Invasive Arten:Die Rache der Strandkrabben

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Die Gemeine Strandkrabbe (Carcinus maenas) gehört zu den hundert gefährlichsten invasiven Arten weltweit. (Foto: Edwin Grosholz, UC Davis)

Um eine kalifornische Bucht vor invasiven Krabben zu retten, fingen Wissenschaftler in jahrelanger Fleißarbeit Zehntausende Exemplare. Dann schlugen die Krebstiere zurück.

Von Tina Baier

Im Disneyfilm "Fantasia" zerhackt Mickey als Zauberlehrling einen magischen Besen, der nur Unheil anrichtet. Doch damit wird alles nur noch schlimmer: aus den Stücken entstehen unzählige neue Besen.

So ähnlich ergeht es manchmal Umweltschützern beim Kampf gegen invasive Arten. Sie wollen den Schaden wieder gutmachen, den von Menschen eingeschleppte Tierarten in einer Region angerichtet haben, verschlechtern die Situation dadurch aber nur.

Ein besonders drastisches Beispiel beschreibt jetzt ein Team um den Ökologen Edwin Grosholz von der University of California im Wissenschaftsjournal PNAS. In einer Bucht an der kalifornischen Pazifikküste, der Seadrift Lagoon, haben die Wissenschaftler in mühsamer Fleißarbeit Strandkrabben eingefangen, die sich dort stark vermehrt hatten und alles kurz und klein fraßen. Nach mehreren Jahren hatten die Forscher es endlich geschafft, die Zahl der Tiere von etwa 125 000 auf weniger als 10 000 zu dezimieren - nur um im Folgejahr feststellen zu müssen, dass sich in der Bucht etwa 300 000 Exemplare tummelten - mehr als jemals zuvor.

Die Krabben verschlingen alles, was ihnen vor die Scheren schwimmt

Die Gemeine Strandkrabbe (Carcinus maenas) gehört zu den hundert gefährlichsten invasiven Arten weltweit. Die Tiere sind extrem gefräßig und verschlingen so gut wie alles, was ihnen vor die Scheren schwimmt oder läuft: Nesseltiere, Stachelhäuter, Fische und auch andere Krebstiere. Muscheln und Schnecken brechen die Krabben mit ihrer Knackschere auf, bevor sie sie vertilgen.

Ursprünglich kam Carcinus maenas nur an den Küsten Nordeuropas vor, wo sie von vielen Seevögeln und Fischen gefressen und dadurch in Schach gehalten wird. Mittlerweile lebt sie fast überall auf der Welt. In die USA wurden die Tiere wahrscheinlich als blinde Passagiere auf Handelsschiffen eingeschleppt, die zwischen Europa und Nordamerika unterwegs waren. An der Westküste der Vereinigten Staaten wurden Gemeine Strandkrabben erstmals 1989 gesichtet, in den folgenden zehn Jahren rückte die Krabbenfront 750 Kilometer entlang der Küste vor.

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Ökosysteme wie die Seadrift Lagoon, wo die Strandkrabben kaum Feinde haben, sind nach der Ankunft der Tiere nicht mehr wiederzuerkennen. Die Krabben verschlingen einheimische Muscheln und Krebse und dezimieren sie um bis zu 90 Prozent. Größeren Tieren fällt die Nahrungsgrundlage weg, so dass sie ebenfalls verschwinden. Auch der Mensch gehört zu den Krabbenopfern: Nach Angaben der Studienautoren richtet Carcinus maenas allein in den USA jedes Jahr einen wirtschaftlichen Schaden von 20 Millionen Dollar in der Schalentier-Industrie an, etwa in Shrimps-Farmen.

Anfangs war es Edwin Grosholz und seinen Kollegen ein Rätsel, wie es die Strandkrabben in der Seadrift Lagoon geschafft hatten, sich innerhalb eines Jahres derart zu vermehren. Doch dann fiel den Wissenschaftlern auf, dass unter den Invasoren auffällig viele Jungtiere waren. Vor Beginn der Aktion hatten dagegen erwachsene Tiere dominiert. Und auch in Nachbarlagunen, in denen die Menschen nicht eingegriffen hatten, gab es mehr große als kleine Exemplare.

Was gut gemeint war, machte die Situation nur noch schlimmer

Das brachte die Wissenschaftler auf die Idee, dass die Bevölkerungsexplosion in ihrer Bucht mit dem in der Biologie bekannten Phänomen der Überkompensation zu tun haben könnte. Dabei versuchen Tiere, die stark dezimiert werden, den Verlust irgendwie auszugleichen, etwa indem sie mehr Nachwuchs bekommen. Eine andere Möglichkeit ist, dass mehr Jungtiere als sonst überleben. Auf jeden Fall kann es vorkommen, dass die Reaktion den Verlust mehr als ausgleicht, sodass es unter dem Strich sogar zu einer Zunahme der Individuenzahl kommt.

Eine genauere Analyse ergab, dass die Menschen während ihrer Null-Krabben-Aktion in der Seadrift Lagoon eine solche Überkompensationsreaktion versehentlich sogar provoziert hatten. Die Fallen, mit denen sie Carcinus maenas einfingen, waren nämlich so konstruiert, dass sie vor allem erwachsene Krabben erwischten, die kleineren Jungtiere konnten durch die relativ weiten Maschen entkommen. Außerdem hatten die Wissenschaftler nicht bedacht, dass die gefräßigen erwachsenen Strandkrabben nicht davor zurückschrecken, Jungtiere ihrer eigenen Art zu verschlingen und dadurch selbst dazu beitragen, dass die Größe ihrer Population nicht ausufert. Als die Menschen einen Großteil der Erwachsenen weggefangen hatten, überlebten hingegen deutlich mehr Jungtiere. Alles zusammen führte zu einer Bevölkerungsexplosion und dazu, dass die Arbeit vieler Jahre in kurzer Zeit zunichte gemacht wurde.

Grosholz plädiert deshalb dafür, bei der Bekämpfung invasiver Arten von dem Ziel abzurücken, solche Tiere wieder ganz loszuwerden. In einer anderen Veröffentlichung, die kürzlich in der Zeitschrift Frontiers in Ecology erschienen ist, kommt er zu dem Schluss, dass eine Null-Toleranz-Strategie nur dann sinnvoll ist, wenn man invasive Arten zu einem sehr frühen Zeitpunkt entdeckt, zu dem sie sich noch nicht fest etabliert haben. Stattdessen plädiert er für eine "funktionale Ausrottung", deren Ziel es ist, die Tiere so weit zu dezimieren und zu kontrollieren, dass der Schaden, den sie anrichten, überschaubar bleibt. "Versuch nicht, sie alle zu erwischen, es könnte sein, dass sie zurückkommen und dich beißen", sagt Grosholz.

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