Die Liste verbotener Technologien ist in den vergangenen Jahrzehnten immer länger geworden. Sie reicht von blindmachenden Laserwaffen, die international geächtet sind, bis zu Virtual Private Networks (VPNs), die Chinas Regierung gebannt hat. Ein VPN ist Software, mit der Menschen staatliche Internet-Blockaden umgehen können, um sich auf Webseiten aus dem Ausland zu informieren.
Josh Hawley, US-Senator aus Missouri, will sozialen Medien wie Youtube, Snapchat und Facebook nun jene Techniken verbieten, die maßgeblich zu ihrer Verbreitung beigetragen haben. "Big Tech hat sich ein Geschäftsmodell der Sucht zu eigen gemacht", erklärte der Republikaner zur Vorstellung seines Gesetzentwurfs zum Social Media Addiction Reduction Technology Act (abgekürzt SMART).
Hawley meint die "dunklen Muster", jene manipulativen Tricks, mit denen die Unternehmen versuchen, möglichst viel Zeit und Aufmerksamkeit der Menschen in ihren Apps zu binden. Deshalb will Hawley per Gesetz ran an das, was digitale Designer UX nennen: die User Experience. In sozialen Medien - Plattformen, über die Nutzer vor allem miteinander kommunizieren -, sollen laut Entwurf die folgenden Features verboten werden:
- Autoplay: Wenige Funktionen des Internets werden so gehasst. Der Nutzer kommt auf eine Seite, die prompt ein Video abspielt, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Die Technik ist so etwas wie ein böser Geist des Internets, der immer dann erscheint, wenn man am wenigsten mit ihm rechnet. Es kostet Zeit und Nerven, die Videos immer wieder auszuschalten. Autoplay hat schon viele Menschen in Arbeitsbesprechungen bloßgestellt, wenn plötzlich laute Musik aus dem Handy plärrt, während der Chef spricht. Allerdings bieten Browser und viele Netzwerke selbst schon heute die Möglichkeit, die Funktion abzustellen.
- "Endless Scrolling": Webseiten wie Instagram oder Facebook sind nie zu Ende. Wer will, kann sich mit Daumen oder Maus durch die Beiträge anderer Nutzer und Werbung scrollen, bis der Akku leer ist. Endless Scrolling gilt als einer der Gründe für die lange Zeit, die Nutzer auf den Plattformen verbringen. Tristan Harris arbeitete für Google und setzt sich heute dafür ein, Technologie zu entwickeln, die die menschliche Aufmerksamkeit nicht zerstört. Vergangenen Monat trat er vor dem US-Kongress auf und erklärte: "Wenn ich den Boden dieses Glases entferne und ich immer wieder Wasser oder Wein reinfülle, wissen Sie nicht, wann Sie aufhören sollen, zu trinken. Dasselbe passiert in unendlich scrollenden Feeds." Reza Askin, der 2006 Unternehmen in Sachen digitales Design beriet und die Technik entwickelte, schämt sich heute für seine Erfindung. Um das ewige Scrollen zu unterbinden, will Hawley auch eine Pflicht zu "natürlichen Haltepunkten" einführen. Die Anbieter sollen Nutzern nicht ungefragt noch mehr Inhalte auf ihren Bildschirm laden dürfen, wenn die schon drei Minuten gescrollt haben.
- Badges: Soziale Medien sollen Mitglieder nicht mehr mit virtuellen Trophäen dafür belohnen, dass sie mit der Plattform interagieren. Der Vorschlag zielt insbesondere auf "Snapstreaks": Nutzer von Snapchat erhalten als "Trophäe" Flammensymbole, wenn sie an drei Tagen nacheinander täglich miteinander kommuniziert haben. Diese "Gamification", die Übertragung von Konzepten aus Computerspielen auf andere Bereiche, soll Nutzer dazu bringen, den Dienst regelmäßig zu nutzen.
- Pflicht zum Zeitlimit: Anbieter sollen ihre Nutzer nach 30 Minuten rauswerfen - wenn die nicht aktiv einwilligen, länger bleiben zu wollen. Und auch wenn sie das tun: Zum Monatsersten soll das Zeitlimit immer wieder für alle Nutzer gelten, bis die es wieder aktiv ausschalten.
