Nachhaltige Architektur:Wettrüsten am Bau

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Technologie als Heilsversprechen: Energieeffiziente Architektur ist die Apparatemedizin des ökologischen Zeitalters.

Gerhard Matzig

Zwanzig Unternehmen wollen gigantische Solarkraftwerke in der afrikanischen Wüste bauen, um Deutschland künftig mit Ökostrom zu versorgen. Das Projekt, das am Dienstag bekannt wurde, heißt "Desertec". In diesem Kunstnamen verbindet sich die Wüste (desert) mit der Technik (tec), also die Natur mit der Kultur. Abgesehen davon, wie fragwürdig es ist, die Sonne über afrikanischem Boden als deutschen Stromlieferanten zu kolonialisieren, ohne gleichzeitig danach zu fragen, wie man etwa mit Hilfe des deutschen Wasserreichtums die afrikanische Dürre bekämpfen könnte, ist der Begriff Desertec stimmig.

Er beschreibt im großen Maßstab nur das, was sich derzeit in Deutschland und anderswo im kleinen Maßstab vollzieht: Das Klimaproblem soll primär mit den Mitteln der Technik gelöst werden. Was die industrielle Revolution seit dem frühen 19. Jahrhundert als Klima-Kollateralschaden des ungeheuren (westlichen) Wohlstands global angerichtet hat, will man nun durch eine noch größere nachindustrielle Revolution, durch noch mehr Öko-Hightech und durch noch mehr Gerätemedizin wieder heilen.

Das klingt paradox nach dem Grundsatz der Homöopathie similia similibus curantur (Ähnliches wird mit Ähnlichem geheilt), es ist aber reiner allopathischer Alltag. Ein Alltag jedoch, in dem es bevorzugt um Architektur geht. Sie ist es, die derzeit im Mittelpunkt aller relevanten Überlegungen zum Klimadesaster steht, sei es in Form von Kraftwerken, sei es in Form von Siedlungsräumen, Niedrigenergiehäusern oder neuen Dämmstoffen.

Guten Morgen!

Die Architektur ist gerade dabei, sich zum ingeniösen Heilsversprechen aufrüsten zu lassen. Der ungeheure Boom des "nachhaltigen" oder "energieeffizienten Bauens" hierzulande, die kursierenden Pläne von futuristischen Öko-Städten, all das begleitet den Umbau der Architektur. Das Bauen gerät auf diese Weise zur Apparatemedizin des ökologischen Jahrhunderts. Dummerweise ist das zugleich eine gute und eine schlechte Nachricht.

Gut ist zunächst, dass die Architekten, die Bauindustrie und die öffentlichen wie privaten Bauherren endlich aus ihrem Schlaf erwacht sind, in den sie - vor Jahren - trotz der sich schon seit langem abzeichnenden baukulturellen Herausforderung gefallen sind. Und baukultureller Natur sind die Herausforderungen allemal: Rund 40 Prozent des weltweiten klimaverändernden Kohlendioxid-Ausstoßes werden in Wohnhäusern oder Bürobauten produziert. Fragen der Belichtung, der Verschattung und Kühlung (gegen Erwärmung) oder der Dämmung und Beheizung (gegen Abkühlung), Fragen der Fenster- oder Wandmaterialien, Fragen der Raumorganisation: All das sind genuin architektonische Fragen.

Nimmt man die zehn Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes, die sich bei der Bautätigkeit generell ergeben, noch hinzu, lässt sich sagen: Die Hälfte des Klimaproblems wird auf dem Feld der Architektur verursacht. Dort sollte also womöglich auch die halbe Lösung zu suchen sein. Zu schweigen von den 60 Prozent des Müllproblems, die allein dem Bauschutt geschuldet sind. Zu schweigen auch von siedlungspolitischen Aspekten, die sich auf die Freizeit- und Berufsmobilität sowie auf das Güteraufkommen auswirken.

Auch die Dichte von Städten ist bestimmend für den Klimawandel. Auf die entscheidende Kopfgröße umgerechnet, lässt sich deshalb sagen: Hongkong ist umweltfreundlicher als Starnberg. Es gäbe noch mehr Zahlen und Beispiele, wichtig ist aber nur: Architektur und Stadtplanung sind die entscheidenden Disziplinen, um der Menschheit angesichts schwindender Ressourcen und bedrohter Existenzgrundlagen eine Perspektive für die Zukunft anzubieten. Es war deshalb verwunderlich, dass vor allem Architekten bislang so wenig Interesse für die ökologische Verantwortung ihres Tuns gezeigt haben.

Doch das hat sich geändert. Waren es früher die immer selben zehn Namen, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit am Bau fallen mussten, ist nun das Interesse an energieeffizienter Architektur auch dort stark angewachsen, wo bis zuletzt allein die Ästhetik verhandelt wurde. In der Architektenschaft hat sich in den vergangenen Jahren sogar ein regelrechter Paradigmenwechsel im Berufsbild vollzogen. Das fängt bei der Ausbildung an, in der das früher so geschmähte Fach "Haustechnik" zum nachgefragten Studium "Climadesign" avancieren konnte - und es endet noch lange nicht bei der aktuellen Flut von Kongressen, Symposien und Debatten zum Thema.

