Architektur für den Klimawandel:Die Welt lernt schwimmen

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Schwimmende Häuser - Amsterdams Stadtteil IJburg ist auf Wasser gebaut. (Foto: Friso Spoelstra; Architect Koen Olthuis - Waterstudio.NL)

Jahrhundertelang trotzen Niederländer dem Wasser - jetzt wollen sie ihr Land fluten. Funktioniert die Idee, könnte sie Lösung sein für Großstädte und untergehende Inseln.

Von natur-Autorin Tania Greiner

Verrückte Aktionen im Kampf gegen das Wasser gibt es hier schon lange. Einst haben sie Windmühlen gebaut - Tausende von Pumpwerken, die Wasser aus dem Boden über den Deich ins Meer befördern. Eines Tages ersetzen sie die Mühlen durch riesige elektrische Pumpkraftwerke. So sieht sie aus, die Überlebensstrategie der Niederländer. Sie ist nötig, das Leben der Menschen ist kniffelig: Gut ein Drittel des Landes liegt auf oder unter der Höhe des Meeresspiegels. Würden die Pumpen stillstehen, wären diese Regionen sofort überflutet.

Deshalb beschäftigt die Niederländer seit Jahrhunderten vor allem eine Frage: Wie können wir unser Land vor Wasser schützen? Kanäle ziehen, Sand aufschütten, Land trocken legen - lauteten lange Zeit die Antworten. Mittlerweile sind die niederländischen Ingenieure in diesen Fragen zu Experten geworden.

Sie bieten den Fluten selbstbewusst die Stirn, ringen dem Meer Land ab, bauen die Deltawerke, eine insgesamt 3000 Kilometer lange Kette aus Deichen, Dämmen und Flutwehren, die vor zu hohen Nordseewellen schützen soll. Eine ganz besondere Ingenieursleistung ist das Maeslant-Sturmflutwehr. Es bewahrt Rotterdam vor Überflutung, mit zwei mächtigen Toren, die jeweils so viel wiegen wie die Stahlkonstruktion des Pariser Eiffelturms.

Die Parole der Niederländer: "Mit dem Wasser leben!"

Doch das Land, das seit Beginn seiner Geschichte gegen das Wasser ankämpft, ist auf dem besten Weg, sich mit dem jahrhundertealten Erzfeind zu versöhnen - um keine endgültige Niederlage zu erleiden. Schuld an dem Sinneswandel ist der Klimawandel. "Wir müssen neue Wege gehen", sagt der Klimaforscher Pavel Kabat von der niederländischen Universität Wageningen. Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass das Meer bis zum Jahr 2100 um 65 bis 130 Zentimeter ansteigt. Steigende Lufttemperaturen lassen Gletscher und polaren Eisschilder schmelzen - das bedeutet zusätzliches Wasser in den Ozeanen. "Immer höhere und breitere Deichbauten helfen da nicht", meint Kabat.

Aber was dann? Künstliche Inseln im Meer als eine Art Wellenbrecher, die am Ende selbst vor Überflutung geschützt werden müssen? Eher nicht. Stattdessen setzt sich die Einsicht durch, dass es sinnvoller sein könnte, sich dem Klimawandel schon jetzt anzupassen - sollten die Versuche, ihn doch noch aufzuhalten, scheitern. Und so lautet die neue Parole der Niederländer: "Leven met water", mit dem Wasser leben. Und sie schwappt in großen Wogen um die Welt.

Eine schwimmende Stadt? Klingt wie Science-Fiction

Modell des Fundaments: Schwimmkörper aus Beton oder Styropor (Foto: Andreas Tsestos Baca Architects Ltd London)

Einer, der den neuen Schlachtruf international bekannt gemacht hat, ist Koen Olthuis. "Wenn der Wasserspiegel überall hoch ist, haben wir ein Problem", sagt der niederländische Architekt. "Doch die Lösung ist einfach: Wir lassen das Wasser in eingedeichte Gebiete, die sogenannten Polder, zurück. Geflutete Polder führen nicht nur überschüssige Wassermassen ab - sie lassen sich auch als Siedlungsfläche nutzen. Und dafür brauchen wir eine Infrastruktur, die schwimmen kann - schwimmende Häuser, schwimmende Apartments, schwimmende Straßen. Das mag verrückt klingen, aber es ist ziemlich logisch, was wir hier tun."

