Klima:Hitzewelle in Großbritannien ohne Klimaerwärmung fast unmöglich

Lesezeit: 3 Min.

Die Uniform der Irish Guards ist eher nicht für Temperaturen von mehr als 40 Grad gedacht. (Foto: Matt Dunham/AP)

Eine Analyse des Rekordereignisses mit Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius zeigt den klaren Einfluss des Klimawandels - und deutet auf eine entscheidende Schwäche der Modelle hin.

Von Christopher Schrader

Als Mitte Juli große Teile von Westeuropa unter einer Hitzewelle ächzten, stiegen auch in England die Temperaturen auf nie zuvor erreichte Werte. Drei Stationen zeigten mehr als 40 Grad Celsius: Gringley on the Hill in Nottinghamshire, der St. James's Park mitten in London und Coningsby in Lincolnshire, wo am 19. Juli der Spitzenwert von 40,3 Grad notiert wurde. Fast vier Dutzend Stationen lagen über dem vorherigen Rekord aus dem Jahr 2019, viele andere zeigten drei oder sogar vier Grad mehr an als jemals zuvor in den Messreihen.

"Solche Temperaturen wären ohne den Klimawandel extrem unwahrscheinlich gewesen", sagt Friederike Otto von der Universität Oxford. "An den meisten der einzelnen Messstationen wären sie sogar unmöglich gewesen." Die deutsche Physikerin hat mit einem Team von 20 weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus neun Ländern soeben eine sogenannte Attributions- oder Zuordnungs-Studie zu dem Extremereignis vorgelegt. Sie soll die oft gestellte Frage beantworten: Lag es am Klimawandel?

Die Antwort liegt in diesem Fall nahe, aber die locker zusammengesetzte Forschungs-Vereinigung World Weather Attribution berechnet Zahlen dazu. Friedericke Otto hat die Methode für solche Studien federführend mitentwickelt. Dafür vergleicht die Arbeitsgruppe die aktuelle Wetterentwicklung mit historischen Messungen sowie mit Klimasimulationen im Supercomputer, bei denen die von der Menschheit ausgestoßenen Treibhausgase an- oder ausgeschaltet werden.

Wäre es ohne Erwärmung zwei oder eher vier Grad kühler gewesen?

Die Ergebnisse der beiden Methoden sind in diesem Fall etwas widersprüchlich, was die Sache komplizierter macht. "Wenn man auf die Messungen schaut, dann war diese Hitzewelle wegen des Klimawandels um vier Grad wärmer, als sie es ohne ihn gewesen wäre", sagt Otto. "Die Klimamodelle werfen allerdings nur eine Differenz von zwei Grad wegen der Klimawandels aus." Das erlaubt es dem Forschungsteam lediglich zu sagen, dass die Erderhitzung die Hitzewelle um "mindestens das Zehnfache" wahrscheinlicher gemacht habe. Frühere Analysen anderer Extremereignisse lieferten Faktoren von 30, zum Beispiel bei der Hitzewelle in Indien im März. "Das ,mindestens' ist hier darum besonders wichtig, denn sie war sicherlich deutlich mehr als zehnmal so wahrscheinlich."

Der Grund für die Diskrepanz zwischen den beiden Analyse-Methoden liegt Otto zufolge in einer bekannten Schwäche der globalen Klimamodelle: Sie unterschätzten den Trend bei regionalen Hitzewellen in Westeuropa, obwohl sie Durchschnittstemperaturen oder Regenextreme gut abbilden. "Das heißt für uns, wir könnten höhere Temperaturen noch schneller als erwartet bekommen", so die Physikerin.

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Die Analyse bestätigt Berechnungen, die der britische Wetterdienst Met Office 2020 veröffentlicht hatte. Der damaligen Studie zufolge wären in Großbritannien Temperaturen von 40 Grad Celsius oder mehr bestenfalls alle 1000 bis 10 000 Jahre eingetreten, wenn die Atmosphäre noch die Zusammensetzung vor der Industrialisierung hätte. Im heutigen Klima aber, das sich bereits um 1,2 Grad erwärmt hat, dürfte sich die extreme Hitze alle 100 bis 300 Jahre wiederholen. Und falls der Klimawandel ungebremst voranschreitet, wäre nach 2100 alle drei bis vier Jahre mit einem solchen Sommer zu rechnen.

"Es ist sehr ernüchternd, dass ein solches Ereignis so kurz nach dieser Studie passiert", sagt Fraser Lott vom Met Office. "Unsere neue Untersuchung bestätigt aber die Ergebnisse der alten." Durchschnittstemperaturen, wie sie über die Hitzewelle am 18. und 19. Juli und in der Nacht dazwischen erreicht wurden, könnten sich im heutigen Klima alle hundert Jahre wiederholen, hat auch das Team um Friedericke Otto berechnet. Die Spitzenwerte einzelner Stationen bleiben hingegen unwahrscheinlicher und haben an den jeweiligen Orten statistische Wiederholungszeiten von rund 1000 Jahren. "Aber wir leben ja auch nicht in einem stabilen, um 1,2 Grad erwärmten Klima, sondern es verändert sich dynamisch", sagt Otto. Die Gefahr von Temperaturextremen steige also ständig. "Die Rolle des Klimawandels ist bei jeder Hitzewelle heutzutage groß."

Das Met Office hatte wie andere Wetterdienste die Hitzewelle viele Tage im Voraus kommen sehen. Sechs Tage lang galt die Warnstufe Orange, bevor die Behörde zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Warnstufe Rot für Hitzegefahr ausrief. Nach der Schätzung von Antonio Gasparrini von der London School of Hygiene könnte die Hitzewelle zu 840 vorzeitigen Todesfällen geführt haben, wenn man die historischen Daten dazu extrapoliert. Da es aber sehr viele Warnungen gab und die britischen Behörden Schutzmaßnahmen ergriffen haben, schrieb er bei Twitter, dürfte die Zählung im Nachhinein niedriger ausfallen.

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