Die neuen Dachlandschaften

In der vergangenen Woche trafen sich Hunderte Architekten und Planer auf Einladung der agilen Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und ihres Präsidenten, Hartmut Miksch, zum internationalen Kongress "Architektur und Nachhaltigkeit" in Palma. Es war ein weiterer, durchaus erhellender und prominent besetzter Versuch, das Bau-Manifest "Vernunft für die Welt" mit Leben zu füllen und theoretisch zu untermauern. Erst im Frühjahr wurde das Manifest veröffentlicht, in dem deutsche Architekten, Stadtplaner und Ingenieure eine "nachhaltige Baukultur" als entscheidenden Schritt zur "klimapolitischen Wende" beschwören.

Auch in Palma wurde deutlich, wie wichtig der Beitrag der Planer sein könnte. (Deutlich wurde allerdings auch, dass alle Experten, die nach Palma de Mallorca zum "Inselkongress" geflogen sind, ihr theoretisch angemessenes, jährliches Kohlendioxid-Konto mit diesem Flug schon erheblich belastet haben.) Interessanterweise mischten sich in Palma aber auch skeptische Stimmen aus Ethik und Philosophie in den Reigen der neuesten Wärmedurchgangskoeffizienten und aktuellsten Niedrigenergie- oder gar Passivhausstandards. Diese Stimmen besitzen einen deutlich skeptischen, dadurch aber womöglich auch weiterführenden Unterton, der das aktuelle Öko-Wettrüsten - zum Teil jedenfalls - als fragwürdigen Aktionismus interpretiert.

Es gibt beispielsweise neue Zeitschriften zum Thema. Oder der Städtewettbewerb: New York und Chicago balgen sich nicht mehr darum, wer die höheren oder spektakuläreren Häuser hat, sondern darum, wer die grüneren Dächer besitzt. Dann die sogenannten Stararchitekten: Leute wie Norman Foster haben "Green Building" schon längst als weiteres Distinktionsmerkmal ihres Schaffens erkannt. Und das Bauhandwerk boomt: Aus der Luft sind unsere Dachlandschaften kaum mehr wiederzuerkennen: Solarpaneele und Photovoltaikmodule - wohin man auch sieht.

Man kann annehmen, dass die neueste Thermographie vom jeweiligen Eigenheim (die durch Infrarotstrahlung ungedämmte Außenwände auf popbunte Weise entlarvt) den guten alten Warhol-Farbdruck als Sofabild demnächst ablöst. Zu vermuten ist auch, dass der Energieausweis von Wohnungen mit seinen typischen grün-gelb-roten Markierungen von stolzen Energieeffizienz-Experten bald so gerne präsentiert wird wie das Foto der Familie. Man ahnt: Thermische Solaranlagen, Geothermie, Biomassebrennanlagen, Photovoltaikdächer und Energiesparlampen - all das wird in kurzer Zeit zum Volkssport aufsteigen.

Das mag sinnvoll sein angesichts einer Vergangenheit, in der man die Ressourcen zum Fenster hinausgeheizt hat. Der Bewusstseinswandel ist grundsätzlich zu begrüßen. Hochwärmegedämmte Häuser und Büros, dazu die "Renaissance der Stadt", die eine Verdichtung des Wohnens dort proklamiert, wo auch die Arbeitsplätze sind: Das zeugt von verantwortungsvollem Umgang mit den Lebensräumen.

Gute Nacht!

Aber irritierenderweise scheint es nun wichtiger zu werden, sich gegenseitig mit den neuesten technischen Möglichkeiten des Energieeinsparens zu beeindrucken, statt dass man das eigene Verhalten in Frage stellen würde. Anders gefragt: Liegt die Lösung in den Apparaten, oder wäre auch an die demütigende Zumutung zu denken, an einem kühlen Abend im Januar einen Pullover anzuziehen, um es wärmer zu haben?

Das ist nicht lediglich naiv oder gar zynisch gedacht, wie man das seinerzeit Thilo Sarrazin vorgeworfen hat, der in Berlin die Pullover-Strategie gegen kalte Winter zum Entsetzen der Bild-Zeitung diskutieren wollte. Es berührt vielmehr die grundlegenderen Fragen der Architektur, sofern diese mehr sein soll als ein Raumproduzent im ökonomischen, effektiven Sinn. Häuser und Städte können seit einigen tausend Jahren klimaverträglich erbaut werden.

Niemand muss die Öko-Architektur neu erfinden. Was man dagegen wiederfinden sollte, ist ein Absehen von haltlosen Ansprüchen. Wenn man sich entwurflich klarmacht, dass es im Winter kalt und im Sommer warm ist, dass die Sonne im Süden scheint und nicht im Norden, dann hat man das Fundament vernünftiger Architektur schon gelegt. Der Einsatz von noch mehr Technik wird dagegen kaum jene Probleme lösen, die durch noch mehr Technik erst entstanden sind.

© SZ vom 18. 06. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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