstickt. Die Strömung hat sich wegen des Ausbaus verändert, die Flut trägt mehr Schlick denn je aus der Nordsee ins Bett der Ems. Bis 1980 war die Wasserqualität der Unterems laut WWF "beispielhaft gut". Heute nennt Beatrice Claus sie "den trübsten oder schlickigsten Fluss Deutschlands". Peter Hackmann, Sprecher der Meyer-Werft, findet die Erklärung der Umweltverbände für die Verschmutzung zu einfach. Aber er muss zugeben, dass "unsere Schiffsgrößen eine besondere Herausforderung" sind. Und Fakt ist, dass das Land Niedersachsen Druck von höchster europäischer Ebene bekam, weil der Zustand der Ems so schlecht ist.

"Die Meyer Werft hat ein starkes Interesse an einer intakten, schlickfreien Wasserstraße Ems."

"Die EU-Kommission verlangt die Umsetzung von seit mehreren Jahren vorliegenden Richtlinien", erklärt Niedersachsens Umweltministerium auf seiner Online-Seite, "Niedersachsen hat lange Zeit versäumt, auf die Forderungen ausreichend zu reagieren, und damit ein Vertragsverletzungsverfahren riskiert." Die Folge der drohenden Sanktionen ist der sogenannte Masterplan Ems 2050, der dafür sorgen soll, dass die Unterems nicht mehr nur eine tote Fahrrinne ist, sondern auch wieder ein lebendiger Naturraum wird. Kluge Bauwerke und natürliche Auffangbecken, sogenannte Polder, sollen die ursprünglichen Strömungsverhältnisse der Ems wiederherstellen. Den Plan haben nicht nur Bund, Land, die betroffenen Landkreise und die Stadt Emden unterzeichnet - sondern auch die Umweltverbände WWF, BUND und Nabu sowie die Meyer-Werft. Bedeutet das Frieden zwischen Aktivisten und Werft? "Die Meyer Werft hat ein starkes Interesse an einer intakten, schlickfreien und befahrbaren Wasserstraße Ems", erklärt das Unternehmen. Beatrice Claus sagt: "Das Ringen um Schutz und Nutzung der Ems hat nicht aufgehört."

Naturraum in Gefahr: Die Ems bei Leer in Ostfriesland. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Seit einem knappen Jahr gibt es den Masterplan. Er ist nicht unumstritten. Lokale Naturschützer finden ihn zu schwach. Landwirte befürchten Nachteile, weil der Plan vorsieht, bis 2050 etwa 700 Hektar an Ausgleichsflächen für die Renaturierung zu schaffen. Die Unterzeichner lassen sich davon vorerst nicht anfechten. Man befinde sich im Zeitplan, heißt es von Umweltministerium und Umweltverbänden. Machbarkeitsstudien und Verfahren sind angelaufen. Verschiedene Planungen sind auf dem Weg, unter anderem die für einen Pilotpolder an einem Altarm der Ems oberhalb Papenburgs. Aber das heißt natürlich noch nicht viel bei einem Vorhaben, das erst in 34 Jahren abgeschlossen sein soll.

"Die Herstellung eines naturnahen Lebensraumes an der Ems braucht Zeit", erklärt Niedersachsens Umweltministerium. Beatrice Claus sagt: "Wir werden 2020 Bilanz ziehen, ob der Masterplan ein Erfolg für den Schutz der Ems ist oder nicht." Es ist eben schwieriger, einen Naturraum wiederherzustellen, als ihn kaputt zu machen.

Eine meterdicke Schlickschicht erstickt auf einer Strecke von 20 Kilometern über mehrere Monate im Jahr praktisch jedes Leben im Fluss. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)
© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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