Eine schwimmende Stadt? Was wie Science-Fiction klingt, ist in den Niederlanden bereits Realität. Die Technische Universität Delft ist die Talentschmiede für angehende Wasserstadtplaner, etliche Universitäten forschen zum Thema Flutschutz und Wassermanagement, und die Delta-Kommission der Regierung steckt Jahr um Jahr 1,2 Milliarden Euro in den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis. Bereits 2005 hat das Ministerium für Städteplanung und Wohnen 15 hochwassergefährdete Gebiete ausgewiesen, wo Planer und Architekten experimentieren können, wie es sich am besten auf dem Wasser lebt.

Die größte Herausforderung ist die Höhe der Aquahäuser

Darunter auch Steigereiland, eine der sieben künstlichen Inseln, die den neuen Stadtteil IJburg im Osten von Amsterdam bilden. Dort, im IJsselmeer, dem größten Binnensee der Niederlande, liegt das umfangreichste bislang realisierte Waterwoningen-Projekt. Es besteht aus knapp 60 Häusern, Eigentumsvillen ebenso wie dreigeschossigen Mietshäusern.

Die eleganten Kästen mit großen Glasfronten sind leicht zueinander versetzt, um ihren Bewohnern möglichst viel Aussicht zu bieten. Eine Art futuristische Reihenhaussiedlung auf dem Meer, nur 20 Minuten vom Stadtzentrum entfernt.

"Wir wollten zeigen, dass man nicht nur Hausboote bauen kann, sondern richtige Häuser, die schwimmen", sagt Koen Olthuis vom Architekturbüro waterstudio.NL, das an dem Projekt beteiligt war. Die größte Herausforderung sei die Höhe der Aquahäuser gewesen. Drei Geschosse, das war neu - Hausboote bringen es in der Regel auf maximal zwei. Denn je höher ein Schwimmkörper, desto stärker gerät er ins Schwanken.

Schwimmende Häuser Schwimmende Häuser in Amsterdam (Foto: Andreas Tsestos Baca Architects Ltd London)

Damit die 18 Meter hohen Mehrfamilienhäuser stabil im Wasser lagen, mussten sie mindestens acht Meter breit werden. Ihnen könne nun, so Olthuis, auch ein Sturm von Windstärke zwölf nichts anhaben. Und wenn das Wasser steigt, hebt es die wasserdichten Amphibienhäuser einfach an. Ihr Fundament besteht aus Styropor, das mit Spezialbeton umhüllt wird.

Das Prinzip ist einfach. Es unterscheidet sich kaum von einer Bohrinsel, die wie ein Korken auf dem Meer treibt. Doch Olthuis und seine Kollegen aus der niederländischen Wasserarchitekten-Szene haben den Baukasten erheblich erweitert.

In Fertigbauweise lassen sich die Fundamente zu Plattformen mit bis zu 200 Metern Seitenlänge verbinden. "Schwimmendes Land", nennt Olthuis das. Der technische Durchbruch schlechthin für ganze Wohnsiedlungen auf dem Wasser. Das System ist äußerst flexibel. Bei Bedarf können Teile herausgenommen und an anderer Stelle wieder angedockt werden.

Für Olthuis ist es das Modell der Zukunft, das er in einem Polder südlich von Den Haag realisieren möchte. Hier könnte der erste schwimmende Appartement-Komplex Europas entstehen. In dem Gebiet, das bislang künstlich trocken gehalten wurde, sollen die Pumpen gestoppt werden. Darauf soll das "New Water Project" realisiert werden, eine schwimmende Siedlung mit 600 Wohnhäusern.

Olthuis hat dafür "The Citadel" ("Die Zitadelle"), einen dreistöckigen Apartmentwürfel, entworfen. Ob er gebaut wird, ist allerdings ungewiss. Die zuständigen Behörden stoppten das Projekt, als 2013 die globale Finanzkrise übers Land zog.

"Wir brauchen Häuser, die Überschwemmungen standhalten"

Bart Roeffen vom Institut Delta Sync, das sich ebenfalls auf das Bauen auf dem Wasser spezialisiert hat, geht mit seiner Firma ähnliche Wege: "Wir sind dabei, den Schritt von schwimmenden Häusern zu schwimmenden Stadtvierteln zu machen", sagt der Kreativ-Direktor. Das Unternehmen kooperiert mit der Stadt Rotterdam.

