Ernährung:Versteckte Gentechnik im Supermarkt

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Viele Waren im Supermarkt werden mithilfe der Grünen Gentechnik hergestellt, ohne dass es auf der Verpackung steht (Foto: dpa)

In der EU werden kaum genmanipulierte Pflanzen angebaut. Dennoch ist Grüne Gentechnik in Supermärkten omnipräsent. Die fehlende Transparenz ist politisch gewollt.

Von Christoph Behrens

1507, diese vier Ziffern lösen in Deutschland Angst und Schrecken aus. Als die EU den gentechnisch veränderten Mais 1507 vor einigen Wochen für den Anbau freigab, kannte die Aufregung kaum Grenzen: Einen "Gentechnikkrieg auf den Dörfern" sah die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft heraufziehen, vor dem Kanzleramt demonstrierten Umweltaktivisten in weißen Ganzkörperanzügen, wie man sie her nach einem atomaren Unfall erwarten würde.

Was in der Hysterie unterging: Die Entscheidung zugunsten der Grünen Gentechnik hat in Deutschland vor allem symbolischen Charakter. Auf absehbare Zeit wird das gentechnisch veränderte Saatgut in Europa keine Ackerflächen in nennenswertem Umfang erobern. Doch in vielen Ländern sieht das anders aus. Auf den Plantagen Nord- und Südamerikas ist Gentechnik schon Alltag. Und in einer globalisierten Welt damit auch in Deutschland.

In der EU pflanzen Landwirte zwar kaum gentechnisch verändertes Gewächs. Aber sie importieren es massiv. Derzeit sind 49 gentechnisch veränderte Pflanzen für den Import als Lebens- und Futtermittel in der EU zugelassen. Meist geschieht das ohne größere Aufregung.

EU-Zulassungen für gentechnisch veränderte Pflanzensorten als Lebens- und Futtermittel

Im November 2013 etwa erhielt Monsanto die Importgenehmigung für den Mais "SmartStax". In das Gewächs haben Biologen mehrere Gene fremder Arten eingeschleust, sodass die Pflanze nun sechs verschiedene Insektengifte produziert, und resistent gegen zwei Unkrautvernichtungsmittel wird. Das ist ein stärkerer Eingriff als beim Mais 1507, der nur ein Insektengift produziert und resistent gegen ein Pestizid ist. Dennoch protestierte niemand groß gegen "SmartStax".

Allein 25 Millionen Tonnen Sojabohnen und Sojaschrot werden auf Basis dieser Zulassungen jährlich in die EU importiert. Zwischen 88 und 98 Prozent dieses Sojas ist gentechnisch verändert: Wo landen diese Lebensmittel?

Export von Soja in die EU (Foto: OVID 2012)

Gentechnik verbirgt sich im Tierfutter

Eigentlich ist die Sache klar geregelt: Sobald Lebensmittel zu mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten, muss sie der Hersteller kennzeichnen. Doch im Supermarktregal trägt weit und breit kein Produkt die Aufschrift "genetisch verändert", die Regale scheinen davon leergefegt. Gentechnik? Nirgends.

Denn die allermeisten GVO landen im Trog von Hühnern, Rindern und Schweinen. Legen die Tiere Eier, geben Milch oder werden geschlachtet, müssen diese Produkte nicht mehr gekennzeichnet werden - obwohl die Grüne Gentechnik ein essentieller Bestandteil ihrer Herstellung ist. "Das ist die entscheidende Kennzeichnungslücke, die wir haben", sagt Andreas Winkler von der Organisation Foodwatch. Welche Produkte auf diese Weise mit Gentechnik in Berührung kommen, ist fast unmöglich zu sagen. "Sie können es als Verbraucher nicht erkennen", sagt Winkler.

So enthalten nach Zahlen des Deutschen Verbands Tiernahrung nur zwischen sechs und zehn Prozent des Mischfutters für Milchkühe keine GVO-Bestandteile - umgekehrt heißt das, mehr als 90 Prozent der Milch im Supermarkt wird mithilfe Grüner Gentechnik hergestellt. Beim Schweinefleisch liegt die Gentechnik-Quote bei rund 99 Prozent, Bioprodukte ausgenommen.

Verbraucherschützer fordern daher, die Kennzeichnung auch auf tierische Produkte auszuweiten, die mithilfe von genverändertem Futter hergestellt werden. Doch die EU-Kommission wehrt sich. Entscheidend für eine Kennzeichnung sei, ob biologisch verändertes Material im Endprodukt nachweisbar ist. "Das ist bei diesen Produkten nicht der Fall", erklären die zuständigen EU-Kommissare für Gesundheit und Landwirtschaft, Tonio Borg und Dacian Cioloș. Im Fleisch oder in der Milch finde man keine Rückstände gentechnisch veränderter DNA-Abschnitte mehr, eine Kennzeichnung sei daher nicht angezeigt.

