Migration:Schöner sprechen mit Doppelpass

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Verschiedene Sprachen lernen zu dürfen ist ein Schatz von unfassbarem Wert. (Foto: Ulrich Baumgarten/pa/dpa)

Die Wissenschaft zeigt: Menschen lassen sich heute nicht mehr auf eine Nationalität und eine Sprache reduzieren - auch wenn sich das so manch konservativer Politiker wünscht.

Kommentar von Astrid Viciano

Ein Pass, eine Sprache, eine Kultur. Wie fabelhaft wäre es doch, wenn sich alle Menschen in diesem Land gleichmachen ließen. Davon jedenfalls scheint die CDU/CSU zu träumen, die nun angekündigt hat, sich im Wahlkampf 2017 mal wieder gegen die doppelte Staatsbürgerschaft auszusprechen. Nur einem Land könne man loyal sein, behauptet Michael Grosse-Brömer, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Und klingt mit seiner vermeintlich fabelhaften Idee fast wie ein in die Jahre gekommener Märchenonkel.

Längst ist die Gesellschaft in Deutschland zu divers geworden, um Menschen in derart simplen Kategorien zu betrachten. Längst haben sich Folgegenerationen von Migranten an vielen Orten zu sehr durchmischt, um Individuen in eine einzige Nationalität zu zwängen wie in einen zu klein geratenen Schuh. Oder auf eine Sprache zu reduzieren, wie es ebenfalls gern versucht wird. Denn auch hier dominiert in Deutschland noch immer das alte Selbstverständnis, nach dem Menschen eines Landes alle ein und dieselbe Sprache sprechen sollten.

Dass ein Kind nur eine Sprache richtig lernen kann, ist ein Mythos

Bis heute hält sich sogar der Mythos, dass ein Kind nur eine einzige Sprache richtig lernen kann. Und dass Migrantenkinder sich ausschließlich die deutsche Sprache aneignen sollten, um sich besser in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Dabei empfehlen Sprachwissenschaftler seit Jahren, die Muttersprache der Migranten parallel weiterhin zu fördern. Weil die Kleinen ein höheres Niveau im Deutschen erreichen, wenn sie auch ihre Familiensprache weiterentwickeln. Stattdessen müssen sich diese Eltern oft im Kindergarten oder der Schule anhören, dass ihre Heimatsprache weniger wichtig ist als die deutsche, vor allem wenn es sich um Türkisch oder Russisch handelt. Sogar Schüler sind bereits so geprägt, dass sie diese Sprachen unsympathisch finden, ergab eine Umfrage.

Welchen Mehrwert die Bilingualität darstellt, welchen Reichtum Migranten mitbringen, wird dagegen gern übersehen. Die CDU/CSU will dagegen, dass sich Migranten und ihre Folgegeneration künftig entscheiden müssen zwischen alter und neuer Heimat. Vielfalt ist unerwünscht. Dabei wissen Forscher längst, dass sich Migranten nur schwer von ihrem Ursprungsland lösen, vor allem aus emotionalen Gründen. Zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, bestärkt sie dagegen darin, hierzulande gleichberechtigt mit anderen Deutschen an der Gesellschaft teilhaben zu können. Und vielleicht ihre sprachlichen und kulturellen Kompetenzen einzusetzen, in binationalen Unternehmen, in der internationalen Jugendarbeit oder sogar in der Politik.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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