Psychologie:Was das Kino mit uns macht

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Teure Blockbuster wie "Avengers: Infinity War" aus dem Jahr 2018 kommen bei Kritikern im Kino besser weg als als daheim auf dem Sofa. (Foto: Disney)

Filme werden schlechter bewertet, wenn sie zu Hause angesehen werden und nicht im Kino. Das gilt insbesondere für teure Blockbuster.

Von Sebastian Herrmann

Es stellt keine arge Übertreibung dar, ein Kino als eine Art weltlichen Tempel zu bezeichnen. Der Besuch dieser Stätten der Zerstreuung folgt einem ritualisierten Ablauf. Nach dem Kauf der Tickets wandert der Blick zum Popcorn, zu den Getränken und zum Knabbersüßkram. Dann führt der Weg gemächlich zu den Plätzen, die einem qua Ticket zugewiesen worden sind. Hinsetzen im Schummerlicht, Jacken ausziehen, Getränke und Knabberkram verstauen, gedämpft mit der Begleitung reden, dann erlischt das Licht. Zeit für Werbung und Filmvorschauen. Erst nach der Eiswerbung, die es hoffentlich noch gibt, wird es ganz finster, und Sesselplüsch sowie Kinoerlebnis umfassen einen endgültig.

Alle diese Zutaten hinterlassen einen Eindruck, der vermutlich stärker ist als das, was ein Filmabend auf dem Sofa bieten kann. So berichten Forscher um Jason Ho von der kanadischen Simon Fraser University im Fachjournal Marketing Letters, dass dieselben Filme bessere Bewertungen erhalten, wenn sie im Kino statt zu Hause angesehen werden. Das gleiche Produkt, die gleiche Geschichte und Inszenierung wirken stärker, wenn sie auf einer großen Leinwand im Kinosaal konsumiert werden.

Die Forscher um Ho analysierten für ihre Publikation Bewertungen beziehungsweise Kurzkritiken auf dem Portal Internet Movie Database (IMDb). In die Analyse flossen Daten von 148 Filmen ein, die zwischen Januar 2018 und Februar 2020 in die Kinos kamen und dann, in der Regel später, auf Streaming-Portalen oder anderen Wegen für das Publikum zu Hause verfügbar wurden. Ob die Rezensenten den Film im Kino oder auf eigenen Geräten gesehen hatten, ermittelten die Forscher um Ho unter anderem anhand des Datums der Veröffentlichung der Rezension. Im Mittel ergab sich dabei: Die Qualität eines Films wurde nach einem Kinoerlebnis höher bewertet. In diesem Fall vergaben die Rezensenten im Durchschnitt 6,29 von zehn möglichen Punkten. Wurden die Filme zu Hause angesehen, lag die Bewertung im Schnitt bei 5,68 Punkten. 88 Prozent der 148 analysierten Filme erhielten nach dem Kinobesuch eine höhere Bewertung als wenn sie zu Hause auf dem Sofa angesehen wurden.

Der Unterschied war insbesondere für Filme mit einem vergleichsweise hohen Produktionsbudget ausgeprägt. Diese sackten im eigenen Wohnzimmer in ihrer Wirkung im Vergleich besonders ab. Auch sogenannte Sequels, also Fortsetzungen erfolgreicher Filme, erhielten im Heimkino eine im Vergleich deutlich schlechtere Bewertung. Was das Genre angeht, gab es keine großen Unterschiede. Bei Thrillern fiel der Unterschied etwas geringer aus als zum Beispiel bei Action-Filmen.

Worauf der Effekt genau zurückzuführen ist, darüber können die Forscher nur spekulieren. Sie meinen, es steigere wohl die Qualität einer Erfahrung, wenn sie mit anderen Menschen geteilt wird - und sei es, dass man nur gemeinsam mit anderen im Dunklen sitzt und einen Film sieht. Zudem gebe es im Kinosaal weniger Ablenkung als zu Hause. Und natürlich knallt es bei einem Action Film lauter und eindrucksvoller, wenn er auf einer großen Leinwand mit großartiger Soundanalage angesehen wird, als wenn der Bildschirm nur das Smartphone-Display ist und der Sound aus Bluetooth-Kopfhörern kommt. Es kommt eben oft nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form an. Ein Wein schmeckt aus einem schönen Glas wohl auch etwas besser als aus einem Zahnputzbecher.

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