Klimakrise:Die innere Uhr stimmt nicht mehr

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Eine Herde Afrikanischer Elefanten zieht durch den Amboseli-Nationalpark in Kenia. (Foto: IMAGO/Zoonar.com/RealityImages/IMAGO/Zoonar)

Die Vereinten Nationen warnen: Durch die globale Erwärmung passen die Reisepläne wandernder Tiere oft nicht mehr zu den Bedingungen am Ziel. Das birgt auch für die Menschen ein Risiko.

Von Thomas Krumenacker

Vom Elefanten in Afrika bis zum Karibu in Alaska, vom schwersten Tier der Erde, dem Blauwal, bis zur weniger als federleichten Libelle: Überall auf der Erde sind an jedem Tag wandernde Tiere unterwegs. Sie laufen, fliegen, kriechen und schwimmen dorthin, wo das Klima ihnen die meiste Nahrung verspricht. Zugvögel tauschen den europäischen Winter gegen den insektenreichen afrikanischen Frühling, Eisbären wandern im Herbst zu den Meereisrändern, um Robben zu jagen, und Millionen Zebras, Gnus und Gazellen folgen dem Regen durch die afrikanischen Savannen auf der Suche nach frischem Grün und Wasser.

Doch gleich, ob millionenfacher Vogelzug, die einsame Reise der Meeresschildkröten durch die Ozeane oder die Massenwanderungen von Huftieren durch Steppen, Savannen und Prärien: Das globale System der Tiermigration gerät durch den Klimawandel immer stärker aus dem Tritt, stellen Experten in einem am Sonntag auf der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai vorgestellten, von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Bericht fest. Schon heute habe die Erderwärmung katastrophale Auswirkungen auf die Tierwanderungen und damit auf die Bestände zahlreicher Arten auf allen Erdteilen und unter allen Tiergruppen, heißt es in dem Report.

Wandernde Tierarten leiden besonders stark unter den Folgen des Klimawandels, weil sie die mit der Erderwärmung einhergehenden Veränderungen gleich an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Lebensräumen treffen. In ihren Brut- und Aufzuchtregionen, an Rastplätzen und im Überwinterungsgebiet selbst. "Die Gefahren durch Klimafolgen wie den Anstieg der Meeresspiegel, Dürren, Stürme oder Überschwemmungen potenzieren sich damit für ziehende Arten", warnen die Experten.

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Weitreichende Auswirkungen auf die Tierwanderungen konnten den Forschern zufolge mittlerweile in allen Ökosystemen und für alle Ausprägungen des Klimawandels nachgewiesen werden. Schon heute stellen beispielsweise nach einem Hitzesommer ausgetrocknete Feuchtgebiete und trockengefallene Flussbetten ziehende Wasservögel und wandernde Fische vor große Probleme. Für manche Arten können diese zur existenziellen Bedrohung werden. Berechnungen zufolge fällt bis zur Jahrhundertwende mehr als jedes zweite Feuchtgebiet entlang der Vogelzugroute zwischen Europa und Afrika der Trockenheit zum Opfer.

Besonders stark sind Arten betroffen, die über Kontinente hinweg pendeln

Deutlich sichtbar sind die Folgen der Erderwärmung auch in den Weltmeeren und in den arktischen Regionen. Der Temperaturanstieg verändert dort den Stoffwechsel von Fischen und führt zu einem starken Rückgang der Krill-Bestände in der Antarktis. Die Folge des Schwundes der kleinen Krabben ist Nahrungsmangel für Fische und in der Folge für die Tiere, die von diesen leben und ihnen hinterherwandern: Betroffen sind davon etwa Raubfische, Wale, Pinguine und Meeresvögel.

Besonders stark sind der Analyse zufolge Arten betroffen, die über riesige Distanzen über Kontinente hinweg pendeln. Sie müssen damit zurechtkommen, dass die Erwärmung die zeitlichen Abläufe der Natur regional sehr unterschiedlich verändert. Zugvögel aus Europa etwa haben in Millionen Jahren der Evolution eine innere Uhr entwickelt, die dafür sorgt, dass sie genau dann aus Afrika zurückkehren, um ihre Jungen aufzuziehen, wenn die Entwicklung der Insekten ihren Höhepunkt hat. Weil der Klimawandel für eine immer frühere Vegetationsentwicklung sorgt, gerät diese Verzahnung aus dem Takt. Mit der Vorverlagerung des Frühlings ist der Höhepunkt des Insekten-Booms bereits vorbei, wenn die Jungvögel aus ihren Eiern schlüpfen. Die Folgen sind Unterernährung oder der Tod vieler Jungtiere.

Immer mehr Studien zeigen, dass Tiere überall auf der Erde und in allen Lebensräumen versuchen, sich anzupassen. Vögel kehren früher aus dem Winterquartier zurück, und afrikanische Wildhunde gebären ihre Welpen später, um sie vor der Hitze zu schützen. Auch Wale, die sich in der Antarktis ernähren und in den Tropen fortpflanzen, kommen jetzt früher in den Brutgebieten an. Doch die Anpassungen haben ihren Preis: Weil Zugvögel ihre Rastzeiten verkürzen, erreichen sie ihr Ziel oft in schlechter Verfassung und haben einen geringeren Bruterfolg. Und bei Wildhunden in Afrika stellten Forscher fest, dass die spätere Wurfzeit zu mehr Hitzetoten unter den Jungtieren in der Aufwuchsphase führt. Hitzestress tötet schon heute große Mengen an Seevögeln und Fischen. Immer mehr Tierarten reagieren auch mit einer Flucht in Richtung der Pole auf die steigenden Temperaturen. Das Phänomen zeigt sich auch in Europa, wo sich die Verbreitung aller 600 Vogelarten in den vergangenen Jahrzehnten im Mittel um fast 30 Kilometer nach Norden verschoben hat - um einen Kilometer pro Jahr.

"Die Auswirkungen des Klimawandels haben das Potenzial, das Funktionieren und den Zusammenhalt von Ökosystemen weltweit zu zerstören", warnt der UN-Bericht. Damit wären auch für das Überleben der Menschheit grundlegende Naturleistungen in Gefahr: Vögel, Insekten und Fledermäuse bestäuben mehr als zwei Drittel der weltweiten Nutzpflanzen. Sie verbreiten auf ihren Wanderungen Samen und schaffen damit klimastabile Wälder - und sie tragen selbst aktiv zum Klimaschutz bei.

So speichern Meeresfische und Wale große Mengen an Kohlenstoff in ihren Körpern, während die riesigen Huftierherden in afrikanischen Savannen und asiatischen Steppen durch ihr Weideverhalten Kohlenstoff binden. Wissenschaftler glauben, dass allein durch einen besseren Schutz vor allem wandernder Wildtiere in jedem Jahr mehr als sechs Milliarden Tonnen Kohlendioxid zusätzlich in Ökosystemen gebunden werden können - fast so viel, wie nach Berechnungen des Weltklimarats als "negative Emissionen" aus der Atmosphäre entnommen werden müssen, um die globale Erwärmung innerhalb der Pariser Klimaziele zu halten. Ein intaktes System der Tiermigration schaffe eine Win-win-Situation für Klima und Wildtiere, glaubt auch die Chefin der UN-Konvention zum Schutz wandernder Tiere, Amy Fraenkel: "Es kann keine 'Netto-Null' ohne die Wiederherstellung der Natur geben."

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