Debatte um Loyalitäten:Wie doppelte Staatsbürgerschaften zustande kommen

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Kommen die Eltern aus unterschiedlichen Ländern, kann ein in Deutschland geborenes Kind sogar drei oder vier Staatsangehörigkeiten besitzen. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)
  • Doppelte Staatsbürgerschaften zu erfassen, ist extrem schwierig; die Zahlen dazu deshalb unsauber.
  • Um zwei oder mehr Pässe zu bekommen, müssen mehrere rechtliche Grundlagen erfüllt sein.
  • Der Deutsche Anwaltverein warnt vor Änderungen, nur um Erdoğan-Anhänger zu bestrafen.

Von Bernd Kastner, München

Die vielen roten Fahnen, die für den türkischen Präsidenten Erdoğan in Deutschland wehen, lassen eine alte Debatte aufleben: Wie sinnvoll ist der Doppelpass? Länder-Innenminister der Union stellen die mehrfache Staatsangehörigkeit infrage. SPD und andere wollen sie behalten. Sie sei "eine soziale Realität", sagt Volker Beck, migrationspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. "Wenn sich ein paar Menschen auf Deutschlands Straßen hinter die autoritäre Politik eines Erdoğan stellen, ist das ein Problem der demokratischen und politischen Bildung, aber kein Problem des Passes." So viel diskutiert wird, so wacklig sind die zugrunde liegenden Zahlen: Wie viele Doppelstaatler leben überhaupt in Deutschland?

Zwar hat das Statistische Bundesamt in Wiesbaden vor zwei Jahren vermeintlich exakte Daten veröffentlicht. Deren Aussagekraft aber, so heißt es heute aus demselben Amt, sei gering. Die Zahl der Doppelstaatler lasse sich nur schätzen. Knapp 4,3 Millionen sollen es gemäß dem Zensus von 2011 sein, der vor allem auf den kommunalen Melderegistern basiert. Diese jedoch gelten den Statistikern als unsauber.

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Warum, erklärt Franz Hetzenegger, der im Münchner Kreisverwaltungsreferat, einer der größten Meldebehörden Deutschlands, den dafür zuständigen Bereich leitet: Die Daten im Register beruhen auf den Angaben der Bürger. Die aber wüssten oftmals gar nicht, dass sie eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen. Beispiel: Jemand hat aufgrund seines kroatischen Vaters einen kroatischen Pass in der Tasche - ohne sich bewusst zu sein, dass er dank seiner bosnischen Mutter auch die bosnische Staatsbürgerschaft besitzt und einen solchen Pass bekommen könnte.

Andere wiederum vergessen zu melden, wenn sie ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft abgeben. In der Bundesstatistik in Wiesbaden wiederum sind in den angeblich 4,3 Millionen Doppelstaatlern auch Staatsbürgerschaften von Ländern eingerechnet, die gar nicht mehr existieren: Sowjetunion, Jugoslawien, Tschechoslowakei. Entsprechend mit Vorsicht sind auch darauf basierende Aufschlüsselungen zu genießen: 690 000 Deutsch-Polen, 570 000 Deutsch-Russen, 530 000 Deutsch-Türken.

Die zweite offizielle Zahl dagegen hält man im Bundesamt für zu niedrig. Der jährlich durchgeführte Mikrozensus liefert sie. Der basiert auf persönlicher Befragung von einem Prozent der Bürger und ergab für das Jahr 2014 nur 1,6 Millionen Doppelstaatler. Hier wiederholt sich das Problem der Meldeämter, man ist auf die Angaben der Bürger angewiesen. Die Wahrheit, heißt es bei den Statistikern, dürfte also irgendwo zwischen 4,3 und 1,6 Millionen Doppelstaatlern liegen.

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Und wie kommt man überhaupt zu zwei Pässen? Da sind zunächst die selbstverständlichen Fälle, nämlich die Kinder aus binationalen Partnerschaften. Sie besitzen in der Regel zwei Staatsbürgerschaften. Ist Vater oder Mutter deutsch, bekommt das Kind automatisch einen deutschen Pass. Das Kind eines deutschen Paares kann aber auch von Geburt an eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen, wenn es etwa in den USA oder Kanada zur Welt kommt.

Komplizierter wird es, wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft später erwerben will, sich also einbürgern lässt. Dann gilt der Grundsatz, dass der alte Pass abzugeben ist - mit vielen Ausnahmen. Lässt sich ein EU-Bürger in Deutschland einbürgern, muss er seinen italienischen, französischen oder britischen Pass nicht zurückgeben. Dasselbe gilt für Schweizer.

Für Nicht-EU-Bürger gibt es mehrere Wege zum Doppelpass. Wird ein Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren und leben Vater oder Mutter seit mindestens acht Jahren mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht im Land, erhält dieses Kind automatisch auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Auf diesem Wege sind sogar drei oder vier Staatsangehörigkeiten möglich, wenn die Eltern aus unterschiedlichen Ländern kommen und Vater oder Mutter ihrerseits Doppelstaatler sind.

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Bis vor zwei Jahren musste sich dieses Kind zwischen dem 18. und 23. Geburtstag entscheiden, welchen Pass es behalten möchte. Diese "Optionspflicht" wurde 2014 abgeschafft, seither darf ein als Doppelstaatler Geborener in der Regel beide Pässe behalten. Nur wenn das Kind im Ausland aufgewachsen ist, muss es sich entscheiden.

Auch viele eingebürgerte, anerkannte Flüchtlinge werden zu Doppelstaatlern: Ihnen will man nicht zumuten, mit ihrem Heimatland wegen des Passes nochmals Kontakt aufzunehmen. Bei Bürgern aus Iran, Afghanistan, Nigeria oder Brasilien drückt der deutsche Staat ein Auge zu: Diese Staaten "entlassen" ihre Bürger nicht, sie bekommen den deutschen Pass zusätzlich. Und dann gibt es die Deutschen, die eine andere Staatsbürgerschaft erhalten. Ihren deutschen Pass dürfen sie behalten, wenn die deutschen Behörden dies ausdrücklich genehmigen, was aber selten vorkommt.

Gisela Seidler, Vorsitzende des Ausschusses für Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltverein, ist zufrieden mit der aktuellen Regelung. Sie habe sich als praktikabel erwiesen. Die Anwältin warnt vor Änderungen, nur um jene Deutsch-Türken "zu bestrafen", die Erdoğan zujubeln. Die Wege zum Doppelpass zu ändern würde eine enorme Rechtsunsicherheit bedeuten und einen hohen Verwaltungsaufwand. Außerdem träfe man nicht nur die Erdoğan-Anhänger, sondern alle Doppelstaatler.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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