Zensur in sozialen Medien:Wie Facebook Menschen zum Schweigen bringt

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Facebook will zwar die Daten seiner Kunden, aber nicht, dass seine Kunden Daten bekommen. (Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Das soziale Netzwerk löscht Inhalte und sperrt Nutzer - niemand weiß, warum. Unterstützung erhält Facebook von zweifelhaften Partnern.

Von Johannes Boie

Es ist derzeit nicht ganz einfach mit Stefanie Sprengnagel in Kontakt zu treten. Man kann der österreicherischen Schriftstellerin zwar eine Nachricht über Facebook schreiben, aber Sprengnagel schreibt nicht zurück. Weil sie es nicht kann, denn sie ist auf Facebook gesperrt. Sprengnagel, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Stefanie Sargnagel, ist eine ironische Person, ihre Texte sind oft Satire, ihre Haltung ist politisch in aller Regel links.

Würde sie das, was sie auf Facebook veröffentlicht, in einer Zeitung schreiben, entstünde gewiss ab und an eine Debatte über die Freiheit der Kunst. Auf Facebook aber drückt stattdessen ein Mitarbeiter die Taste Löschen - und die Sache ist erledigt. Natürlich nur für Facebook. Anderen Menschen fehlt ja etwas, nämlich der Text von Sprengnagel.

Perfide daran ist, dass die meisten Nutzer meist gar nicht wissen, dass etwas fehlt. Anders als in einem Gerichtsverfahren, ist die Öffentlichkeit nicht zugelassen, wenn Facebook seine Urteile fällt.

Es handelt sich nicht um Einzelfälle. So wie Stefanie Sprengnagel geht es jeden Tag vielen Menschen. Wie vielen genau, ist unklar, denn auf die Frage, wie viele Nutzer in Deutschland seit dem 1. Januar 2016 gesperrt wurden, antwortet Facebook-Sprecherin Tina Kulow: "Wir machen zu der Anzahl von gelöschten oder gesperrten Postings keine Angaben." Nach Postings wurde allerdings nicht gefragt.

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Um der Sache auf den Grund zu gehen, stellt man nun also die Frage: "Warum kann Facebook keine exakten Angaben in Zahlen zu Sperrungen und Löschungen machen?" Darauf antwortet die Sprecherin von Facebook wörtlich: "Wir machen zu der Anzahl von gelöschten oder gesperrten Postings keine Angaben." Wenn man will, kann man dieses Spiel nun tagelang spielen, mit einem Konzern, der zwar die Daten seiner Kunden will, aber nicht, dass seine Kunden Daten bekommen.

Sicher ist, dass unter den Gelöschten und Gesperrten Konservative und Linke sind, Kapitalisten und Kommunisten, Männer und Frauen. Sicher sind darunter auch viele, die gegen deutsches Recht verstoßen haben. Es gibt sehr viele Spinner auf Facebook, wie das im Leben eben so ist. Die Plattform ist voll von Hetze. Die löscht Facebook allerdings gerade nicht zuverlässig. Stattdessen geht der Konzern ein ums andere Mal gegen Publizisten, Satiriker, Journalisten vor, wie eben Stefanie Sprengnagel.

Zum Beispiel auch gegen Anabel Schunke, eine konservative und vom Ton her hemdsärmelige Publizistin. Als nach dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum eine türkischstämmige Frau auf Facebook die Tat des Attentäters mit "Gut so" kommentiert, veröffentlicht Schunke, fassungslos über die Begeisterung, die Reaktion dieser Nutzerin auf ihrer eigenen Facebook-Seite und fügt hinzu: "Top integriert, diese Erdoğan-Anhängerin". Das reichte Facebook aus, um sie zu sperren.

Ähnlich erging es auch dem Satiriker Leo Fischer, einst Chef der Zeitschrift Titanic und politisch das Gegenteil von Schunke. Er wurde gesperrt, nachdem er einen Kommentar darüber veröffentlicht hatte, wie die Welt nach dem Attentat von Orlando zurück zur Tagesordnung ging. Der Kommentar war böse, aber keinesfalls justiziabel. Anfang August dann löschte Facebook ohne Ankündigung ein Video des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus e. V. über den Aufmarsch von Rechtsradikalen am 30. Juli in Berlin*. Es handelte sich, unnötig zu erwähnen, eindeutig um eine Dokumentation. Es gibt unzählige weitere Beispiele.

