Klimakolumne:What a difference a day makes

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Luisa Neubauer, eine der Beschwerdeführerinnen. (Foto: Stefan Boness/Ipon via www.imago-images.de/imago images/IPON)

Das Bundesverfassungsgericht hat klar gemacht, dass ältere Generationen nicht einfach Treibhausgase in die Atmosphäre ballern dürfen ohne Rücksicht auf die Jüngeren. Die Entscheidung bringt Machtverhältnisse zum Erodieren. Endlich.

Von Pia Ratzesberger

Man weiß gar nicht, welchen Satz im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts man sich zuerst anstreichen soll. Da steht jetzt also plötzlich, was Politikerinnen und Politiker bislang gerne müde weglächelten: Die Freiheit der Älteren, sich heute alles zu nehmen, verletzt die Freiheit der Jüngeren, morgen überhaupt noch eine Wahl zu haben.

Wenn die ältere Generation wie gewohnt vor sich hinlebt, wenn sie große Teile des uns allen noch bleibenden CO₂-Budgets verbraucht, stehen ihre Kinder und Enkelkinder nämlich vor gigantischen Problemen. Von denen viele zwar nichts hören wollen, was aber nichts daran ändert, dass sie drohen.

Die grundlegende Aussage des historischen Beschlusses lässt sich so zusammenfassen: Die Politik hat eine juristische Verantwortung für die Zukunft der Jüngeren, und so banal das auch klingen mag - das ändert mal eben alles.

Bislang nämlich war es vollkommen normal, dass Verantwortliche durch die Gegenwart rutschen konnten, ohne ihre jetzigen Entscheidungen zwingend an den zwar schon absehbaren, aber eben noch nicht eingetretenen Folgen für die Zukunft messen lassen zu müssen. Die war immer weit genug weg, um zu beschwichtigen, zu sagen: Mal sehen, wird schon werden. Und den Jungen zuzurufen: Sorry, werdet Ihr erstmal erwachsen, noch sind wir dran.

Als junger Mensch ist man daran gewöhnt, dass andere am Drücker sind, und man dagegen für gewöhnlich wenig in der Hand hat. Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bringt mit seinem Beschluss das Machtgefälle zwischen den Älteren, die Entscheidungen treffen, und den Jüngeren, die von deren Folgen in der Zukunft betroffen sein werden, jetzt endlich zum Erodieren.

Ein kurzer Blick in den Beschluss vom Donnerstag: Das Ziel aus dem Klimaschutzgesetz, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren, hat das Bundesverfassungsgericht nicht kritisiert. Aber der erste Senat hat sehr wohl für verfassungswidrig erklärt, dass in eben diesem Gesetz nicht genauer festgelegt ist, wie man nach 2030 weitermachen will, um dann zwanzig Jahre später, also 2050, die Klimaneutralität erreicht zu haben.

Die praktischen Folgen des Ganzen, dass die Politik diese Schritte nun wird festlegen müssen, sind dabei weniger imposant als die Argumentation dahinter: Einer Generation dürfe nicht zugestanden werden, liest man darin, "unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde." Es bestehe die Notwendigkeit, "mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten."

Das knallt. Erstens, weil die Zukunft damit zur festgelegten Bezugsgröße für politische Entscheidungen der Gegenwart wird. Zweitens, weil in einer Welt, in der wir dazu neigen, die Folgen unseres Tuns für andere Tag für Tag auszublenden, der Scheinwerfer endlich auf jene Folgen gerichtet wird.

Nur konsequent ist, dass die Klimaschützerinnen und Klimaschützer, die stellvertretend für viele andere und gemeinsam mit Verbänden Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hatten, nicht nur aus Deutschland kommen, sondern auch aus Nepal und Bangladesch. Entgrenzte Krisen erfordern entgrenztes Handeln - und entgrenzte Solidarität. Das Ergebnis aus Karlsruhe dürfte selbst dem letzten Skeptiker klargemacht haben, dass die teils noch jungen Klimaschützer auch vor dem 18. Geburtstag in ihren Anliegen genauso ernst zu nehmen sind wie Politiker, die doppelt oder dreimal so alt sein mögen.

Vor zweieinhalb Jahren übrigens, während der ersten Proteste in Deutschland, gründete mein Kollege Dirk von Gehlen diesen Newsletter - wer hätte damals gedacht, dass die Rufe aus den Schulen, Gemeinden und Städten irgendwann mal das Bundesverfassungsgericht erhören wird?

Am Donnerstag hat sich gezeigt, was möglich ist.

Und wie schön wäre es, wenn das nur der Anfang gewesen wäre. Ein Startknopf für eine Zeit, in der wir unsere Umweltprobleme nicht mehr auf andere Generationen abwälzen, aber auch nicht auf andere Kontinente auslagern, in andere Länder. In die wir gerade noch immer unseren Müll schicken, um selbst fein raus zu sein, von deren Feldern wir Soja kaufen, wenn wir es brauchen, aber von dem dafür gerodeten Regenwald wir lieber nichts wissen wollen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts könnte ein erster Stupser hin zu einer Politik sein, die Kosten nicht mehr leichter Hand externalisiert, sondern Verantwortung übernimmt - und dadurch im besten Fall kapiert, wie hoch die Kosten sind, die man bislang stets den anderen aufgebürdet hat.

Gestern war einer dieser Tage, an denen für einen Moment die Hoffnung aufflimmerte, dass viele Selbstverständlichkeiten, denen wir uns heute wider besseren Wissens noch fügen, morgen schon hinfällig sein könnten. Oder, wie Dinah Washington, Jazzsängerin, gesagt hätte: What a difference a day makes. Twenty-four little hours.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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