Das ist wohl richtig - nachweisbar ist der Eingriff ins pflanzliche Erbgut im fertigen Schnitzel nicht mehr. Auch ein Gesundheitsrisiko für den Verbraucher geht von den Produkten nicht aus. Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA prüft die GVO auf Unbedenklichkeit, bevor sie nach Europa dürfen.

Anteil der Futtermittel zur Herstellung des jeweiligen Lebensmittels, die GVO enthalten

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Transparent ist die fehlende Kennzeichnung jedoch nicht. Für viele Verbraucher ist auch wichtig zu erfahren, ob sie mit ihrem Einkauf bewusst oder unbewusst die Wirtschaftsweise unterstützen möchten, die mit dem Anbau von GVO verbunden ist. In Brasilien hat man etwa mit Mais 1507 keine guten Erfahrungen gemacht, einzelne Bauern berichten von Ernteeinbrüchen von bis zu 30 Prozent. Auf den Felden tauchen resistente Raupen des Eulenfalters auf, gegen die das Toxin der genveränderten Pflanze wirkungslos geworden ist. In Puerto Rico musste der Mais deshalb vor einigen Jahren vom Markt genommen werden.

Andererseits kamen Forscher in Nature Biotechnology in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, Bauern hätten größtenteils finanziell vom Umstieg auf GVO profitiert, besonders in Entwicklungsländern. In 124 untersuchten Fällen hätten sich die Ernten verbessert, nur in 13 verschlechtert. "Wo insektenresistente Pflanzen wachsen, sinkt der Pestizideinsatz", schreiben auch Forscher von der Universität Surrey. Die Wasserverschmutzung nehme ebenfalls ab. Zugleich warnen die Forscher aber vor dem Risiko zunehmender Resistenzen.

"Der Konsument sollte eine bewusste Kaufentscheidung treffen können", fordert Andreas Winkler. "Will ich die Gentechnik mit allen damit verbundenen Aspekten unterstützen oder nicht?" Bereits jetzt sind etwa drei Viertel aller Verbraucher nach Umfragen unsicher beim Einkauf, viele ärgern sich über unklare Angaben auf der Verpackung.

Konfrontation mit Brüssel?

Das dürfte ein Grund dafür sein, dass auch die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Kennzeichnung "für Produkte von Tieren, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden", fordert. "Die Bemühungen sind da", formuliert ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums nebulös. Ein nationales Gesetz mache aber keinen Sinn, und in der EU-Kommission gebe es nicht genug Unterstützung dafür. Ob der neue Agrarminister Christian Schmidt die Konfrontation mit Brüssel wagt, ist fraglich. Die EU-Kommission verweigert dazu jeden Kommentar.

Suchen Verbraucher Transparenz, können sie bislang auf Siegel wie "Ohne Gentechnik" ausweichen. Hier ist auch die Verwendung von GVO-haltigem Futter ausgeschlossen. Das gilt aber nur für einen bestimmten Zeitraum: Bei Schweinen dürfen Landwirte vier Monate bis zur Schlachtung keine GVO mehr verfüttern, bei der Milcherzeugung sind es drei Monate, bei Hühnern sechs Wochen vor dem Eierlegen. Zudem sind Zusätze wie Aminosäuren im Futter erlaubt, die mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt wurden - ganz ohne Gentechnik geht es also fast nirgends. Der Erfolg des Siegels ist jedoch begrenzt, bislang nutzen es gut 130 Betriebe. Zum Vergleich: Etwa 30 000 Landwirte sind als "bio" zertifiziert. Sie verpflichten sich damit ebenfalls, auf Gentechnik im Futtermittel zu verzichten.

Auf dieser Karte finden Sie die Lizenznehmer des Siegels "Ohne Gentechnik" in der Übersicht

Die Lebensmittelwirtschaft selbst steht dem Vorschlag, die Gentechnik-Kennzeichnung auszuweiten, gespalten gegenüber. "Der Verbraucher will das durchaus wissen", sagt Marcus Giernau vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde BLL. Produzenten von tierischen Lebensmittel sähen die Forderung im Koalitionsvertrag eher skeptisch. Doch es gebe viele Firmen, die eine Ausweitung der Kennzeichnung sogar begrüßen, "um das ganze Spektrum der Gentechnik als Prozess sichtbar zu machen". Das hieße dann, auch alle Vitamine, Enzyme, Aromen zu kennzeichnen, die mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden. So hergestellte Stoffe müssen bislang ebenfalls nicht gesondert auf der Packung ausgewiesen werden.

Warum wagen dann nicht diese Firmen genau dieses Experiment - und schreiben freiwillig auf die Packung, welche Bestandteile in irgendeiner Form mit Gentechnik in Berührung kamen? "Keiner weiß, wie der Verbraucher darauf reagieren würde", sagt Giernau. "Deshalb will auch niemand der erste sein, der sich damit vorwagt."

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