Ich bin kein Vegetarier. Gelegentlich verzehre ich Fleisch. Und ich rechtfertige es damit, dass die geringe Menge, die ich verbrauche, für den Klimawandel kaum eine Rolle spielt. Ich hoffe, dass das Fleisch, das ich esse, nicht dazu führt, dass andere Menschen hungern müssen. Schließlich werden mehrere Kilogramm pflanzliche Nahrung benötigt, um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren - Nahrung, die mehr Menschen satt machen würde als ein totes Tier.
Ich hoffe, dass das Fleisch nicht aus der Massentierhaltung stammt, in der die Tiere leiden. Ich hoffe vielmehr, dass die Schweine, Rinder und Hühner, die für mich sterben mussten, artgerecht gehalten und ohne Schmerzen getötet wurden.
Aber sind diese Hoffnungen berechtigt, oder belüge ich mich selbst, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen?
Menschen sind Allesfresser
Wieso aber habe ich überhaupt ein schlechtes Gewissen, weil Tiere auf meinem Speiseplan stehen? Schließlich sind wir Menschen biologisch gesehen Allesfresser. Unser Körper ist das Ergebnis einer Evolution, während der sich unsere Vorfahren daran angepasst haben, pflanzliche UND tierische Nahrung verwerten zu können. Wir sind Generalisten. Das hat dem Menschen ermöglicht, völlig verschiedene "ökologische Nischen" - von Grönland über den Dschungel bis hin zur Sahara - zu besiedeln. Die Fähigkeit, Fleisch nutzen können, gehört also ganz klar zum Menschen.
Andererseits - und das ist eben auch ein typisches Merkmal unserer Art - sind wir nicht zwingend auf Fleisch angewiesen. Das leben uns zum Beispiel Vegetarier, Veganer, Fruktarier, manche Buddhisten und Jainas vor. Und insbesondere der Lebensstil von Vegetariern in unserer Gesellschaft ist der Gesundheit vielleicht sogar förderlich. Zumindest gibt es Studien, die darauf hindeuten.
Wenn wir ehrlich sind, können wir kaum leugnen: Fleisch ist für uns heute vor allem ein Luxusartikel, der die Speisekarte derjenigen bereichert, die es sich leisten können. Mit zunehmendem Wohlstand wird mehr Fleisch konsumiert - das zeigen beispielsweise die Entwicklung in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg und die gegenwärtige Zunahme des Fleischverbrauchs in Schwellenländern wie China und Indien. Bei uns kommt Fleisch nicht mehr aus Notwendigkeit auf den Tisch. Wir essen es, weil es uns schmeckt und wir daran gewohnt sind.
Wir mögen also vielleicht von Natur aus Allesfresser sein. Aber damit können wir das Töten von Tieren nicht rechtfertigen.
Wir können Fleisch essen - aber wir müssen nicht. Ein Verzicht schränkt lediglich unsere kulinarischen Genüsse ein.
(Foto: dpa-tmn)Mitleidslose Natur
Einen Tiger kümmert es nicht, dass der Hirsch, den er schlägt, Schmerz und Verzweiflung spürt. Die Katze spielt gnadenlos mit der Maus, bevor sie sie tötet. Die Schlupfwespe interessiert sich nicht für das, was die Raupe fühlt, in die sie ihre Eier legt, und die von ihren Larven bei lebendigem Leibe von innen her aufgefressen wird. Die Natur, so sagt es der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, "interessiert sich weder auf die eine noch auf die andere Weise für Leid, solange das Überleben der DNA nicht beeinträchtigt wird". Das heißt, nur wenn es für die Ahnen des Tigers von Vorteil gewesen wäre, auf Schmerzen der Beute Rücksicht zu nehmen, hätte sich bei ihnen eine Fähigkeit entwickelt, dies zu tun.
So voller "Elend" ist die Natur, schrieb Charles Darwin 1860, dass er an der Existenz eines wohlmeinenden Schöpfers zweifelte. Und wer sich nicht auf religiöse oder ideologische Quellen verlassen möchte, der sucht in der Natur tatsächlich vergeblich nach so etwas wie einer allgemein gültigen natürlichen Ethik oder Moral oder gar einem "Naturrecht". Vor diesem Hintergrund ist es erst einmal schwierig zu rechtfertigen, dass man jemandem, dem es nach Fleisch gelüstet, verbieten will, was jedem Raubtier zugestanden wird.
Unterschiedliche Rechte für verschiedene Arten?
Manche Menschen allerdings vertreten den Standpunkt, dass jedem Lebewesen grundsätzlich ein Recht auf Leben, und zwar auf ein möglichst leidensfreies Leben, zugesprochen werden muss. Genauso wie Menschen es für sich selbst auch in Anspruch nehmen. Und dem lässt sich grundsätzlich nicht widersprechen. Welches Recht haben Menschen, über die Rechte von Tieren überhaupt zu urteilen?
Auf philosophischer Ebene versuchen Tierethiker wie der Australier Peter Singer sich zwar an einer Abstufung: Sie unterscheiden mehr oder weniger gravierende Eingriffe und orientieren sich dabei an Eigenschaften wie der Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden und daran, ob ein Lebewesen über ein Selbstbewusstsein verfügt. Letztlich bleibt es aber doch dabei, dass sich jeder Mensch auf den Standpunkt zurückziehen kann: Was der Tiger und die Schlupfwespe dürfen, darf ich auch.