Nachts wird es am Strand der japanischen Okinawa-Inseln betriebsam: Bläuliche Landeinsiedlerkrebse (Coenobita purpureus) kommen aus ihren Verstecken hervor und krabbeln über den Sand. Üblicherweise suchen die Tiere sich Muschelschalen oder Schneckenhäuser zum Schutz ihres Hinterleibs. Die Schalen schützen die Krustentiere vor Räubern. Der Fotograf Shawn Miller machte jedoch eine Entdeckung: "Da war dieser Krebs, der in einem Plastikverschluss lebte", sagt Miller. Der Fotograf wohnt seit etwa 20 Jahren auf Okinawa und dokumentiert den Wandel der Natur. Solch eine Anpassung habe er aber noch nie gesehen.
Miller ging gezielt auf die Suche nach den Krebsen, immer wieder fand er Exemplare, die sich Plastikteile als Behausung aussuchen. Besonders an den abgelegenen Stränden der Insel habe sich sehr viel Müll angesammelt, aus dem sich die Krebse bedienen könnten.
Ein Großteil des Kunststoffs wird vermutlich aus Taiwan, Korea und China auf die subtropische Inselkette angeschwemmt, vermutet Miller, aber auch Okinawas Bewohner selbst nähmen gelegentlich wenig Rücksicht auf die Natur.
"Es ist erstaunlich, dass sich die Krebse anpassen können", sagt der Fotograf. Für die Landeinsiedlerkrebse sei das Plastik zu einer Ressource geworden. Der Kunststoff schütze die verwundbaren Weichteile der Krustentiere ausgezeichnet.
Von der Wissenschaft sei das Phänomen bislang kaum beachtet worden, sagt Miller. Dabei sei die Anpassung auch an anderen stark verschmutzten Stränden Asiens zu beobachten. "Es geschieht einfach überall."
Besonders schätzen die Krebse die Verschlüsse von Propan-Tanks. Einheimische veranstalten damit Grillfeste am Strand, die Schutzkappe wird häufig achtlos weggeworfen.
Wenn die Krebse wachsen, suchen sie sich neue Behausungen. Das führe dazu, dass die Einsiedlerkrebse häufig miteinander um das Plastik konkurrieren, sagt Miller. "Krebse kämpfen sehr häufig, sie kämpfen auch um den Müll." Begegne eine größere einer kleineren Krabbe mit einer geeigneten Schale, "dann überzeugt die größere die kleinere, zu tauschen".
Viele Japaner nähmen seine Fotos mit Humor, sagt Miller. "Sie finden es niedlich und lachen darüber." Mit Ausstellungen und Vorträgen versucht der Fotograf, die Bewohner der Inseln für das Umweltproblem zu sensibilisieren.
Nach aktuellen Schätzungen landen jährlich etwa acht Millionen Tonnen Kunststoff in den Ozeanen. Wind und Wetter zerreiben das Plastik zu immer kleineren Stücken. Dieser Prozess dauert sehr lange, größere Plastikteile können daher auch viele Jahre lang intakt bleiben.
Langfristig hat der Kunststoff gravierende Auswirkungen auf die Nahrungskette. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts untersuchten kürzlich Speisefische in der Nord- und Ostsee auf Plastikrückstände. Fünf Prozent der Fische hatten Kunststoff im Verdauungstrakt, bei Makrelen konnten die Forscher teilweise bei jeder dritten Plastikteilchen nachweisen. Die Tiere können an den verschluckten Plastikteilen sterben. Chemische Stoffe können sich auch aus dem Kunststoff lösen und das Wasser verunreinigen.
Kurzfristig könnten zumindest die Landeinsiedlerkrebse von Okinawa jedoch vom Plastik profitieren. "Es erhöht wohl ihre Chancen zu überleben", sagt Miller. "Zumindest zeitweise." Mehr Bilder auf Millers Flickr-Kanal "Okinawa Nature Photography"