Bei allen gilt: Unabhängig, was man persönlich von den Inhalten, von Anabel Schunkes und Stefanie Sprengnagels Wortwahl und von Fischers Witzen halten mag, keiner der Beiträge verstieß gegen geltendes Recht. Das gilt auch für täglich ungezählte Postings, deren Verfasser nicht prominent genug sind, deren Inhalte nicht weit genug verbreitet wurden, um Proteste auszulösen, wenn sie gelöscht werden. Facebook gibt auf Anfrage zu - oder vielleicht muss man sagen: behält sich das Recht vor -, dass man Fehler mache. "Dafür entschuldigen wir uns dann bei den betroffenen Personen", schreibt die Pressesprecherin. Bei den hier erwähnten Fällen scheint es sich nach dieser Logik gerade nicht um einen Fehler zu handeln, denn Entschuldigungen gab es nicht. Wogegen Schunke und Sprengnagel, Fischer und das Jüdische Forum verstoßen haben sollen, teilt Facebook allerdings nicht mit.

Facebooks Produkt ist Öffentlichkeit. Niemals in der gesamten Geschichte der Menschheit haben mehr Menschen direkt miteinander kommuniziert als auf Facebook. Für Millionen in Deutschland und Hunderte Millionen in der ganzen Welt ist Facebook die primäre Nachrichtenquelle. Mit dieser Verantwortung geht der Konzern um, als stelle er Kugelschreiber her.

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Facebook hat Regeln erarbeitet für das Miteinander auf der Plattform. Sie heißen "Community Guide Lines" und sind in weiten Teilen vage formuliert: "Um den Bedarf, die Sicherheit und das Interesse unserer heterogenen Gemeinschaft auszubalancieren, entfernen wir vielleicht empfindliche Inhalte." Ein Facebook-Mitarbeiter kann sich in Anbetracht dieser Leitlinien dafür entscheiden, einen IS-Terroristen, der Propaganda verbreitet, zu sperren, oder auch Stefanie Sprengnagel.

Jeden Tag fällt Facebook also Urteile und bringt Menschen in der öffentlichen Debatte zum Schweigen. Für das eigentliche Sperren und Löschen hat Facebook Arvato, ein Subunternehmen von Bertelsmann, engagiert, dessen Mitarbeiter in einem Turm in der Berliner Peripherie sitzen. Kann es diesen Klick-Arbeitern überhaupt möglich sein, zwischen Satire und Nachricht zu unterscheiden, können sie Abwägungen treffen, über die selbst erfahrene Richter oft tagelang grübeln müssen?

Facebooks installiert eine Art Privatrecht

All dies würde man gerne von den Mitarbeitern selbst erfahren. Bertelsmann hat damit kein Problem. Facebook schon. Für Journalisten ist kein Zugang möglich. Die Urteile der Facebook-Mitarbeiter darüber, wer was sagen darf, fallen nicht nur ohne Öffentlichkeit, sondern auch ohne demokratisch legitimiertes Verfahren. Es handelt sich um eine Art Privatrecht. Wäre Facebook ein Staat, wäre es eine Diktatur. Die Möglichkeiten, sich ernsthaft zu wehren, sind für Nutzer begrenzt, im Grunde kaum vorhanden. Was soll man auch machen? In den USA klagen? Wegen eines gesperrten Beitrages? Wer hat das Geld und die Zeit?

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Nun kommt hinzu, dass seit September 2015 ein Arbeitskreis existiert, in dem diverse Organisationen in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium und Facebook gemeinsam "Vorschläge für den nachhaltigen und effektiven Umgang mit Hasskriminalität im Internet" erarbeiten, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt. Was "Hasskriminalität" genau ist, bleibt offen.

Falls man also erwartet hat, dass die Regierung sich auf das besinnt, wozu es sie gibt, nämlich die Durchsetzung geltenden Rechts, irrt man. Das Justizministerium trägt mit der "Taskforce" eher dazu bei, Begriffe noch weiter zu verwischen. Zwar heißt es aus dem Ministerium mittlerweile, die Grenze für Nutzer sei "dort erreicht, wo das Strafrecht greift", wo es um Inhalte ginge, "die als Volksverhetzung strafbar sind". Doch zumindest einige Mitglieder der auf Initiative von Minister Heiko Maas eingerichteten Taskforce scheinen die Grenze zwischen dem, was auf Facebook stehen bleiben darf, und dem, was gelöscht wird, anders ziehen zu wollen. Sind das Jüdische Forum, sind Schunke und Sprengnagel dieser Unschärfe zum Opfer gefallen?

