Fracking in China:Der große Sprung nach unten

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Eine Probebohrung in der Provinz Sichuan. Unter der Erdoberfläche lagern hier riesige Erdgasvorkommen. (Foto: REUTERS)
  • In China lagern die größten Schiefergas-Vorräte der Welt, der Großteil davon in der Provinz Sichuan.
  • Die Regierung will Fracking in den kommenden Jahren massiv vorantreiben.
  • Die Risiken für die Umwelt sind enorm: Experten warnen vor der Verknappung von Wasser, vor Artenschwund und möglichen neuen Erdbeben.

Von Christoph Behrens, Chengdu

Sichuan ist ein "Sweetspot". Wer den Fachbegriff nicht kennt, könnte ihn für eine Beschreibung der landschaftlichen Reize der Provinz im Südwesten Chinas halten, ihrer Bergflüsse und dichten Wälder. Hier brüten seltene Vögel an den Steilhängen, und in den Bambushainen streifen die letzten 1800 freilebenden Riesenpandas umher. In der Provinz liegen sechs Welterbe-Stätten der Unesco, Arten wie den Urweltmammutbaum und den Taubenbaum gibt es nur hier.

Für Fachleute ist ein Sweetspot aber eigentlich etwas anderes: So bezeichnen sie ertragreiche Schiefergas-Felder - und davon gibt es in Sichuan jede Menge. Wie überhaupt in China: Etwa 30 Billionen Kubikmeter lagern im Gestein unter dem Land. Es sind die größten Schiefergas-Vorkommen der Welt, mehr als anderthalb Mal so groß wie die unterirdischen Reserven der Vereinigten Staaten. Fast die Hälfte der chinesischen Vorkommen lagern unter der Oberfläche von Sichuan.

Wie schlecht sich das mit der Natur verträgt, kann man nahe der kleinen Stadt Yibin beobachten. In der Umgebung schießt gerade ein Wald von Bohrtürmen aus dem Boden. Es sind große, lärmende Anlagen. Mit einem Druck von mehreren Hundert Bar pressen sie Tag für Tag Chemikalien, Wasser und Sand in den Untergrund. In eintausend Meter Tiefe knackt die Flüssigkeit die Gesteinsschichten, die das Erdgas umschließen. Feine Frakturen im Fels reißen auf, das Gas strömt nach oben.

Bis zu 1,2 Millionen Chinesen sterben pro Jahr vorzeitig wegen der miesen Luftqualität

Die Bohrungen läuten eine Zeitenwende in China ein. "Die Regierung wird Schiefergas als eine zentrale neue Energiequelle entwickeln", sagt Wang Bao Hua, zuständig für die Energieversorgung der nahe gelegenen Metropole Chengdu. Mit 14 Millionen Einwohnern ist die Hauptstadt Sichuans eine Boomtown des 21. Jahrhunderts, wo ständig neue Wolkenkratzer in den Himmel wachsen, Investmentfirmen und europäische Konzerne wie Siemens, Shell und Bosch Niederlassungen gründen. Die fünfzehnstöckigen Einkaufszentren sind zum Bersten gefüllt mit westlichen Luxuswaren. "Wir haben einen gewaltigen Energiebedarf", sagt Wang, die Industrie vor Ort wachse jedes Jahr um zehn Prozent.

In Deutschland ist die Schiefergasgewinnung extrem umstritten. In China gilt die Technik vielen als Segen, Wang nennt Fracking in einem Atemzug mit Solarenergie und Windkraft, als umweltfreundliche Alternative. Bei diesem Enthusiasmus verwundert es kaum, dass in Sichuan bereits Schiefergas aus dem Förderschächten strömt, obwohl die passenden Umweltgesetze noch gar nicht geschrieben sind.

