Archäologie:Im Zeichen der Schlange

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Riemenzungen mit Schlange und Frosch. (Foto: Universität Brünn)

In Bayern, Tschechien und Ungarn haben Archäologen frühmittelalterliche Gürtelschnallen mit einem rätselhaften Schlangenmotiv entdeckt. Überreste eines unbekannten Kults?

Von Christoph von Eichhorn

Ein Awarenkrieger in voller Montur musste vor 1300 Jahren ein furchterregender Anblick gewesen sein: Reiter und Ross steckten in einer Panzerung, dazu schwangen die Kämpfer schwere Lanzen und schossen mit Kompositbögen dreiflügelige Pfeile ab. 200 Jahre lang beherrschte das Reitervolk von Mitte des 6. Jahrhunderts an ein Gebiet, das sich vom ungarischen Karpatenbecken bis an die Grenzen des heutigen Bayern erstreckte.

Wenn ein Aware vom Pferd abstieg, musste natürlich alles sitzen. So legten die Krieger nicht nur Wert auf Waffen, sondern auch auf ihre Gürtel, wie Jiří Macháček erklärt, Leiter des Instituts für Archäologie an der Universität Brünn. Zusammen mit Kollegen aus Wien und Mannheim hat er kürzlich eine äußerst seltsame Gürtelschnalle aus dieser Zeit entdeckt und untersucht. Der im Journal of Archaeological Science beschriebene Fund wirft auch ein neues Licht auf das frühe Mittelalter in Zentraleuropa.

Im Süden Tschechiens im Dreiländereck zu Österreich und der Slowakei stießen die Forscher bei Ausgrabungen einer slawischen Siedlung auf eine bronzene Riemenzunge aus dem 8. Jahrhundert, etwa von den Ausmaßen einer heutigen Gürtelschnalle. Dieses Teil hielt aber wohl keinen Gürtel zusammen, sondern hing an einem am Hauptgürtel befestigten Lederriemen an der Hüfte herab. Zu sehen ist darauf ein schlangenähnliches Wesen, das eine Art Reptil verspeist, vielleicht einen Frosch. "Im Karpatenbecken gibt es Tausende Gräber mit solchen Garnituren - aber dieses Motiv war ganz neu für uns", sagt Macháček.

Zuerst glaubten die Forscher, dass es sich um ein Unikat handelt. Doch bei ihren Nachforschungen stießen sie auf vier weitere Riemenzungen mit demselben Motiv, die alle innerhalb der vergangenen zehn Jahre entdeckt wurden, verstreut über ein riesiges Gebiet. Zwei stammen aus dem heutigen Ungarn, eine aus Böhmen und eine aus dem oberpfälzischen Iffelsdorf.

"Schnellste bisher rekonstruierte Fernmigration der Menschheitsgeschichte"

Könnte es sich also um die Überreste eines längst vergessenen Kults handeln? Die Interpretation ist schwierig, denn schriftliche Aufzeichnungen hinterließen die Awaren nicht, das meiste über sie weiß man von byzantinischen und fränkischen Autoren.

Erst voriges Jahr gelang es einem internationalen Forscherteam, die Herkunft der Awaren zu klären. Die Forscher verglichen dazu DNA-Proben aus Awarengräbern mit dem Erbgut heute lebender Menschen aus Asien. So konnten sie ermitteln, dass die Awaren ähnlich wie Jahrhunderte zuvor die Hunnen ursprünglich aus der mongolischen Steppe kamen. Nach einer Niederlage gegen die Türken im Jahr 552 floh ein Heerführer vermutlich an der Spitze eines großen Trupps Richtung Westen. Fünf Jahre später tauchen die Awaren bereits nördlich des Kaukasus auf, 567 haben sie das heutige Ungarn eingenommen. "Das ist die schnellste bisher rekonstruierte Fernmigration der Menschheitsgeschichte", erklärte dazu einer der Autoren der Studie, Choongwon Jeong vom Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena.

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Ist das Schlangenmotiv also ein Import aus Asien? Dafür spricht, dass sich die Awaren zumindest zeitweise mythologisch als Schlangen oder Würmer identifizierten. Der verspeiste Frosch könnte nach dieser Deutung die Slawen repräsentieren, die nördlich von den Awaren siedelten. Dagegen spricht jedoch die zuletzt ausgegrabene Schlangenschnalle aus Lány im Süden Tschechiens: Denn der Fundort lässt sich aufgrund der Bebauung eindeutig als slawisch identifizieren, lag also vermutlich außerhalb des Awarenreichs - das Gleiche trifft auf die Funde in Böhmen und Iffelsdorf zu.

