Es ist kurz vor neun Uhr, als der Kutter Aade hinaustuckert auf die Engstelle zwischen Helgoland und der östlichen Nachbar- und Badeinsel Düne. Eigentlich kann man sich auf der einen Kilometer breiten Reede bei klarem Wetter nicht verfahren, trotzdem schaut Dieter Klings im Ruderhaus immer wieder auf die GPS-Anzeige. Schließlich stoppt er die Maschine: 54 Grad, 11,3 Minuten Nord und 7 Grad, 54,0 Minuten Ost sind erreicht.
Um die Temperatur, den Planktongehalt und andere Werte zu ermitteln, nehmen Forscher täglich Proben zwischen Helgoland und der Nachbarinsel Düne. Das Wasser hier ist typisch für die Nordsee.
(Foto: dpa)Jetzt wird der Rest der Crew aktiv. Kai Siemens und Andreas Köhn ziehen einen Eimer Wasser an Bord und halten ein Thermometer hinein: 17,6 Grad Celsius. Für Badegäste kalt, aber normal für die Nordsee. Dann füllen die Männer Fläschchen mit Wasser und nehmen mit einem Kegelnetz eine Planktonprobe. Schließlich wirft Köhn eine runde weiße Scheibe ins Wasser und bestimmt die Sichttiefe: fünf Meter - auch das normal.
Seit 50 Jahren ermitteln Klings und seine Vorgänger diese Messwerte. An jedem Wochentag ist das morgendliche Schauspiel zu beobachten. Viele Jahrzehnte steuerte die Crew eine eigens platzierte Boje an - die sogenannte Kabeltonne. Seit es GPS gibt, liegt sie als Denkmal vor dem BAH-Hauptgebäude.
Die Proben werden in der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) untersucht, Daten über Nährstoffe, Salzgehalt sowie die Zusammensetzung des pflanzlichen Planktons, das am Anfang der Nahrungskette in der Nordsee steht, landen in Listen - und in Datenbanken im Internet, die in den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen oder Kanada angezapft werden, wie die Helgoländer Forscher erzählen.
Seit 1962 betreibt die BAH ihr systematisches Messprogramm; am heutigen Montag kommen Besucher vom Festland, um das Jubiläum zu feiern. Ziel der Messungen war von Anfang an, ökologische Veränderungen in der Deutschen Bucht in Zusammenhang mit der Wasserqualität, mit Strömungen, Temperaturen und chemischen Parametern bringen zu können.
"Unsere Messreihe ist detailliert genug, um Schwankungen der Daten und Trends zu erfassen", sagt Karen Wiltshire, Leiterin der zum Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) gehörenden BAH. "Die Jahresmitteltemperatur des Wassers zum Beispiel ist seit 1962 um 1,7 Grad gestiegen. Die Nordsee erwärmt sich deutlich schneller als andere Meere." Das liege vermutlich daran, dass die Nordsee flach ist und viele Flüsse hineinmünden.
"Die Datenreihe ist wirklich einmalig", sagt Martin Edwards, Leiter der Sir Alister Hardy Foundation in Plymouth. "Die meisten Messreihen hören nach zehn Jahren auf, oft, weil es kein Geld mehr gibt." Lange Reihen seien aber besonders wertvoll. Sein Institut interessiert sich besonders für Plankton. "Wir sehen Veränderungen an der Zahl der Arten. Außerdem kommen manche wegen des Klimawandels früher im Jahr, was Nahrungsnetze durcheinanderbringt, wenn sich die Tiere, die das Plankton fressen, nicht darauf einstellen."
Die Helgoländer Forscher haben sich immer mal gefragt, ob die Messungen zwischen den beiden Inseln Werte liefern, die für die Nordsee charakteristisch sind. Sie haben das vielfach bestätigt, zum Beispiel durch monatliche Messfahrten durch die Deutsche Bucht. "Die Strömungen auf der Helgoland Reede ändern sich ständig durch Tide und Wind", sagt Wiltshire. "Das Wasser an unserer Messstelle ist fast immer perfekt durchmischt und damit typisch für die Nordsee."