Kuriose Sammlungen:Abenteuer im Verdauungstrakt

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Einige Exponate im Pooseum, Richmond, Tasmanien. (Foto: www.pooseum.com.au)

Jeder macht's, aber kaum jemand spricht darüber. Das Pooseum zeigt Fäkalien aller Art. Darunter: lebensrettende Ausscheidungen und Mobiliar aus Kot. Teil 3 der SZ-Serie "Was ist das denn?".

Von Hanno Charisius

Es gibt viele Gründe, neidisch auf die englische Sprache zu sein. Das Wort poo ist einer davon. Gesprochen wird es "pu", so niedlich, so harmlos. Auf Deutsch dagegen: "Kacke". Oder halt als Verb, je nach Gebrauch. Klar, jeder macht es, aber man spricht ungern darüber, zumindest in Deutschland. Englischsprachige Länder haben es einfacher. Vielleicht liegt es daran, dass es in diesen Ländern mitunter, Achtung, ein Pooseum gibt. Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie das in Deutschland heißen würde.

Das Pooseum in Richmond, Tasmanien, wird in der Reiseführerprosa als "innovativ" bezeichnet, dabei ist die Herangehensweise für ein Museum eher konventionell: Es gibt haufenweise Exponate zum Beispiel von Tasmanischen Teufeln, Löwen und Dinosauriern, und dazu kann man Lehrreiches lesen über die Herkunft der Fladen, Kugeln, Haufen oder Würfel. Ja, der Kot von Wombats ist würfelförmig. Die bis zu einen Meter langen australischen Beutelsäuger lassen jeden Tag 80 bis 100 Klötzchen fallen.

Menschen finden Fäkalien in der Regel einfach nur kacke. Doch in der Kreislaufwirtschaft der Natur sind die Hinterlassenschaften von Lebewesen weit mehr: eine nährstoffreiche Ressource für Pflanzen und Tiere. Mistkäfer legen ihre Eier in den Kot von Wiederkäuern und ernähren sich auch selbst von ihm. Hasen fressen ihre eigenen Hinterlassenschaften, um in einer zweiten Verdauungsrunde mehr Nährstoffe aus ihrer Kost zu ziehen. Wal-Kot ist essenziell für die Planktonproduktion in den Weltmeeren. Die Säugetiere wirken im maritimen Nährstoffkreislauf wie Pumpen: Sie fressen sich in nährstoffreichen tiefen Gewässern voll und setzen ihre Hinterlassenschaften dann an der Oberfläche ab, wo sie dem Phytoplankton als Dünger dienen. Die Spinnenart Phrynarachne ceylonica tarnt sich als Vogelkacke-Klecks und verströmt sogar einen entsprechenden Duft, um Feinden zu entgehen und zugleich Beute anzulocken. Und natürlich dient der eigene Kot gelegentlich auch zur Selbstverteidigung.

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Karin Koch aus Richmond kam auf die Idee mit dem Pooseum. Auf der Homepage steht, sie habe Wissen über Kunst, Tourismus und Eventmanagement und sei auf der Suche nach einem neuen Projekt gewesen, da habe sie eine Geschichte "über eine kleine Raupe gelesen, die ihre Kacke bis zu 1,5 Meter weit schleudern kann". Ein 1,8 Meter großer Mensch müsste seine Hinterlassenschaften 70 Meter weit katapultieren, um da mitzuhalten. "Fasziniert begann ich, über tierische Fäkalien zu recherchieren, und schon bald war die Idee für ein Fäkalienmuseum geboren." Dort erklärt sie, warum Koalas den Kot ihrer Mutter fressen und wie Fledermäuse es schaffen, sich kopfüber hängend nicht selbst zu beschmutzen.

Das Museum der Fäkalien in Tasmanien ist nicht sehr groß, nach einer Stunde dürfte jeder Besucher und jede Besucherin hinreichend Information verdaut haben. Innovativ ist eher, solchen Hinterlassenschaften ein Museum zu widmen. Oder?

