Biologie:"Es ist noch nicht alle Hoffnung verloren"

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Der Axolotl (Ambystoma mexicanum), Liebling der regenerativen Medizin. (Foto: Tkadletz Hannes/dpa)

Der Axolotl ist dafür bekannt, dass ihm Körperteile nachwachsen. Doch weil sein Lebensraum in Mexiko zerstört wird, droht er zu verschwinden. Wie Wissenschaftler versuchen, die letzten Wildtiere zu retten.

Von Richard Stone

Es ist noch nicht einmal Mittag an einem Mittwoch am Xochimilco-See, einem Mosaik aus Teichen und Kanälen im Süden von Mexiko-Stadt, aber die Feiernden auf einem farbenfrohen Touristenboot haben bereits das Bier herausgeholt. Auf einem anderen Boot stimmt eine Mariachi-Band Musik an. Carlos Uriel Sumano Arias paddelt auf seinem Boot mit flachem Boden, das der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (Unam) gehört, in einen ruhigen Kanal und legt neben einer Chinampa an, einer künstlichen Insel für den Anbau von Nutzpflanzen. Das ist ein von den Azteken erfundenes Anbausystem. "Ich möchte Ihnen gerne einen Axolotl zeigen", sagt er.

Der Axolotl ( Ambystoma mexicanum) ist ein Liebling der regenerativen Medizin. Er kann abgetrennte Gliedmaßen, seine Augen, seine krausen äußeren Kiemen und sogar Gehirngewebe nachwachsen lassen. Etwa eine Million Exemplare werden weltweit in Labors und Aquarien gehalten.

Für die einen ist er niedlich, für die anderen grotesk. Der Salamander hat sich auch in der Popkultur einen Namen gemacht und taucht als Figur in Online-Spielen auf. In Mexiko ziert sein Bild die 50-Peso-Note. Der Axolotl ist allgegenwärtig - und gleichzeitig vom Aussterben bedroht. Die einzige noch verbliebene Wildpopulation kämpft hier, in Kanälen, isoliert von ihrem früheren Lebensraum, der für sie zu lebensfeindlich geworden ist.

Jetzt ist auch dieser Zufluchtsort in Gefahr. Unternehmer haben Chinampas aufgekauft, einige in Fußballfelder umgewandelt und auf anderen Pavillons für Fackelpartys errichtet. "Dieses Gentrifizierungsphänomen ist eine enorme Bedrohung", da die Unternehmen weniger als die Bauern in die Reinhaltung der Kanäle investieren, sagt Luis Zambrano González, ein Unam-Biologe, der seit 20 Jahren versucht, das Aussterben des Axolotl zu verhindern.

Forscher schlagen vor, den Axolotl zu kreuzen, um ihn widerstandsfähiger zu machen

Die beste Chance für das Tier könnte eine aggressive Wiederherstellung des Lebensraums sein. Zambrano hofft, die Zahl der Kanalschutzgebiete von derzeit 20, die sich über insgesamt fünf Kilometer Wasserwege erstrecken, auf 200 zu erhöhen - genug, um eine lebensfähige Population zu erhalten, wie er sagt. "Eine Art ist keine Art, wenn sie nicht in ihrer Umgebung lebt", argumentiert er. Andere sehen eine Rettung darin, Axolotl mit eng verwandten Arten zu kreuzen, wodurch genetische Variationen eingeführt werden könnten, die wilde oder in Gefangenschaft lebende Populationen widerstandsfähiger machen. "Andere Ambystoma-Populationen haben vor Kurzem Gene mit dem Axolotl ausgetauscht und sind genetisch ähnlich", sagt der Biologe David Weisrock von der University of Kentucky. "Es ist noch nicht alle Hoffnung verloren."

Die 15 in Zentralmexiko vorkommenden Ambystoma-Arten haben ein gemeinsames genetisches Erbe mit dem Tigersalamander ( Ambystoma tigrinum). Wie die meisten Amphibien hat dieser Kiemen und lebt als Larve im Wasser, bevor er als luftatmender Erwachsener an Land geht. Doch als die Vorfahren der Axolotl vor etwa einer Million Jahren isolierte Seen in der Region besiedelten, führten reichlich Nahrung und wenige Raubtiere zu einer bemerkenswerten Anpassung: In einigen Seen begannen die Salamander, ihr gesamtes Leben unter Wasser zu verbringen, wobei sie ihre jugendlichen Merkmale beibehielten. "Wenn es keinen Druck gibt herauszukommen, kann man geschlechtsreif werden, ohne den Teich verlassen zu müssen", sagt Weisrock. Der Axolotl ist eine von vier Arten in Zentralmexiko, die sich in freier Wildbahn nur selten, wenn überhaupt, verwandeln.