Dort verfolgt man den Plan, in einem alten Hafengebiet ein schwimmendes Viertel zu Wasser zu lassen. "Bislang sind die Aquahäuser auf die Versorgung vom Ufer aus angewiesen." Nun sollen nicht nur die Wohnhäuser, sondern auch die Infrastruktur aufs Wasser verlegt werden.

Auf den Malediven entsteht die blumenförmige Inselkette "Ocean Flower": 185 schwimmende Luxusvillen für Touristen. (Foto: Architect Koen Olthuis – Waterstudio.NL)

Auf den Wogen tanzende Stadtviertel - sieht so die Zukunft unserer Behausungen aus? Auch Experten anderer Länder plädieren dafür. So etwa Andy Ford. Der britische Professor für energieeffizientes und nachhaltiges Bauen an der London South Bank University entwickelt mit den Architekten der Firma BACA Lösungen zum Hausbau bei extremen Klimabedingungen.

"In Großbritannien lassen regenreiche Winterstürme immer häufiger die Flüsse über die Ufer treten. Wenn nun noch der Wasserpegel der Nordsee steigt, könnte es zu Problemen kommen", sagt der Fachmann. "Deshalb brauchen wir Häuser, die Überschwemmungen standhalten."

Wie praktisch wäre es, Ballungsräume beliebig auf dem Wasser erweitern zu können?

Eine Idee, die weltweit Anklang findet. Das ist nicht weiter verwunderlich. Hunderte Millionen Menschen leben auf Landflächen, die weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegen - Tendenz steigend. Und selbst wenn die Apokalypse ausbleibt, meinen Städteplaner, könnte es angesichts der wachsenden Weltbevölkerung notwendig werden, neuen Lebensraum draußen auf See zu schaffen. Viele Küstenstädte platzen schon heute aus allen Nähten.

Nach Angaben der Vereinten Nationen leben 40 Prozent der Weltbevölkerung in Küstenregionen oder in Flussdeltas. Das Land dort ist meist fruchtbar, weil es viel Wasser gibt und nährstoffreiche Sedimente zusammengeschwemmt wurden. Dementsprechend hoch ist die Bevölkerungsdichte. Und sie nimmt weiter zu. Wie praktisch wäre es also, diese Ballungsräume beliebig auf dem Wasser erweitern zu können - so die Vision der Wasserarchitekten.

Tausende Inseln werden im Indischen Ozean versinken

Es gibt nur einen Haken: Bislang ist das niederländische Vorbild ziemlich kostspielig. Eine halbe Million Euro haben viele Bewohner im Amsterdamer Wasserviertel IJburg für ihre Wohnarche hingeblättert. Die hohen Kosten sind ein massives Problem, denn die Idee der Aquaarchitektur ist besonders für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern interessant. Vor allem sie sind vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht - allen voran Bangladesch, Indien und Vietnam, wo in den äußerst fruchtbaren, niedrig gelegenen Küstenregionen sehr viele arme Menschen leben.

Das Modell eines schwimmenden Hauses (Foto: Andreas Tsestos Baca Architects Ltd London)

Auch mit der Regierung der Malediven arbeitet Koen Olthuis zusammen. Er soll für die rund 300 000 Bewohner des Inselstaates eine schwimmende Rettungsinsel bauen. Sollten die Hochrechnungen der Klimaforscher stimmen, werden etliche der fast 2000 Inseln des Archipels in den nächsten 100 Jahren im Indischen Ozean versinken.

Allerdings haben zunächst die Touristen Priorität, die sich am weißen Sandstrand sonnen. Drei über Unterwassertunnel miteinander verbundene Inseln wird Olthuis für sie bauen. "Greenstar" ist sternförmig und beherbergt ein nobles Kongresshotel mit 800 Zimmern, dazu gibt es Anlegestellen für Jachten. Auf der blumenförmigen Inselkette "Ocean Flower" entstehen derzeit 185 Luxusvillen.

Später gesellt sich dazu das dritte Eiland - ein schwimmender Golfplatz. Wie eine Ölplattform werden die Inseln mit Stahlseilen am Meeresgrund verankert. Für Dubai hat der Architekt ähnlich futuristische Pläne, die er vor der Küste des Emirats im Meer verankern will: eine wassergekühlte Moschee oder ein gigantisches Terminal für Kreuzfahrtschiffe. Große Visionen, die aber noch darauf warten, realisiert zu werden.

