Munic Economic Debates:"Viele Leute sind erschöpft"

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Herfried Münkler macht sich keine Illusionen darüber, wie reformfreudig die Deutschen sind. (Foto: Christoph Hardt/Imago)

Politik-Professor Herfried Münkler ist sicher: Bei der Wahl geht es weniger um Ökologie - sondern um die wirtschaftliche Erholung.

Von Marc Beise

Ein bisschen hat sich Herfried Münkler, 69, darüber gewundert, dass ausgerechnet er als Redner zu den Munich Economic Debates von Ifo-Institut und SZ-Wirtschaftsredaktion eingeladen wurde. Zwar ist der emeritierte Politik-Professor der Humboldt-Universität in Berlin weit über sein Fach hinaus bekannt, er hat etliche Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler promoviert und habilitiert, seine Bücher zum Beispiel über Deutschlands Rolle in verschiedenen Jahrhunderten werden regelmäßig Bestseller und in viele Sprachen übersetzt - aber Ökonomen, sagt er, würden ja doch ganz anders arbeiten anders als Politikwissenschaftler: Sie hätten riesige Zahlenmengen zur Verfügung, die sie auswerten könnten und die ihnen einen Blick in die Zukunft ermöglichten. Seine Zunft dagegen müsse sich eher mit Szenarien begnügen: Wenn das, dann dies.

Die Münchner Ökonomen allerdings hatten damit gar kein Problem, wollten sie von dem erfahrenen Politikbeobachter doch wissen, was er für die Bundestagswahl und danach erwartet. Wohlan: Parteipolitisch ist Münkler ziemlich sicher, dass es entweder zu einer grün-rot-gelben Koalition kommt - wobei es aufgrund der aktuellen Baerbock-Probleme nicht mehr sicher sei, dass die Grünen in dieser Konstellation die Kanzlerin stellen würden, gut möglich sei es immer noch. Oder, noch wahrscheinlicher, sieht der langjährige Politikbeobachter Münkler eine schwarz-grüne Koalition, bei der die Grünen dann aber mit ziemlicher Sicherheit nur Juniorpartner wären. Immerhin haben sie für Münkler erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik das Potenzial, die Koalitionsfrage zu entscheiden, wofür bisher vor allem die FDP bekannt war.

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Vom konkreten Ergebnis der Wahl hängt natürlich auch ab, wie die Wirtschaftspolitik in der Nach-Merkel-Ära aussehen wird. Für Münkler gibt es vier große Herausforderungen: Neben der Rückkehr zur alten wirtschaftlichen Stärke von vor Corona sind das der ökologische Umbau des Landes, die Digitalisierung und der soziale Ausgleich, der durch diese Veränderungen notwendig wird.

Wissenschaftlich und technisch müssen Deutschland und Europa aufholen, sagt Münkler - das sei Bedingung für alles Weitere

Inhaltlich sind alle vier Felder entscheidend wichtig - für Münkler ist es vor allem die Frage, ob Deutschland und Europa in der digitalen Schicksalsfrage zu den USA und China aufschließen. Beim wissenschaftlichen und technischen Umbruch erfolgreich dabei zu sein, sei Voraussetzung, um die drei anderen Ziele zu erreichen: Das könne erkennen, wer langfristig und strategisch denke. Nur sei es halt so, konstatierte Münkler, dass viele Bürger eben nicht so denken, sondern eher ihre persönlichen Bedürfnisse zum Leitthema machen würden. Er ist deshalb ziemlich sicher, auch wenn manche Meinungsumfrage zur Zeit noch anderes suggeriere, dass es vielen Wählerinnen und Wählern am Ende vor allem um die Frage geht, ob und wie die Rückkehr zu dem alten Wohlstandsniveau gelingt.

Dieses Thema wird seiner Meinung nach in der heißen Phase des Wahlkampfes im September massiv in den Vordergrund rücken und könnte letztlich die Wahl entscheiden. "Viele Leute sind erschöpft", sagt Münkler, und sie wollen deshalb in die Normalität zurückkehren und nicht zuvorderst die ökologische Erneuerung und die digitale Aufholjagd schultern.

In der anschließenden Diskussion ging es sehr stark um China und seine Bedeutung. Für Münkler ist es klar, dass China und USA die zentralen Führungsländer der Gegenwart sind, gefolgt von Russland (wegen seiner auf Atomwaffen fußenden militärischen Macht), Europa sieht er, bestenfalls, auf Platz 4 vor Indien. Diese Staaten in der Spitzengruppe werden sich Koalitionspartner in der zweiten Reihe suchen, militärisch und strategisch. So sieht man es derzeit im Bereich der weltweiten Impfstoff-Versorgung, wo für Münkler die EU ihre Chancen nicht genutzt hat. In der Zukunft werden international Machtkämpfe und -spiele eine wesentlich größere Rolle spielt als früher, als immer mehr Regelsetzung die Macht eingrenzen sollte.

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