Das Urlauberparadies ist mit Sand gebaut - und deshalb schwindet es. An den Stränden der Kapverdischen Inseln wachsen immer mehr Hotels und Pensionen in den Himmel. Sie sollen die Touristen beherbergen, die seit 2010 in steigender Zahl den Archipel besuchen. Die Inselgruppe zieht zunehmend Wanderer, Surfer und Pauschaltouristen an, denen die Kanaren nicht exotisch genug, Ägypten und Tunesien aber in den letzten Jahren zu unsicher geworden sind.
Der Sand für den Beton, aus dem die neuen Feriendomizile auf Kap Verde geschaffen sind, stammt von den inseleigenen Stränden. Frühmorgens sieht man dort Frauen ins Meer waten, wo sie Eimer um Eimer der kostbaren Ressource bergen. Ihre Männer, sagen sie, seien auf Fischfang oder hätten die Familie schon lange verlassen. Doch was die Frauen tun, ist zum einen verboten, zum anderen gefährlich: Auf glitschigen Felsen wagen sie sich weit in die Wellen hinein. Die Eimer, die sie auf dem Kopf balancieren, fassen an die 40 Kilo Sand.
15 Milliarden Tonnen Meeressand werden jährlich verbraucht
Die Regierung versucht vergeblich, den Raub zu stoppen: An manchen Tagen überwacht ein bewaffneter Polizist den Strand, doch sobald er fort ist, gehen die Frauen zurück ins Meer. Auf Dauer zerstört dieser Raubbau die Inseln und ihr Ökosystem. Die Küsten erodieren und können das Festland nicht mehr schützen. Das Salzwasser drängt immer weiter ins Land und macht die Böden unfruchtbar. Die Einwohner der Kapverden sind sich dessen bewusst, aber andere Einkommensquellen gibt es kaum.
Die Inseln im Atlantik stehen symbolisch für eine weltweite Entwicklung: Der Meeressand geht zur Neige. Was sich zunächst unbedeutend anhört, könnte in ein Szenario münden, das sich wie aus einem apokalyptischen Hollywood-Blockbuster ausnimmt, denn Sand steckt nicht nur in Autobahnen und Einfamilienhäusern, sondern auch in Gegenständen des täglichen Gebrauchs, etwa Haarspray, Rotwein und Zahnpasta. "Sand", sagt der britische Geologe Michael Welland in einem Dokumentarfilm, "ist der unbekannte Held unserer Zeit". Der Titel des Films bezeichnet ihn sogar als "die neue Umweltzeitbombe", denn die Reserven des unterschätzten Rohstoffs schrumpfen.
Tatsächlich wird die endlos scheinende Ressource Meeressand immer knapper, denn insbesondere in der Bauwirtschaft ist er begehrt. In einem Artikel der Helmholtz-Gemeinschaft wird der weltweite Sandverbrauch auf jährlich 15 Milliarden Tonnen geschätzt. In Dubai schüttete man zum Bau von künstlichen Inseln mehrere 100 Millionen Tonnen davon auf. Aber auch in einem Einfamilienhaus stecken schon rund 200 Tonnen des Rohstoffs. Sand, der entweder vor den eigenen Küsten vom Meeresboden abgepumpt oder importiert wird, im Fall der Dubaier Insel zum Beispiel aus Australien. Die indonesische Regierung gibt an, 80 ihrer Inseln wären inzwischen auf Grund von Sandraub verschwunden. In Indien gibt es eine regelrechte Sand-Mafia.
Rui Freitas ist der Präsident der Zoologischen Gesellschaft von Kap Verde und beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen des Sandabbaus für das Ökosystem der Inseln. An einem Nachmittag im Dezember sitzt er in einem Straßencafé in der Hauptstadt Praia auf der Ilha de Santiago, der größten Insel von Kap Verde, und erzählt von einer Erfahrung, die er vor ein paar Jahren gemacht hat: "Damals hatte unsere Regierung endlich begriffen, dass wir ein Problem haben. Wir brauchen die Strände zum Schutz unserer Küsten - und ein Strand ohne Sand ist genauso ausgeliefert wie ein Mensch ohne Kleidung.
Die Regierung bestellte also Sand, um die Strände aufzuschütten und Beton herzustellen." So weit, so gut. Doch das Ende von Freitas' Geschichte klingt schließlich wie ein schlechter Witz: "Statt vernünftigen Bausand ließen sie Wüstensand aus Mauretanien einschiffen. Der haftet nicht. Stattdessen kamen mit den Schiffen giftige Schlangen und Skorpione auf die Inseln."
Nicht nur Wüstensand aus Mauretanien macht beim Bauen oder im Küstenschutz Probleme. Dirk Hebel, Professor für nachhaltiges Bauen an der Universität Karlsruhe, erklärt das Phänomen: "Zwar ist Sand genau die Zutat, die der Beton benötigt - aber Sand aus der Wüste eignet sich nicht zur herkömmlichen Betonproduktion." Stattdessen sind dafür Sande aus Meeren, Seen oder Flüssen nötig.
Der Grund dafür liegt im Detail: "Sie müssen sich diese Sande nur einmal unter der Lupe anschauen", sagt Hebel. "Sie werden feststellen, dass die Körner, welche durch Bäche und Flüsse in unsere Meere getragen wurden, scharfkantig und gebrochen sind." Nur diese kantigen Körnchen können durch hohe Reibungswiderstände Druckkräfte aufnehmen und weiterleiten und machen - salopp gesagt - Beton überhaupt erst belastbar. In der Wüste schmirgeln sich die Sandkörner dagegen glatt und sind zur Betonherstellung so nicht brauchbar. "Wüstensand verhält sich wie eine Hand voll Murmeln", erklärt Hebel.