Auch ohne Fracking ist die Natur in der Region bereits bedroht. Das hemmungslose Wachstum von Städten wie Chengdu und Chongqing in der Nachbarprovinz wirkt sich auf die Artenvielfalt aus. In Flüssen wie dem Jangtse sind Arten wie der kleine weiße Kugelfisch und der rotbäuchige Molch verschwunden. Dass die Umwelt unter der Schiefergasförderung zu leiden hat, zeigen Berichte aus den USA. Jede Plattform braucht rund vier Hektar Platz, es müssen Tanks für Wasser, Chemikalien, Abwasser errichtet, eine Straße und eine Pipeline verlegt werden. Rund 600 Zusatzstoffe kommen zum Einsatz, damit das Gas aus dem Bohrloch strömt. Zu den Folgen des Frackings zählt der New Yorker Biologe Erik Kiviat "Schwund von Lebensräumen, chemische Verschmutzung, Minderung der Wasserqualität".

Die Provinz Sichuan im Südwesten Chinas ist eine ökologisch einzigartige Region mit Kalksinterbecken, aber auch seltenen Tier- und Pflanzenarten. (Foto: ChinaFotoPress/laif)

Dass man diese Probleme in China in Kauf nimmt, hängt auch damit zusammen, dass dort bislang zwei Drittel der Energieversorgung mit Kohle bewältigt werden. Die Kohle schwelt in alten Kraftwerken, alten Fabriken, alten Heizungen und verpestet die Luft. Wie viele Chinesen wegen der hohen Feinstaubwerte vorzeitig sterben ist unklar, die Schätzungen reichen von 400 000 bis hin zu 1,2 Millionen pro Jahr. "Der Smog ist ein Riesenproblem in den Städten im Osten, das erzeugt einen gewaltigen Druck in der Bevölkerung", sagt Li Yan, energiepolitische Sprecherin von Greenpeace China. "Die Regierung braucht dringend einen Durchbruch."

Mit Pipelines könnte das Gas aus Sichuan bis in Küstenstädte wie Shanghai geleitet werden. Erdgas gilt als sauberer Energieträger, seine Verbrennung setzt weniger Emissionen frei. Damit wird Schiefergas zum Hoffnungsträger für den Klimaschutz. Spätestens 2030 sollen die Treibhausgas-Emissionen nicht weiter steigen, verspricht die chinesische Regierung. Ohne Erdgas dürfte der Plan kaum aufgehen.

Präsident Xi Jinping selbst hat die "Revolution" der chinesischen Energiepolitik zur Chefsache erklärt: In Reden spricht er vom "Ergrünen" der Wirtschaft, er fordert seine Landsleute zum Energiesparen auf, verordnet Staatsbetrieben mehr Energieeffizienz. Doch das reicht alles nicht, um den Energiehunger Chinas zu stillen, neue Quellen müssen her, wenn möglich heimische. Schiefergas könnte dabei nach Vorbild der USA eine zentrale Rolle spielen. Fracking hat Amerika unabhängig von Lieferungen aus dem Nahen Osten gemacht.

"Stark gestresste" Wasservorräte

Der Vergleich mit den USA sei jedoch an vielen Stellen unpassend, warnen Umweltschützer. "Chinas Bevölkerung ist groß, das Land begrenzt, Wasser knapp", fasst Feng Yang von der Umweltorganisation Natural Resources Defense Council (NRDC) zusammen. "All das macht die Situation viel schwieriger als in den USA." Besonders das Abwasser, das mitsamt dem Gas aus den Bohrlöchern kommt, ist heikel. Es muss aufgefangen, gesammelt und aufwendig aufbereitet werden, damit es kein Trinkwasser verunreinigt. In China gibt es noch keinerlei Gesetze dafür.

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Viele Bewohner der Region handeln kurzerhand selbst. Wegen spontaner Blockaden durch Dorfbewohner oder Stilllegungen durch die Behörden verlor allein Shell an seinen chinesischen Bohrlöchern in drei Jahren 535 Arbeitstage, berichtet die Washington Post. Es gibt Berichte über Explosionen auf Gasfeldern, weil Sicherheitsvorschriften lax gehandhabt wurden. Im Dorf Jiaoshizhen berichteten Anwohner von einer Explosion und einer 30 Meter hohen Stichflamme - die staatliche Energiefirma Sinopec bestreitet den Vorfall. In der Provinz Shaanxi kappte eine Gasfirma kurzzeitig die Wasserversorgung einer ganzen Stadt, weil sie Probleme bei Bohrungen nicht in den Griff bekam. Mit einem Gesetz, das etwa den Gewässerschutz regelt, rechnet NRDC-Experte Yang erst in ein bis zwei Jahren. Bis dahin dürften sich Zwischenfälle häufen.

