Wissenschaftsfreiheit:Auch Forscher dürfen schweigen

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In dem Rechtsstreit ging es um die Aufnahme eines Gesprächs mit einem Inhaftierten in der JVA Bamberg zu Forschungszwecken. Durfte sie beschlagnahmt werden? (Foto: David Ebener/picture alliance / dpa)

Ein Erlanger Wissenschaftler interviewt Inhaftierte vertraulich, dann beschlagnahmt ein Gericht die Aufnahmen. Nun widerspricht das Bundesverfassungsgericht - auch im Interesse der Ermittler.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Für einen Forscher, der auf das Vertrauen seiner Probanden angewiesen ist, hätte die Sache kaum desaströser verlaufen können. Mark Stemmler, Professor am Institut für Psychologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, hatte ein sensibles Projekt angestoßen, es ging um islamistische Radikalisierung im Gefängnis. "Wir haben Schweigepflicht", versicherte er den Inhaftierten, die mit den Forschenden über Familie und Kindheit, über Religion und Politik sprechen sollten. Doch kurz darauf erließ das Oberlandesgericht (OLG) München einen Durchsuchungsbeschluss. Weil einer der Interviewpartner, ein wegen Drogendelikten inhaftierter 26-jähriger Iraker, der Mitgliedschaft in der Terrorgruppe "Islamischer Staat" verdächtigt wurde, kreuzten Kriminalbeamte im Januar 2020 bei Stemmler auf und verlangten die Dateien. Unter Protest lenkte er ein - um dann vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Nun hat Stemmler recht bekommen, irgendwie jedenfalls. Zwar wurde seine Beschwerde formal abgewiesen, weil eine Frist überschritten worden war. Doch weil der Schutz der Wissenschaft vor Beschlagnahmen der Ermittler seit der umstrittenen Aktion ein in der Juristenwelt heiß diskutiertes Thema ist, schrieb das Gericht - Unzulässigkeit hin oder her - trotzdem eine inhaltliche Begründung. Und die fiel zugunsten der Wissenschaft aus.

Rechtlich geht es dabei um das sogenannte Zeugnisverweigerungsrecht und das damit verbundene Verbot von Beschlagnahmen. Darauf können sich nur bestimmte Berufsgruppen berufen, Geistliche, Anwälte und Ärzte zum Beispiel. Und eben "Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken" oder Rundfunksendungen mitwirken. Darunter versteht man gemeinhin die Presse, und tatsächlich hat der Gesetzgeber auch nur an sie gedacht, als er den Paragrafen vor gut 20 Jahren formulierte.

Aussagekräftige Daten können oft nur vertraulich erhoben werden

Vergessen hatte er dabei die Wissenschaft, obwohl empirische Sozialforscher eben auch gelegentlich heikle Gespräche führen, für die Vertrauen die wichtigste Währung ist. Zwar gibt es namhafte Stimmen wie den Kölner Strafprozessrechtler Thomas Weigend, die der Ansicht sind, man könne den Schutz der Wissenschaftler trotzdem in den Paragrafen hineinlesen - weil sie ja ebenfalls an der Herstellung von "Druckwerken" mitarbeiten. Aber Staatsanwälte und Ermittlungsrichter gehen mit solchen Unschärfen im Gesetz mitunter um wie der Freistoßschütze im Fußball mit der Mauer: Wenn es gilt, Verbrechen aufzuklären, werden solche Hindernisse auch mal mit der Kunstfertigkeit des Profis überwunden.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun klargestellt, dass man sich hier gar nicht mit dem Klein-Klein der Paragrafen aufhalten muss, sondern direkt aufs Grundgesetz zurückgreifen kann. "Die Forschungsfreiheit umfasst auch die Erhebung und Vertraulichkeit von Daten im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte", schreibt das Gericht. Aussagefähige sensible Daten könnten oft nur "unter der Bedingung von Vertraulichkeit erhoben werden". Gerade in der Kriminologie, die kriminelle Dunkelfelder aufhellen und Kontexte beleuchten solle, sei dies offenkundig.

Das klingt wie ein Auftrag an den Gesetzgeber, den Schutz der Forschenden präzise zu regeln. Ein erzwungener Vertrauensbruch wie in Erlangen, so merkte das Gericht an, habe jedenfalls Folgen nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die "funktionierende Strafrechtspflege", auf die sich das Münchner OLG berufen hatte. Denn Kriminalprävention sei nun mal auf Erkenntnisse aus den dunklen Sphären des Verbrechens angewiesen. Ermittler, die solche Forschung mit voreiligen Razzien torpedieren, schießen sich also selbst ins Knie. Oder in der Sprache des Bundesverfassungsgerichts: "Eine effektive Verhinderung von Straftaten setzt deshalb genau jene Forschung voraus, die durch den Zugriff auf ihre Daten zum Zwecke der konkreten Strafverfolgung erheblich erschwert oder verunmöglicht wird."

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