Expedition zum Nordpol:Lauwarm erwischt

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Die Polarstern ist am Montag nach Bremerhaven zurückgekehrt. (Foto: AFP)

Mit der Mosaic-Expedition ist die größte Arktis-Mission aller Zeiten beendet. Die Forscher dokumentierten die gravierenden Folgen des Klimawandels - mitten im Polarmeer, wo die Wintertemperaturen drastisch angestiegen sind.

Von Marlene Weiß

Monatelang waren die Teilnehmer des letzten Abschnitts der Mosaic-Expedition im gleißenden Licht der arktischen Eiswelt unterwegs. Und nun sitzen Expeditionsleiter Markus Rex und Polarstern-Kapitän Thomas Wunderlich im wenig heimeligen Hafenlager des Alfred-Wegener-Instituts zwischen Kisten, Pistenbullys und Kameras, um davon zu berichten. Es muss eine gewisse Umstellung sein, "surreal", nennt es Wunderlich, das kann man nachfühlen.

Es war die größte Arktis-Expedition, die es je gegeben hat. Unter Führung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven waren 20 Nationen beteiligt, darunter mehrere EU-Länder, aber auch sonst zerstrittene Staaten wie die USA und China. Die Vorbereitung hatte Jahre gedauert, schon wegen des aufwendigen Logistik-Konzepts, das dann das Coronavirus auf den Kopf stellte - mit allem hatte man gerechnet, nur nicht mit einer globalen Pandemie. Aber trotzdem gelang es durchzuhalten.

Nansens Schiff "Fram" steckte einst drei Jahre im Eis fest

Die Forschung wird noch lange davon profitieren: Die Fahrt dokumentiert auf einzigartige Weise die Verhältnisse in einer Region, die sich durch den Klimawandel so schnell verändert wie kaum eine sonst. Das ist wichtig sowohl für die Modellierung des Klimas als auch für das Verständnis ökologischer Zusammenhänge.

Damit geht die Mission aus wissenschaftlicher Sicht weit über die Vorläuferfahrt von Fridtjof Nansen hinaus. Der norwegische Polarforscher und seine Mannschaft hatten sich schon 1893 mit der hölzernen Fram im Eis einfrieren lassen, um so den Nordpol zu erreichen - in Anbetracht der damaligen technischen Möglichkeiten ein tollkühnes Unternehmen. Tatsächlich driftete die Fram weit am Nordpol vorbei. Nach anderthalb Jahren im Eis versuchten Nansen und sein Teamkollege Hjalmar Johansen, mit Hundeschlitten zum Pol zu gelangen, mussten aber aufgeben und verbrachten den Winter 1895/96 in einem Biwak auf einer Insel, während die Fram weiter im Eis feststeckte. Erst im Sommer 1896 kam das Schiff vor Spitzbergen wieder frei. Das Erstaunlichste: Sowohl Nansen und Johansen als auch die gesamte übrige Mannschaft der Fram überlebten die dreijährige Tortur.

Fahrt durch die Polarnacht: Über Monate hinweg war die "Polarstern" an einer Eisscholle vertäut.

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(Foto: Esther Horvath/DPA)

Untersuchung mit schwerem Gerät: Die Wissenschaftler Gunnar Spreen (links) und Matthew Shupe entnehmen einer Eisscholle eine Probe.

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(Foto: Steffen Graupner/dpa)

Begegnung in der Zentralarktis: Ende Februar erreichte das Versorgungsschiff "Kapitan Dranitsyn" (im Vordergrund) die "Polarstern".

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(Foto: Lukas Piotrowski/dpa)

Gruppenfoto in der Polarnacht: die Expeditionsteilnehmer vor ihrem Schiff.

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(Foto: Alfred-Wegener-Institut/dpa)

Frühlingserwachen am Nordpol: Mitglieder der Mosaic-Expedition begrüßen das Ende der Polarnacht.

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(Foto: Manuel Ernst/dpa)

Eingefroren: Im März steckte die "Polarstern" weiterhin im Eis fest.

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(Foto: Steffen Graupner/dpa)

Das Eis ist gebrochen: Im August steuerte die "Polarstern" direkt auf den Nordpol zu.

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(Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Ende einer langen Fahrt: Am Montag lief die "Polarstern" in ihren Heimathafen Bremerhaven ein.

