Forschung:Gen-Studie zu Uiguren zurückgezogen

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Eines der umstrittenen "Ausbildungszentren" für Uiguren in Dabancheng in Xinjiang. (Foto: Thomas Peter/REUTERS)

In China werden zunehmend genetische Daten von Minderheiten erhoben - und womöglich gegen sie verwendet. Jetzt wurde eine Arbeit wegen ethischer Bedenken gelöscht.

Von Christina Berndt

Genetische Daten sind mehr als nur Daten. Sie können Auskunft geben über intime Eigenschaften, und mitunter werden sie sogar gegen die Menschen verwendet, von denen sie erhoben wurden. Manche Wissenschaftler betrachten deshalb mit Sorge, was gerade in Chinas Genforschung geschieht. Dort haben sich Wissenschaftler darauf spezialisiert, Gen-Daten zu forensischen Zwecken zu erheben. Sie sollen gemeinsam mit der Überwachung von Bewegungsdaten und der verbreiteten Gesichtserkennung im öffentlichen Raum angeblich der Verbrechensbekämpfung dienen. Besonders im Fokus stehen genetische Besonderheiten von Tibetern oder muslimischen Minderheiten wie Uiguren, Kasachen und Hui. "Für diese Völker ist die Erhebung der Daten in einem Regime wie China sehr gefährlich", sagt der Genetiker Yves Moreau von der Katholischen Universität im belgischen Leuven.

Moreau versucht seit langem, Wissenschaft und Politik auf diese Problematik aufmerksam zu machen - und nun trägt seine Arbeit Früchte. In der vergangenen Woche haben chinesische Forscher ein Paper zur genetischen Analyse von Uiguren, Kasachen und Hui zurückgezogen, das im vergangenen Jahr im International Journal of Legal Medicine erschienen war. Die Retraction erfolgte auf Druck des Verlags Springer Nature - und zwar "nachdem Bedenken zur ethischen Abnahme aufgekommen waren", wie der Verlag erklärt. Auf Nachfrage teilte Springer Nature der Plattform Retraction Watch mit, der Hauptautor Yi Ye habe eingeräumt, dass die Studie anders als zunächst behauptet kein Ethikkomitee durchlaufen habe. Derzeit würden weitere 24 Artikel daraufhin überprüft, ob sie ebenfalls gegen ethische Grundsätze verstießen, so Springer Nature. Man nehme die Problematik sehr ernst.

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Für Till Andlauer ist das ein erster wichtiger Schritt, der andere Fachverlage und Wissenschaftler aufrütteln sollte. "Das Feld der forensischen Genetik muss erkennen, dass es sich nicht in einem ethik- und rechtsfreien Raum befindet", sagt der Genetiker, der am Münchner Klinikum rechts der Isar arbeitet und sich für genetische Selbstbestimmung von Minderheiten einsetzt.

An vielen solcher Publikationen arbeiten Forscher von Polizei, Justiz oder Militär mit

Denn genetische Analysen in der Forensik bringen grundsätzliche Probleme mit sich. Es mag zwar aus Sicht der Strafverfolgung einleuchtend klingen, wenn man Täter aufgrund von Tatortspuren identifizieren kann; dabei könnte ihre Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe helfen. Doch zum einen bergen die Analyseverfahren stets das Potenzial für einen Irrtum, was vor allem Folgen für Minderheiten hat. "Sie gelangen bei solchen Fehlinterpretationen überproportional oft ins Visier der Ermittler", sagt die Wissenschaftsforscherin Veronika Lipphardt vom University College Freiburg, somit tragen die Daten zu einem negativen Narrativ über diese Minderheiten bei - etwa der Behauptung, diese Menschen seien häufiger an Verbrechen beteiligt. Zum Zweiten werden die Daten oft ohne informierte Einwilligung erhoben. "Es existieren vermutlich Hunderte von Veröffentlichungen im Feld der forensischen Genetik, bei denen die untersuchten Menschen kein persönliches, schriftliches Einverständnis gegeben haben", sagt Andlauer.

Vor allem in China kann bezweifelt werden, dass bei der Erhebung und Nutzung der sensiblen Gen-Daten jene ethischen Standards eingehalten werden, die in Europa als angemessen gelten, sagt Thomas Schulze, Leiter des Instituts für Psychiatrische Genetik an der Universität München und Präsident der International Society of Psychiatric Genetics. "Genetische Forschung kann aber niemals losgelöst von ethischen Fragen sein." Der Psychiater befürchtet, dass die chinesische Regierung die erhobenen Daten nutzt, um die Unterdrückung der Minderheiten weiter voranzutreiben. Er fordert deshalb ein Moratorium für die Nutzung von Gen-Daten aus China, bis gesichert ist, dass sie nach hohen ethischen Standards erhoben werden.

Besonders bedenklich ist, dass die Autoren der chinesischen Gen-Analysen häufig mit Polizei, Militär oder Justiz zusammenarbeiten. "Das gilt für etwa die Hälfte der Studien zu forensischer Populationsgenetik aus China", sagt Yves Moreau. "Uiguren und Tibeter werden dabei 30- bis 40-mal häufiger untersucht als Menschen aus der Han-Mehrheit, wenn man die Zahl der Studien auf die Bevölkerungszahl zurückrechnet." Auch an dem nun zurückgezogenen Paper war die Polizei beteiligt. Drei Autoren waren zudem Angehörige des berüchtigten Karamay Municipal Public Security Bureau, das die US-Regierung im Oktober 2019 mit Sanktionen belegt hat, weil es "in Menschenrechtsverletzungen, Misshandlungen und die Repressionspolitik Chinas involivert" ist.

Mit dem Zurückziehen solcher Papers sei es aber nicht getan, sagt Veronika Lipphardt. Die Daten müssten auch aus internationalen Datenbanken entfernt werden, wie sie etwa von der chinesischen Polizei genutzt werden. Es sei an der Zeit, dass Wissenschaftler und Betreiber von Datenbanken ebenso wie die Herausgeber von Fachzeitschriften stärker darüber nachdenken, wofür die Ergebnisse genetischer Bevölkerungsstudien genutzt werden könnten.

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