Klimakolumne:Apokalypse auf dem Nachttisch

Lesezeit: 3 min

Wer liest noch gerne Klima-Dystopien, wenn sie immer realistischer wirken? Ein Feld im Osten von Irak im Juni, ausgedörrt aufgrund von Hitze und Trockenheit. (Foto: AHMAD AL-RUBAYE/AFP)

Klima-Dystopien haben sich zu einem eigenen Genre entwickelt, "Climate Fiction" oder "Cli-Fi" genannt. Aber eignet sich die Erderhitzung überhaupt für Romane?

Von Nadja Schlüter

Wahrscheinlich lesen Sie gerne, sonst hätten Sie diesen Newsletter nicht abonniert. Aber lesen Sie auch gerne Bücher? Haben Sie einen Stapel neben dem Bett liegen, den Sie in der Urlaubszeit abarbeiten wollen? Sammeln sich dort Sachbücher über die Klimakrise? Oder eher Romane, mit denen Sie in andere Welten fliehen? Oder sogar eine Mischung aus beidem: dystopische Romane, die den Klimawandel zum Thema haben?

Wir Menschen lieben es ja, uns das Ende der Welt oder zumindest eine ins Negative verschobene Welt-Version vorzustellen, von Totalüberwachung oder Atomkrieg bis hin zu Alien-Invasionen und Zombie-Apokalypsen. Auch Romane, deren Plot sich vor der Kulisse eines Klimawandels entfaltet, hat es schon gegeben, bevor die Klimakrise Realität wurde. Einer der ersten war 1889 Jules Vernes "Der Schuss am Kilimandscharo": Um am Nordpol Kohle abbauen zu können, entwickeln US-Amerikaner eine Kanone, deren Schuss die Erdachse verrücken und das Polareis zum Schmelzen bringen soll. Als die Menschheit erfährt, welche weiteren Konsequenzen das hätte - unter anderem den extremen Anstieg des Meeresspiegels - regt sich Widerstand.

In den vergangenen zehn bis 20 Jahren häuften sich die Romane, in denen die Klimakrise eine Rolle spielt: die "MaddAddam"-Trilogie von Margaret Atwood (2004-2013), "Solar" von Ian McEwan (2010), "Die Mauer" von John Lanchester (2019), "American War" von Omar El-Akkad (2017), "Herbstwespen" von Sabine Schönfellner oder "Malé" von Roman Ehrlich (2020), um nur einige Beispiele zu nennen. Mittlerweile gibt es sogar einen eigenen Genre-Namen für sie: "Climate Fiction" oder kurz "Cli-Fi". Ende 2020 fand in Berlin das erste "Cli-Fi"-Festival statt, bei dem drei Tage lang über "Literatur im Zeichen von Climate Fiction" diskutiert wurde.

Was machen diese Bücher mit uns?

Und auch Bücher, in denen es nicht explizit um den Klimawandel geht, werden heute häufig so gelesen, etwa "Die Straße" von Cormac McCarthy. Was genau die USA, die der Protagonist und sein Sohn durchwandern, verwüstet hat, wird zwar nicht erwähnt, und vieles deutet auf eine atomare Katastrophe hin. Der britische Guardian hat das Buch trotzdem als "einen der besten Klimawandel-Romane" bezeichnet, weil McCarthy darin eben auch beschreibt, was passiert, wenn unsere Umwelt kollabiert.

Die Frage ist: Was machen diese Bücher mit uns? Dystopische Romane erzeugen ja eigentlich diesen beinahe angenehmen Grusel, ein Gefühl von "Was wäre wenn...?" Oder sie denken aktuelle Entwicklungen konsequent weiter, wie George Orwells Totalitarismus-Klassiker "1984" oder Dave Eggers Tech-Dystopie "The Circle" - beschreiben dabei aber Szenarien, die wir verhindern können (und sollten). Verhält sich das beim Thema Klimakrise genauso?

In seinem - wissenschaftlich zum Teil umstrittenen - Sachbuch "Die unbewohnbare Erde" denkt der US-Journalist David Wallace-Wells über das Erzählen über die Klimakrise nach: Das Problem an Cli-Fi sei, dass der Klimawandel nichts ist, das passieren könnte, sondern etwas, dass bereits passiert. Die Gegenwart, so glaubt Wallace-Wells, habe die Romane bereits eingeholt oder werde das sehr bald tun. Der Grusel, den eine Dystopie auslöst, ist dann nicht mehr angenehm oder ein Warnschuss, sondern beängstigend oder deprimierend, vielleicht auch demotivierend. Will man so etwas wirklich lesen?

Wallace-Wells schreibt auch, dass der Klimawandel nicht zu unserer Art passe, Geschichten zu erzählen. Denn im Kampf gegen diese Krise gebe es nicht den einen Helden oder die eine Heldin, weil sie nur gemeinsam zu bewältigen sei. Und "collective action", so Wallace-Wells, sei dramaturgisch nunmal langweilig. Genauso schwierig sei es, einen Antagonisten aufzubauen. In einem politisch-dystopischen Roman oder der Erzählung einer atomaren Katastrophe könne man die "Bösewichte" klar benennen - klar, irgendjemand hat die Macht ergriffen und das System umgedreht oder den Knopf gedrückt, der die Explosion auslöst. Aber die Klimakrise haben alle Menschen gemeinsam verursacht (wenn auch nicht alle im gleichen Maße).

Aber vielleicht können Romane über die Klimakrise dabei helfen, dass Leserinnen und Leser sie besser verstehen, oder sie gar motivieren, nachhaltiger zu handeln und politisch aktiv zu werden. Doch ist das ihre Aufgabe? In einem Essay für die Zeit sieht der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Samuel Hamen es zumindest kritisch, dass in der Cli-Fi bisweilen Literatur und Aktivismus vermischt würden. Der Soziologe Franz Schultheis betonte in einem Interview mit dem SRF hingegen den Bildungsauftrag der Literatur: Dystopische Romane, sagte er, verstärkten die Fähigkeit der Menschen, Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.

Wie stehen Sie zu Klimaapokalypse-Romanen? Haben Sie schon welche gelesen? Wenn ja, würden Sie diese empfehlen? Oder meiden Sie Cli-Fi, weil Sie das Genre aus denselben oder auch anderen Gründen wie David Wallace-Wells oder Samuel Hamen problematisch finden? Oder weil Sie nicht auch noch in Ihrer Lese-Freizeit an diese große Herausforderung unserer Zeit erinnert werden wollen? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir dazu ein paar Zeilen schreiben - ich lese nämlich auch sehr gerne.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende mit guter Lektüre, egal welcher Art.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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