Im Vergleich dazu war die Mosaic-Expedition mit warmen Duschen und einem Hubschrauber für den Notfall natürlich die reinste Kreuzfahrt. Trotzdem ist eine Expedition in das unberechenbare Eis auch heute noch kompliziert und strapaziös. Und der wissenschaftliche Anspruch war ein ganz anderer als zu Nansens Zeiten: Es ging nicht darum, irgendwie irgendwo hinzukommen, sondern ein ganzes Jahr lang die Welt rund um Eis und Wasser praktisch lückenlos zu vermessen. Etwa 200 Parameter sollten erfasst werden, von den Temperaturen und Strömungen tief im Wasser und in bis zu 35 Kilometer Höhe in der Luft bis hin zu den Mikroorganismen am und im Eis.

Dieses Vorhaben ist tatsächlich geglückt. Im Oktober 2019 hatte die Polarstern nördlich von Sibirien an einer stabilen Eisscholle festgemacht, auf der ein Mess-Camp mit Zelten aufgebaut wurde. Eingefroren im Eis trieb die Polarstern Richtung Spitzbergen. Im Mai musste der Eisbrecher die heimische Scholle für rund vier Wochen verlassen, weil der geplante Schichtwechsel per Flugzeug der Pandemie zum Opfer gefallen war. Aus dieser Zeit stammen die einzigen merklichen Lücken in den Daten, weil nur automatisch weitergemessen werden konnte.

Nach einem Mannschaftsaustausch vor Spitzbergen kehrte die Polarstern zurück zum Camp und erreichte Ende Juli mitsamt der Scholle offenes Wasser. Von dort fuhr das Schiff zurück durchs Eis zum Nordpol, um dort mit einer neuen Scholle die Bildung neuen Eises im einsetzenden Herbst zu verfolgen. Am 20. September wurde auch diese Drift beendet, und die Polarstern machte sich nach knapp einem Jahr im Eis auf den Heimweg.

Die Auswertung der gesammelten Daten wird Jahre dauern

Hunderte Forscher waren in dieser Zeit an Bord, allerdings nicht alle gleichzeitig, die Expedition war in fünf Abschnitte unterteilt. Ein Schichtwechsel musste pandemiebedingt ausfallen. Ralf Jaiser vom AWI war von März bis Mai dabei, er war vor allem für die Atmosphärenbeobachtung per Fesselballon zuständig. Sein Team hatte mitunter ziemlich mit dem Wetter zu kämpfen, das Frühjahr war erstaunlich stürmisch. Wenn man sich selbst kaum auf dem Helikopterdeck halten kann, ist es nicht leicht, einen empfindlichen Ballon mit einer Sonde in die Luft steigen zu lassen, ohne dass er hängen bleibt oder platzt. "Aber meistens haben wir es doch geschafft", sagt Jaiser.

Manche der Mosaic-Teilnehmer waren schon auf anderen Expeditionen, aber für viele war es wie für Jaiser das erste und vielleicht einzige Mal - er ist Klima-Modellierer, kein typisches Expeditionshandwerk. Die Erfahrung hat sie alle geprägt. "Mich hat am meisten beeindruckt, wie dynamisch das Eis ist", sagt Jaiser. "Wie schnell ein Riss aus dem Nichts auftaucht, sich öffnet und teils innerhalb kürzester Zeit wieder zentimeterdick zufriert."

Die Auswertung der gesammelten Daten wird noch Jahre dauern, wahrscheinlich werden sie noch in Jahrzehnten genutzt. Aber manches ist heute schon offensichtlich. So lagen die gemessenen Temperaturen im Winter um rund zehn Grad Celsius über dem, was Nansen einst gemessen hat, wie Expeditionsleiter Markus Rex berichtet. Das passt in etwa zu anderen Messungen arktischer Temperaturen, die ebenfalls darauf hindeuten, dass es dort im Winter seit Beginn der Neunziger pro Jahrzehnt rund drei Grad wärmer geworden ist - Klimawandel im Schnelldurchlauf.

Marodes, brüchiges, aufgeschmolzenes Eis fanden die Forscher im Sommer bis direkt zum Nordpol, immer wieder Schmelzwassertümpel und offenes Wasser. "Das war früher ein Gebiet alten Eises", sagt Wunderlich; eines, aus dem man sich selbst mit Eisbrechern lieber heraushielt. Nun konnte die Polarstern jedoch praktisch ungehindert in wenigen Tagen zum Nordpol vorstoßen. Seit den Achtzigerjahren ist die mittlere sommerliche Eisfläche in der Arktis um rund die Hälfte zurückgegangen, und das verbleibende Eis ist dünn und taut. Die Mosaic-Expedition hat eine Welt dokumentiert, die untergeht.

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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