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"Schwimmende Städte - Utopie oder Zukunft für unseren Planeten?" Zu dieser Frage trafen sich im September vergangenen Jahres internationale Experten in Rotterdam. Weitestgehend einig scheint man sich über die technische Realisierbarkeit der großen Vision zu sein. Teilnehmer verweisen auf die ökologischen Möglichkeiten beim Bauen auf dem Wasser.

Die Häuser könnten mit Hilfe des Wassers gekühlt oder beheizt werden. Schwimmende Solarmodule oder Windkraftanlagen sorgen für Energie direkt vor Ort. Selbst die Qualität des Wassers scheint nicht unter den schwimmenden Behausungen zu leiden, wie zumindest eine Fallstudie in verschiedenen niederländischen Städten zeigt.

Rettung für Slumbewohner in Asien

Negativ hervorgehoben wird immer wieder der soziale Aspekt. "Unser Ziel muss sein, schwimmende Stadtviertel mit einer guten sozialen Durchmischung zu bauen", sagt Jan Willem Roël von der niederländischen Firma Flexbase. Kommunen müssten deshalb den Bau von Mietwohnungen auf dem Wasser forcieren. Zudem sollten auch Entwicklungsländer von dem Konzept profitieren.

Das Unternehmen ist neben der Universität Rotterdam und einer Reihe anderer niederländischer Firmen an einem Modellversuch beteiligt, der asiatischen Slumbewohnern Rettung verspricht. In Manila, der Hauptstadt der Philippinen, soll das niederländische Know-how für die Ärmsten der Stadt zur Anwendung kommen.

Dort wohnen viele Menschen in einfachsten Hütten nahe der Küste. Regelmäßig stehen ihre Baracken unter Wasser. Der Schaden, der jährlich allein in Manila durch Überschwemmungen entsteht, beträgt rund 146 Millionen Euro. Jedes Jahr werden hier etwa 70 000 Häuser durch die Fluten zerstört.

40 Familien dürfen das Leben auf dem Wasser mal testen

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Filipinos, die unmittelbar an den Küsten des Landes leben, für immer vom Meer verschluckt werden. Zu diesem Ergebnis kommt "Climate Change Congress of the Philippines". Die Organisation kritischer Wissenschaftler erforscht, wie der weltweite Klimawandel das Land trifft - mit alarmierendem Ergebnis: Der Anstieg des Meeresspiegels betreffe 14 Millionen Filipinos.

Das Pilotprojekt lässt nun 40 Familien in den Genuss einer einfachen Unterkunft auf dem Wasser kommen. Der "Sustainable Water Fund", eine niederländische öffentlich-private Partnerschaft, die sich unter anderem für Wasserschutz in Entwicklungsländern einsetzt, fördert das Projekt. Und das ist erst der Anfang: Erweisen sich die schwimmenden einstöckigen Bungalows als flutsicher, sollen sie auch in anderen Teilen Manilas zu Wasser gelassen werden.

Manilas Notfallplan bislang: Zwangsumsiedlung der Illegalen

Vor allem Rick Heikoop, Professor für Wassermanagement von der Universität Rotterdam, verfolgt mit dem Projekt ehrgeizige Pläne. Der Stadtplaner hat vier Jahre lang auf den Philippinen gelebt. Er möchte den illegalen Siedlern der philippinischen Hauptstadt eine sichere Zuflucht auf dem Wasser bieten.

Modell eines Hauses, dessen Fundament aus Schwimmkörpern besteht (Foto: Andreas Tsestos Baca Architects Ltd London)

Rund 100 000 sogenannte Squatters soll es in Manila geben. Sie bauen ihre Hütten dicht an oder über den Wasserwegen der Stadt, teilweise auf Pfählen. Schutz vor den jährlichen Überschwemmungen in der Taifunzeit bedeutet das jedoch nicht, im Gegenteil.

Hoffnungsschimmer für die Opfer des Klimawandels

Experten sind der Ansicht, dass die illegalen Behausungen die Flut sogar verschlimmern. Die Siedlungen ersticken in Müll - er verhindert, dass das Wasser frei abfließen kann. Manilas Notfallplan lautete bislang: Zwangsumsiedlung der Illegalen. Funktioniert hat das bislang aber nicht wirklich. Die Menschen kehrten wenig später wieder zurück, weil sie am neuen Wohnort keine Arbeit gefunden hatten.

Die bessere Lösung könnten schwimmende Siedlungen auf den Wasserstraßen Manilas sein, meint Heikoop, auch um die Müllentsorgung will er sich kümmern. Es ist ein Hoffnungsschimmer für die Opfer des Klimawandels.

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