SZ-Klimakolumne:Protestwelle, nur anders

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Damals wurde noch geklebt: Demonstranten der Letzten Generation im April 2023 am Berliner Kurfürstendamm. (Foto: Friedrich Bungert)

Die Klimakleber wollen nicht mehr kleben: Danke dafür, und Respekt!

Von Michael Bauchmüller

Die Klimakleber haben es erstaunlich weit gebracht. So weit, dass ihr Kurswechsel es zu einer der Nachrichten dieser Woche gebracht hat, inklusive eines lesenswerten Nachrufs auf die Klimakleber von meinem Kollegen Jan Heidtmann: Die Letzte Generation lässt das Kleben sein. Sie will nicht länger Straßen und Autobahnen blockieren. Stattdessen will sie nun für die "gesellschaftlichen Lebensgrundlagen" eintreten und zählt dazu auch die Demokratie.

Danke, liebe "letzte Generation", und Respekt für die Fähigkeit zum Kurswechsel. Ganz im Ernst.

Viele der "Klimakleber" hat der Mut der Verzweiflung auf die Straße gebracht. Und ja: Es ist schwer, nicht zu verzweifeln. Die Befunde sind klar, aber der Wandel ist dürftig, zu langsam, manchmal nicht vorhanden. Und das betrifft nicht nur den politischen, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel. In diese Wunde hat die "Letzte Generation" Salz gestreut.

Erreicht, und deshalb ist der Kurswechsel so wichtig, hat sie damit wenig. Verzweiflung legitimiert nicht zum Rechtsbruch. Weder Nötigung noch Sachbeschädigung rütteln eine Gesellschaft dauerhaft auf oder münden zwangsläufig in Wandel. Sie rühren bestenfalls die Wohlmeinenden an, während sie viele andere abstoßen. Deshalb haben viele der Aktionen der vergangenen zwei Jahre polarisiert statt zu einen. Aber eine polarisierte Gesellschaft tut sich schwer, gemeinsam Probleme zu lösen. In einer polarisierten Gesellschaft reden Gruppen über- statt miteinander. So aber wird das nichts, nicht mit echtem Klimaschutz im Speziellen und nicht mit dem Staat im Allgemeinen.

Aber es wird auch nichts ohne Menschen, die ihre Stimme erheben. Die "Letzte Generation" will nun eine "kritische Masse" an Menschen auf die Straßen holen, die für Klima und gerechte Gesellschaft einsteht. Das ist gut. Damit finden die Aktivisten womöglich auch mehr Gehör für ihre Belange als mit allen Klebe- und Farbaktionen zusammen - die doch oft übertönt wurden von der Empörung über die Folgen. Zur gleichen Zeit rufen die "Fridays for future" nicht mehr nur zu Klimademos auf, sondern zum Kampf für die Demokratie - und beweisen auf Bühnen quer durch die Republik, was sie in den vergangenen Jahren alles an Organisationskraft und rhethorischen Talenten angesammelt haben.

Abkehr von Provokation, Hinwendung zur Verteidigung einer offenen und demokratischen Gesellschaft - es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Denn so dringlich die Klimakrise auch ist: Die Umkehr wird weder von der Straße ausgehen, noch wird sie von oben verhängt werden. In einem demokratischen Staat muss sie in der Mitte der Gesellschaft wurzeln, oder sie wird scheitern.

Deshalb macht der Wandel der Klimabewegung so viel Hoffnung: Sie kämpft mit für jene Demokratie, die sie für den Wandel braucht. Und sie wird die Gesellschaft nur von innen heraus verändern, als Teil von ihr. Es braucht Argumente, Allianzen und letztlich Mehrheiten, um dieses Land auf Klimakurs zu bringen.

"Wir sind gewöhnliche Menschen mit alltäglichen Problemen, die friedlich für eine gerechte Gesellschaft einstehen", hat die "Letzte Generation" in ihrer Erklärung geschrieben. Das stimmt aber nicht. Sie sind außergewöhnlich, weil sie für viel mehr kämpfen als für ihre eigenen Interessen. Mit Ausdauer und den richtigen Mitteln können sie - und alle anderen in der Klimabewegung - noch viel erreichen.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag , den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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