Tatsächlich hatten schon zahlreiche Naturkundemuseen einen begehbaren Darm samt Ausstellung über den Verdauungstrakt im Haus, was sehr verdienstvoll ist, allein in Deutschland leben geschätzt zwölf Millionen Menschen mit Reizdarmsyndrom. Bücher über den Verdauungstrakt werden millionenfach verkauft. Das Science and Industry Museum in Manchester ging im Juli 2023 noch einen Schritt weiter: Für ein Jahr wurde dort eine Art internistischer Abenteuerspielplatz samt Rutsche und Pupsmaschine aufgebaut. Die Isle of Wight vor der Südküste Englands wiederum beherbergt das National Poo Museum, das sich "Micro-Museum" nennt - eher ein Kuriosum für Touristen als eine wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Jedes Lebewesen schleppt in seinem Inneren ein eigenes Ökosystem mit sich herum

Das sogenannte Poozeum schließlich ist rund um die Uhr geöffnet, zumindest die digitale Zweigstelle im Internet. George Frandsen präsentiert dort die laut Guinness-Buch der Rekorde weltgrößte Sammlung von Koprolithen, also von fossilem Kot. In Videos präsentiert er - manchmal gekleidet wie Indiana Jones - einige der mehr als 8000 Fundstücke. Unter ihnen ist auch der versteinerte Haufen eines T. rex. Er hört auf den Namen "Barnum" und gilt als größter Koprolith eines Fleischfressers. Frandsen stellt den versteinerten Kot auch Forschenden zur Verfügung. Paläontologen können so rekonstruieren, was vor Millionen Jahren auf dem Speiseplan stand und wie die Welt damals ausgesehen hat, mit ihren Ur-Pflanzen und Vorfahren heutiger Tierarten.

Eines verrät der fossile Kot aber nicht: Welche Bakterien einst die Verdauungstrakte von Dinosauriern und frühen Säugetieren bevölkerten. Jedes Lebewesen schleppt in seinem Inneren ein eigenes Ökosystem mit sich herum, eine vielfältige Gemeinschaft aus Mikroben, die nicht nur bei der Verdauung hilft, sondern für alle Lebewesen wichtige Dienstleistungen bereitstellt: Das Mikrobiom schützt zum Beispiel vor Allergien und Autoimmunerkrankungen, versorgt den Körper mit Nährstoffen und wehrt Keime ab.

In jedem Gramm Stuhl leben rund tausend Milliarden Bakterien, sie lassen sich bis zu 500 verschiedenen Arten zuordnen. Jede übernimmt andere Aufgaben. Doch ballaststoffarme Fertignahrung und Medikamente setzen der Artenvielfalt zu, auch das zeigten Studien mittlerweile. "Wir haben festgestellt, dass wir die Biodiversität im Darm verlieren", sagt der medizinische Mikrobiologe Adrian Egli von der Universität Zürich. "Im Amazonas gibt es viel mehr Vielfalt im Vergleich zur westlichen Bevölkerung."

In einem internationalen Unterfangen will Egli jetzt mit Kolleginnen und Kollegen retten, was noch zu retten ist. Die Gruppe will Stuhlproben in einen Speicher einlagern, um die Vielfalt der Darmbakterien zu konservieren - auch mit dem Hintergedanken, damit Krankheiten behandeln zu können. Stuhltransplantationen von gesunden Spendern haben sich bei der Behandlung einiger Darmleiden bereits bewährt.

In einer Lösung könnten Bakterien Jahrzehnte überleben, wie Egli sagt. 2500 Stuhlproben lagern bereits in Tiefkühlschränken bei minus 80 Grad Celsius. Sie stammen unter anderem aus Äthiopien, Laos, Puerto Rico und der Schweiz. Demnächst sollen Zehntausende weitere Proben aus aller Welt in Zürich landen. Dafür müsse ein Tresor für die Endlagerung gebaut werden, sagt Egli. Die Eisschränke in seinem Labor reichen bald nicht mehr.

Weitere Folgen der SZ-Serie "Was ist das denn?" lesen Sie unter sz.de/kuriose-sammlungen.

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