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Die Azteken verehrten den Axolotl und hielten ihn für die Inkarnation von Xolotl, dem Gott des Todes und der Verwandlung. Doch nachdem die Spanier Mexiko-Stadt gegründet hatten, legten sie die nahe gelegenen Seen trocken, wodurch der Lebensraum des Axolotl schrumpfte. In den Siebziger- und Achtzigerjahren erlitt die Amphibie einen weiteren Schlag, als die Behörden Karpfen und Buntbarsche der Gattung Tilapia in Xochimilco einführten, um die wachsende Zahl an Menschen der Region zu ernähren. Beide Fischarten ernähren sich von den Eiern und Jungtieren der Axolotl. Erschwerend für den Salamander kommt hinzu, dass die seichten Gewässer wärmer geworden und stärker verschmutzt sind als früher. Bei einer Erhebung im Jahr 1998 wurden 6000 Axolotl pro Quadratkilometer gezählt. Bei der letzten Zählung im Jahr 2015 waren es nur noch 36 pro Quadratkilometer.

"Das ist ein zusammengebrochenes Ökosystem"

Inzwischen scheint der Salamander aus dem größten Teil von Xochimilco verschwunden zu sein. In den vergangenen zwei Jahren analysierte Alejandro Maeda-Obregón, Doktorand am University College London (UCL), die DNA aus dem Wasser des Sees und suchte nach Anzeichen für Axolotl und andere bedrohte Arten. Maeda-Obregón, der mit Julia Day vom UCL und Elizabeth Clare von der Universität York zusammenarbeitet, konnte bisher keine Hinweise in den touristischen Abschnitten von Xochimilco finden. "Das ist ein zusammengebrochenes Ökosystem", sagt er. Die Forscher haben sich nun den Schutzgebieten zugewandt, von denen aus früheren Untersuchungen bekannt ist, dass der Axolotl dort vorkommt, und dort nach den Tieren gesucht.

Die enge Verwandtschaft des Axolotl mit anderen Ambystoma-Salamandern könnte es Biologen ermöglichen, die Art durch Züchtung mit Verwandten wiederzubeleben. Laut der Unam-Genetikerin Gabriela Parra-Olea untersuchen die Wissenschaftler derzeit die Ursache dieser ungewöhnlichen genetischen Ähnlichkeit. Sie vermutet, dass der Plateau-Tigersalamander ( Ambystoma velasci) der "Promotor der genetischen Einheitlichkeit" gewesen sein könnte. Als erwachsener Landbewohner könnte er von See zu See gekrochen sein und sich mit den örtlichen Salamandern gepaart haben.

Zambrano hofft, dass Zucht-Eingriffe bei den Axolotl von Xochimilco nicht notwendig sein werden. Er und sein Team arbeiten daran, weitere Zufluchtsorte zu schaffen, die frei von Raubfischen sind, indem sie Kanäle mit Netzen oder Felsbarrieren absperren. In einem dieser Refugien ist das Wasser klar und kühl. "Der Axolotl kann hier gut leben", sagt Sumano. Ganz in der Nähe, im Schatten, stehen zwei Wassertanks. Er beugt sich über den einen und zeigt auf eine Axolotl-Larve, die ein paar Zentimeter lang ist und am Rand entlangpaddelt. In dem anderen Tank schwimmen ausgewachsene Axolotl, die zehnmal größer sind. Das Team wartet auf die Genehmigung, die Gefangenen freizulassen.

Zambrano hofft, "unser Gentrifizierungsproblem in eine Chance zu verwandeln", indem er Geld von Bauunternehmern für die Einrichtung von Schutzzonen sammelt. Vor Kurzem hat er eine Axolotl-Patenschaftskampagne gestartet, um Lebensräume wiederherzustellen und Landwirte zu unterstützen, die die Schutzgebiete überwachen. "Die nächsten fünf Jahre sind entscheidend", sagt er. Dem Salamander der Götter läuft die Zeit davon.

Dieser Beitrag stammt aus dem Wissenschaftsmagazin Science. Es handelt sich nicht um eine offizielle Übersetzung der Science -Redaktion. Im Zweifel gilt das englische Original, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: wet

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