Hawley plant also nicht weniger als den großen Maschinensturm gegen die Social-Media-Konzerne. Die angesprochenen Funktionen, insbesondere das endlose Scrollen, gehören zu ihrer DNA. Antonio Garciá Martinez, ehemaliger Facebook-Mitarbeiter und heute ein Kritiker der Branche, verglich den Plan mit einem staatlich verordneten "Butler-Dschihad"- in Anspielung an eine Säuberungsaktion im Science-Fiction-Klassiker "Dune". In deren Zuge wird im Roman hochentwickelte künstliche Intelligenz verboten, um die Menschheit vor ihr überlegenen Robotern zu retten.
Hawley sieht soziale Medien als süchtig machende Drogen
Facebook und Google haben in den USA und Deutschland Ärger mit den Behörden, weil die ihnen schlechten Datenschutz und Monopolbildung vorwerfen. Hawley versucht dagegen, die Unternehmen zu regulieren, als würden sie starke Medikamente verkaufen. Der Senator aus Missouri vertritt die religiös-konservativen Südstaaten. Er ist gegen Abtreibung, gegen den vermeintlich verderblichen Einfluss "kosmopolitischer Eliten", und von der Waffenlobby bekommt er exzellente Noten.
Seit der 39-Jährige Anfang des Jahres als derzeit jüngster Senator ins Parlament gewählt wurde, führt er einen Kreuzzug gegen die sozialen Medien. Munition für seine These liefern ihm Tristan Harris und Co. - Aussteiger aus der Techbranche, die vor deren negativen Auswirkungen auf die Gesundheit warnen.
Das Problem: Dass soziale Medien "süchtig" machen wie Drogen - wie Hawley behauptet - ist nicht erwiesen. Die Forschung steht noch ganz am Anfang, viele dramatisch klingende Studien sind nicht aussagekräftig. Dass etwa die Nutzung sozialer Medien Depressionen auslöst, ist umstritten. Es ist ein weiter Weg von der Zersetzung der Aufmerksamkeit durch Smartphones, über die sich viele Menschen ärgern, hin zu echter Sucht.
Es gibt einige Widersprüche in Hawleys Plan. Ausgerechnet Werbevideos will er von seinem Autoplay-Verbot ausnehmen. Dabei gilt das Anzeigensystem hinter Plattformen wie Facebook vielen als das eigentliche strukturelle Problem: Die Webseiten tun alles, um die Aufmerksamkeit ihrer Besucher so lange wie möglich zu halten, um diese Aufmerksamkeit dann an Werbekunden zu verkaufen.
Allerdings hat sich auch in den marktfreundlichen USA die politische Stimmung verändert, wenn es um das Silicon Valley geht. Einst feierten Demokraten die sozialen Medien als Werkzeuge der Freiheit gegen Unterdrücker von Ägypten bis China. Republikaner erklärten die Konzerne zur neuesten Reinkarnation des amerikanischen Unternehmergeistes. Doch jetzt herrscht der "Techlash" - der Widerstand gegen die hyper-erfolgreichen Konzerne, die immer tiefer in Gesellschaft und Politik vordringen. Die Fronten zwischen Republikanern und Demokraten mögen unter der Präsidentschaft von Donald Trump so verhärtet sein wie lange nicht mehr, aber mit dem Silicon Valley haben sie einen gemeinsamen Blitzableiter gefunden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Die Demokraten stehen immer noch unter Schock, dass Donald Trump und seine Anhänger die Netzwerke erfolgreich zur Hassmaschine gegen Einwanderer und das liberale Amerika gemacht haben. Analytischer kann man sagen: Die Rechten haben die sozialen Medien besser verstanden. Umso ironischer, dass auch die Republikaner sich auf die Konzerne eingeschossen haben. Sie stellen sich gerne als Opfer angeblicher Zensur von Twitter und Facebook hin. Dass Hawleys republikanische Kollegen seinen Vorschlag eines Zeitlimits mittragen, ist unwahrscheinlich. Der würde auch dazu führen, dass Nutzern nach einer halben Stunde der Zugang zu Nachrichten - und Propaganda - abgedreht wird.
Als Oberstaatsanwalt von Missouri machte Hawley sich unter anderem einen Namen, indem er die großen Hersteller von Opioiden verklagte, jenen Schmerzmitteln, die schwer süchtig machen. Deren verheerende Auswirkungen, insbesondere in den armen Gegenden der USA, sind im Gegensatz zu denen sozialer Medien allerdings unbestritten.