Da die Reserven in Sichuan deutlich tiefer unter der Erde liegen als anderswo, müssen die Gasfirmen zudem mehr Wasser hineinpumpen und mit mehr Abwasser fertigwerden. "In vielen Regionen Chinas ist Wasser schon sehr knapp", sagt Ranming Song von der Umweltorganisation World Resources Institute (WRI). Seine Organisation hat nachgerechnet: 60 Prozent des chinesischen Schiefergases schlummert in Gegenden mit "stark gestressten" Wasservorräten oder zu trockenen Böden. Viele der bereits aktiven Felder lägen sehr nahe an Siedlungen. Bald könnten Menschen und Gasfirmen um Frischwasser konkurrieren, warnt WRI. Song bezweifelt zudem, dass Erdgas für das Klima besser ist als Kohle. "Das stimmt nur, wenn man die Lecks im gesamten Lebenszyklus des Schiefergases im Zaum hält." Entfleuchen irgendwo zwischen Bohrloch und Verbraucher mehr als drei Prozent des Gases, verpuffen die positiven Effekte für die Atmosphäre.

Wie wenig ernst die Verantwortlichen diese Sorgen bislang nehmen, lässt ein Gespräch mit Vertretern der staatlichen Gasfirmen in Chengdu erahnen. Nach langem Zögern gibt sich ein Ingenieur einen Ruck und möchte die Herausforderungen für die Umwelt darstellen. Mit den Händen erklärt er, wie das Abwasser aus dem Boden herausströmt. Doch er kommt nicht weit, sein Vorgesetzter, der Chef der staatlichen Investmentfirma, bedeutet dem Untergebenen mit einer Geste zu schweigen. "Alle technischen Schwierigkeiten sind gelöst", erklärt der Chef. Dafür arbeite man schließlich eng mit den Amerikanern und den Universitäten vor Ort zusammen. Regulierung? Die komme schon bald. Umweltprobleme? "Gibt es hier nicht."

Fracking hat Oklahoma zum seismisch aktivsten US-Bundesstaat gemacht

Im Untergrund Sichuans lauert allerdings noch eine Unbekannte, die bislang keiner der Verantwortlichen einkalkuliert. Erst 2008 bebte es in der Region mit einer Stärke von 7,9, bis zu 80 000 Menschen kamen bei und nach den Erdstößen ums Leben. 2013 schüttelte ein weiteres Erdbeben die Provinz durch, 200 Menschen starben. Mittlerweile gilt es als gesichert, dass durch Fracking geologische Spannungen verstärkt werden können.

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Das zeigen auch Daten aus Amerika: "In der Vergangenheit war stets Kalifornien der seismisch aktivste Staat", sagt David Fridley, Erdgas-Experte am Lawrence Berkeley Laboratory. "Mittlerweile ist es Oklahoma." Bevor die Fracking-Industrie dort einzog, bebte es durchschnittlich einmal im Jahr mit einer Stärke von mehr als 3,0. Vergangenes Jahr gab es 585 solcher Erdstöße. Sichuan hat sehr viele Verwerfungslinien im Untergrund, von dort können Erdbeben ausgehen. "Hier wäre das Einspeisen von Wasser ein großes Problem", warnt Fridley. All das werde die chinesischen Regierung hoffentlich bedenken.

Kohle oder Gas? Smog oder Fracking? Wasser für die Energieversorgung oder zum Trinken? Erdbebenrisiko oder Stromausfall? Am Ende muss die Regierung abwägen und versuchen, einen Weg zu finden. Bisher hat sich China in solchen Fällen meist für Wirtschaftswachstum und neue Energiequellen entschieden.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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