Relativ stabil und seit mehreren Jahrzehnten ist in europäischen Ländern, aber auch den USA, der Sommer die Jahreszeit, in der am meisten Babys zur Welt kommen. In Deutschland konzentrieren sich seit den 1970er-Jahren die meisten Geburten auf die Monate Juli, August, September. In den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2022 stehen 202 000 Geburten in diesen Sommermonaten 168 000 Geburten in den Monaten Dezember, Januar und Februar gegenüber.
Vor den 1970er-Jahren zeigte sich aber noch ein anderes Bild. Sebastian Klüsener, Demograf und Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, hat in Deutschland die Daten zur Saisonalität von Geburten seit 1871 ausgewertet und stellte fest: In Zeiten, in denen mehr Menschen in der Landwirtschaft tätig waren, und vor der Entwicklung der Pille wurden die meisten Babys relativ stabil und über viele Jahrzehnte hinweg im Frühjahr geboren. Vermutlich, so Klüsener und andere Experten, um den Kleinsten die kalten Wintermonate zu ersparen und weil sich im Sommer, also zur Zeugung, die kommenden Ernteerträge bereits absehen ließen. Das würde für ein sehr gezieltes Vorgehen sprechen. Vielleicht wurden im Sommer aber damals auch einfach mehr Kinder gezeugt, da dann die körperliche Verfassung von Männern und Frauen für eine gelingende Befruchtung insgesamt besser war als im kalten Winter, in dem es weniger vitaminreiche Nahrungsmittel gab.
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Die Verschiebung der Saisonalität in den Sommer wäre demnach also ein Schritt der Moderne. Die Gründe dafür sind nicht eindeutig auszumachen, die Hypothesen reichen vom sogenannten Weihnachtseffekt, also der Annahme, dass an den heimeligen Weihnachtsfeiertagen zumindest in christlich geprägten Regionen die Menschen mehr Sex haben als im schwitzigen Hochsommer. Insgesamt eignen sich Herbst und Winter gut zum Kuscheln. Bis hin zu der These, dass durch die zunehmende Steuerbarkeit der Fortpflanzung auch Faktoren wie der Schulleistungseffekt eine Rolle spielen könnten, also die Kenntnis von Menschen mit Kinderwunsch, dass sich im Verhältnis ältere Kinder im Schulkontext leichter tun als Jüngere und eine Geburt nach dem sogenannten "Stichtag" zur Einschulung somit langfristig von Vorteil sein kann.
Sebastian Klüsener sieht dort das eigentlich wichtige Thema bei der Frage nach der Saisonalität von Geburten. Denn die Forschung, so Klüsener, könne zwar die Gründe für die Saisonalität nicht eindeutig ausmachen, aber sie zeige deutlich: In welchem Monat ein Kind geboren wird, hat in der bestehenden kalendarischen Ordnung durchaus relevante Auswirkungen auf das folgende Leben. "Wir denken sehr stark in Jahren. Je nach Stichtag können bestimmte Geburtsmonate tatsächlich systematische Vorteile haben." Je älter etwa Kinder bei der Einschulung sind, desto leichter fällt es ihnen tendenziell, sich in der Schule zurechtzufinden. Erfolgserlebnisse bestärken diese Entwicklung. "Im Sinne der Debatte um Chancengleichheit ist eine Sensibilisierung für diese Thematik wichtig", sagt Klüsener. Ihn interessiere deshalb als Forscher derzeit nicht mehr so sehr die Frage nach dem "Warum" der Geburtensaisonalität als vielmehr Wege, wie man deren Folgen ausgleichen kann. Alternative Modelle zum Stichtag könnten zum Beispiel jahrgangsübergreifende Lernstrukturen sein.