Besonders sticht im Kreis der Taskforce die Amadeu-Antonio-Stiftung hervor, früher insbesondere wegen ihres engagiertenKampfes gegen Neonazis bekannt. Heute engagiert sich die steuerfinanzierte Organisation auch stark gegen "Hatespeech". Viel diskutiert und kritisiert wurde bereits, dass die Chefin der Stiftung, Anetta Kahane, als junge Frau acht Jahre Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi war, bevor sie nach ihren Angaben von selbst einen Schlussstrich unter die Spitzeltätigkeit zog und einen Ausreiseantrag stellte. Ihre Organisation hilft nun, so heißt es aus dem Ministerium, "Hasskriminalität zu identifizieren."

Bei der Stiftung arbeitet Julia Schramm als Expertin zum Thema Hatespeech. Schramm, eine ehemalige Politikerin der Piraten-Partei, ist in der Netzszene für starke Meinungen bekannt. Dass sie eine Expertin für die Eindämmung von Hass sein soll, erstaunt viele, denn sie selbst verfasste in ihrer Karriere zahlreiche Tweets voller Schimpfwörter ("verlogenes Arschloch") und radikalerer Forderungen, zum Beispiel: "Bomber-Harris Flächenbrand - Deutschland wieder Ackerland." Hat Schramm früher Hatespeech verbreitet, soll sie diese heute abschaffen. Von der Stiftung heißt es dazu, sie sei "als höchst kompetente Mitarbeiterin" geschätzt, die von ihr verfassten Tweets mit Beleidigungen, die im Netz kursierten, seien "über Jahre gesammelt" und diskreditierten Schramm "böswillig".

Das Bundesjustizministerium wie auch Facebook lehnen es ab, zu einzelnen Schlüsselpersonen in den Partnerschaften der Taskforce Stellung zu nehmen. Das Ministerium zahlt projektbezogen für deren Arbeit.

Überall nur Rechtsextreme?

In den vergangenen Tagen veröffentlichte die Amadeu-Antonio-Stiftung außerdem ihre jüngste Initiative im Netz, ein Wiki, eine Art Lexikon, zu den "Neuen Rechten". Dieser politischen Strömung werden in aller Regel Rechtsaußen-Aktivisten zugerechnet. Die Webseite der Stiftung führte allerdings auch CDU und SPD als Stichworte. Bei Kritikern verstärkte dies das Gefühl, dass die Stiftung viel zu viele Inhalte als rechtsaußen abzuqualifizieren versucht.

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Nach einem Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist das Wiki derzeit offline. Auf Nachfrage heißt es bei der Stiftung, man gehe davon aus, dass die Webseite nach einer Überarbeitung wieder online erreichbar sei. Mittlerweile ist die Amadeu-Antonio-Stiftung arg unter Druck. Eine Petition, die sich dafür einsetzt, dass der Stiftung die öffentlichen Finanzmittel gestrichen werden, erhielt innerhalb weniger Stunden mehrere Tausend Stimmen.

Schunke und anderen Menschen, die auf Facebook ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen möchten, hilft all das wenig. Nur Stunden vor dem Druck dieses Textes sperrte Facebook Schunke erneut, dieses Mal offenbar für einen scharfen Kommentar von ihr zum Burka-Verbot. Sieben Tage darf Schunke nun nichts mehr veröffentlichen.

Nahezu zeitgleich sperrte Facebook auch den Beitrag eine Imams, der Schunkes Veröffentlichung inhaltlich entgegengesetzt war: Der islamische Geistliche postete ein Bild, das Nonnen in langen Gewändern beim Baden zeigte. Offenbar wollte er darauf hinweisen, dass lange Badekleidung nicht nur im Islam existiert.

Facebook gefiel beides nicht.

*Anmerkung der Redaktion: Facebook hat mittlerweile das Video des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus e. V. wieder veröffentlicht und sich für die Löschung entschuldigt.

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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