Jugendmedizin:Kinder, die auf Handys starren

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Comics, Fernsehen, Gameboys, Computerspiele - sie alle galten eins als gefährlich. Sind Smartphones wirklich so viel anders?

(Foto: AFP; Bearbeitung SZ)
  • Die Dauernutzung digitaler Geräte kann mit Depressionen und Ängstlichkeit einhergehen. Mehrere Studien haben einen solchen Zusammenhang gezeigt.
  • Oft haben junge Menschen bereits seelische Probleme oder eine Veranlagung für depressive Verstimmungen und Ängstlichkeit, wenn sie massiv in die Online-Welt abtauchen.
  • Wer sich aber permanent hinter dem Bildschirm versteckt, riskiert die Isolation im echten Leben.

Von Berit Uhlmann

Zwei Stunden braucht die 17-Jährige jeden Morgen, ehe sie ihr Zimmer verlassen kann. Zunächst befolgt die junge Frau ein intensives Schminkritual, dann fotografiert sie das Ergebnis, postet die Bilder in sozialen Netzwerken und wartet gebannt, bis sie eine ganz bestimmte Anzahl positiver Rückmeldungen bekommt.

Erst mit diesen Likes im Rücken fühlt sie sich wohl und sicher genug, um herauszutreten in das sogenannte echte Leben. Solche Fälle werfen komplizierte Fragen auf: Wo verläuft bei all dem Gepose und Geposte die Grenze zwischen normal und problematisch? Was macht es mit der Psyche der Jugendlichen, wenn ihre Beziehungen zur Welt immer stärker durch einen handtellergroßen Bildschirm bestimmt werden?

"Man erringt schnell Siege oder bekommt sofort positives soziales Feedback."

Mit Sicherheit kann niemand diese Fragen beantworten. Doch sie stellen sich immer drängender. Denn während Wissenschaftler und Ärzte noch diskutieren, ob es tatsächlich eine Internetsucht gibt, machen sie bereits weitere beunruhigende Entdeckungen: Die Dauernutzung der digitalen Geräte kann mit Depressionen und Ängstlichkeit einhergehen. Mehrere Studien haben einen solchen Zusammenhang gezeigt.

Auch eine Umfrage des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Auftrag der Krankenkasse DAK deutet auf das Phänomen hin: Während etwa acht Prozent aller befragten Jugendlichen depressive Züge offenbarten, war unter den Teenagern mit problematischem Mediengebrauch etwa jeder Dritte betroffen. Nur lässt sich aus solchen Beobachtungen nicht ersehen, was Ursache und was Wirkung ist. Aus der praktischen Erfahrung heraus hält Rainer Thomasius, Direktor des Zentrums und Autor der DAK-Studie, beide Richtungen für möglich.

Oft haben junge Menschen bereits seelische Probleme oder eine Veranlagung für depressive Verstimmungen und Ängstlichkeit, wenn sie so massiv in die Online-Welt abtauchen wie das junge Mädchen mit der Fixierung auf Likes, dessen Fall Thomasius erlebt hat. Auch Tagrid Leménager, Leiterin der Arbeitsgruppe Verhaltenssüchte am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, kennt solche Fluchten: Gerade Teenager, die leicht das Gefühl bekommen: "Ich bin nicht so beliebt", "Ich mache alles falsch", "Ich sehe nicht so gut aus", finden im Internet rasche Lösungen. "Man erringt schnell Siege oder bekommt sofort positives soziales Feedback im Computerspiel oder auf einem sozialen Netzwerk wie Instagram." Doch die Selbstwertprobleme, die Diskrepanz zwischen überhöhten Erwartung an sich selbst und der Realität bleiben bestehen - und können sogar noch wachsen.

Wer sich aber permanent hinter dem Bildschirm versteckt, riskiert die Isolation im echten Leben. In der DAK-Studie gaben immerhin acht Prozent der Jugendlichen an, ihre Kontakte ausschließlich über soziale Medien zu pflegen. Psychologen gehen jedoch davon aus, dass Jugendliche die altmodischen analogen Erfahrungen brauchen, um auch schwierige Situationen zu meistern: Reale Kontakte knüpfen, spontan kommunizieren und soziale Unsicherheiten abbauen, Nähe und Distanz regulieren oder auch mal kritischen Blicken standzuhalten - das alles lernt man eher nicht in der virtuellen Welt. Wenn aber dieses Rüstzeug fehlt, können Ängste und Depressionen noch verstärkt werden, sagt Tagrid Leménager.

Die Dauernutzung kann auch profanere, aber nicht minder einflussreiche Folgen haben. Schlafmangel ist als Risikofaktor für Depressionen bekannt. Dass die permanenten Verlockungen des Smartphones zu gestörter Nachtruhe führen können, gilt als sehr wahrscheinlich. Das stetige Starren auf den Bildschirm begünstigt zudem Probleme mit den Eltern oder in der Schule, sagt Thomasius. Auch diese täglichen Reibereien können depressive Verstimmungen fördern.

Jugendliche in einer Krise können natürlich auch von Online-Angeboten profitieren

Als weiterer riskanter Einfluss auf die Psyche der Jugendlichen wird Cyberbullying diskutiert. Dass Kinder und Jugendliche gehänselt werden, ist kein exklusives Online-Phänomen. Beunruhigend aber ist die Beobachtung, dass die Opfer des Internetmobbings bisweilen an Suizid und Selbstverletzungen denken - Verhaltensweisen, für die es im Netz sehr viel mehr Unterstützung gibt als auf einem Pausenhof. Forscher haben Gruppen in sozialen Netzwerken dokumentiert, in denen selbstschädigendes Verhalten glorifiziert wird. Sie fanden Foren, in denen Verzweifelte ermuntert werden, Suizidgedanken in die Tat umzusetzen. Sie entdeckten Tausende Videos, in denen junge Menschen Narben, die sie sich selbst zugefügt hatten, in die Kameras halten.

Während manche Betrachter von solchen Aufnahmen abgeschreckt werden, weckten sie bei einigen eine Art Wettbewerbsgeist, warnten britische Wissenschaftler im vergangenen Jahr in einem Überblicksartikel. Zugleich stellten die Mediziner fest, dass Jugendliche in einer Krise auch von ihrem Gang ins Internet profitieren können. Die Kids finden dann Verständnis für ihre Not, Trost und Informationen über therapeutische Angebote.

Andere Experten gehen ebenfalls davon aus, dass digitale Medien auch hilfreich für die seelische Entwicklung von Heranwachsenden sein können. Die Zerstreuung, die sie bieten, kann unter Umständen bei der Stressbewältigung helfen. Humor in den Netzwerken mag die Stimmung heben. Wenn die vielen Kommunikationsmöglichkeiten reale Kontakte nicht ersetzen, schreiben US-Kinder- und Jugendärzte im Fachmagazin Pediatrics, können sie Freundschaften festigen - und so die Psyche stärken.

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