Der Archäologe Jiří Macháček am Fundort Lány im Süden Tschechiens. (Foto: Universität Brünn)

Zudem dürften die Riemenzungen sogar in Lány hergestellt worden sein. Die damaligen Handwerker gossen das flüssige Metall in Wachsformen, die den Herstellungsprozess nicht überstehen. Die Forscher stießen jedoch auf eine fehlerhafte Form, die vermutlich aussortiert wurde - praktisch das Negativ des Schlangenmotivs. "Das war eine Riesenüberraschung für uns", sagt Macháček, denn bislang sei selbst im Kerngebiet der Awaren keine einzige Werkstatt entdeckt worden. Mithilfe von 3-D-Scannern stellten die Archäologen zudem eine große Ähnlichkeit zwischen den einzelnen Riemenzungen fest. Außerdem scheint das Metall für die Bronzen aus der gleichen Region zu stammen, vermutlich aus der heutigen Slowakei. "Deswegen glauben wir, dass sie entweder in der gleichen Werkstatt produziert wurden oder von dem gleichen reisenden Handwerker", sagt Macháček.

Die Entstehung der Welt wurde häufig als Kampf mit einer Schlange dargestellt

Die Forscher schließen aus alldem, dass die Schlangenmotive wohl eher für die Menschen außerhalb des awarischen Khaganats eine Bedeutung hatten. Nur welche? Aus dem slawischen Pantheon sind einige Gottheiten überliefert, die als Kultobjekte infrage kommen. Die Schlange könnte etwa Veles darstellen, einen männlichen Gott der Unterwelt, dem man nachsagte, sich gelegentlich als Schlange zu zeigen. Die Muttergöttin Mokosch wird mit Wasser und Feuchtigkeit in Verbindung gebracht - und lässt sich womöglich als der Frosch identifizieren. Es könnte sich somit um einen Fruchtbarkeitskult gehandelt haben. Auch die Entstehung der Welt wird in der vorchristlichen Mythologie häufig als Kampf mit einer Schlange dargestellt, als Ringen zwischen weiblichen und männlichen Elementen.

Letztlich ist das aber wohl nicht mehr zu klären, dafür ist zu viel aus der damaligen Mythologie verloren gegangen. Ganz deutlich zeigen die Funde laut den Archäologen aber, dass die Verbindungen zwischen den einzelnen Regionen wohl intensiver waren als gedacht. "Die Objekte wurden auf slawischem Gebiet hergestellt, aber mit awarischer Technologie, und die Slawen wählten selbst das Motiv", sagt Macháček. Zudem gab es von Lány aus auch Kontakte in andere Richtungen. Am gleichen Ort entdeckten die Brünner Archäologen vor zwei Jahren einen Tierknochen von Anfang des 7. Jahrhunderts, der mit einem Abschnitt des germanischen Runenalphabets bekritzelt war, fast wie ein Schulheft.

Rinderknochen mit eingeritzten Runen. (Foto: Christoph von Eichhorn)

Nur 15 solcher Stücke sind weltweit bekannt, auf slawischem Gebiet wurde die Verwendung germanischer Runen bis dahin noch nie nachgewiesen. Nach Ansicht der Forscher belegt dieser Fund, dass es seinerzeit auch Interaktionen mit germanischen Gruppen wie den Alemannen gab.

Gerade das Grenzland zwischen dem heutigen Tschechien, Österreich und der Slowakei könnte dabei eine Drehscheibe gewesen sein. "Auf diesen Gebieten konnte es zum Transfer von verschiedenem Wissen und Vorstellungen und Technologien kommen", sagt Macháček. Dabei war man lange davon ausgegangen, dass erst die Christianisierung den Startschuss für die europäische Vernetzung gab. Die Funde liefern nun Hinweise, dass die europäische Verschmelzung schon in heidnischer Zeit begonnen haben könnte.

Die Awaren hingegen verschwanden so schnell von der Bildfläche, wie sie aufgetaucht waren. Karl der Große vernichtete ihr Reich Anfang des 9. Jahrhunderts.

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