Finanzaufsicht:Wie groß ist das Versagen der Bafin im Fall Wirecard?

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Seit Wochen ergießen sich Spott und Häme über die deutsche Finanzaufsicht. Die beharrt darauf, keinen Fehler gemacht zu haben - aber stimmt das?

Von Meike Schreiber, Jan Willmroth und Markus Zydra, Frankfurt

Die wichtigste deutsche Finanzaufsichtsbehörde Bafin hat es zu zweifelhafter Prominenz gebracht. Die Satirezeitschrift Titanic widmete der Behörde nach Bekanntwerden des Wirecard-Skandals vier Seiten Häme unter dem Titel "Porträt einer mysteriösen Behörde" liest man, dass im Fokus der Behörde die Verbraucher stünden, "vor allem die des Bürokaffees und des Konferenzgebäcks". Auch der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold gab sich spöttisch und rief die Menschen öffentlich dazu auf, Fälle einzuschicken, bei denen die Finanzaufsicht seit 2007 versagt hatte. So kamen 71 Skandale zusammen - von der Pleitebank WestLB über den Libor-Skandal um manipulierte Leitzinssätze bis hin zum Fall der Finanzfirma P&R, die Anlegern Schiffscontainer verkauft hat, die es gar nicht gab.

So weit ist es also gekommen im Umgang mit einer Behörde, die das deutsche Finanzsystem überwachen soll. Wie groß ist das Versagen der Bafin im Fall Wirecard? Ihr Chef sagt mal so, mal so. Mitte Juni, an dem Tag, als sich das Finanzloch bei Wirecard nicht mehr leugnen ließ, wirkte Bafin-Präsident Felix Hufeld noch zerknirscht. Er sprach auf einer Veranstaltung von einer "Schande" und räumte die Verantwortung verschiedener Institutionen ein, "inklusiver meiner eigenen". Doch von Hufelds Selbstkritik ist seither nicht mehr viel zu spüren. Der Behördenchef rechtfertigt sich nun damit, dass die geltenden Gesetze der Bafin Fesseln anlegen würden. Man hätte gegenüber Wirecard gar nicht anders handeln dürfen. Im Editorial des Bafin-Journal aus dem Juli liest sich das folgendermaßen: "In einem Rechtsstaat handelt eine Behörde, wenn sie außerhalb ihrer gesetzlichen Grundlagen agiert, nicht engagiert, sondern rechtswidrig."

Bafin im Fall Wirecard
:"Nicht bissig genug"

Die Finanzaufsicht Bafin und ihr Chef Felix Hufeld geraten immer stärker unter Druck: Auch Mitarbeiter der Abteilung für Marktüberwachung haben mit Aktien des Skandalunternehmens gehandelt.

Von Markus Zydra

Doch Engagement muss nicht notwendigerweise in der Rechtswidrigkeit enden. Vielleicht hätte die Bafin mithelfen sollen, dass wenigstens eine deutsche Behörde ein Auge auf Wirecard wirft, immerhin ein Konzern, der in jedem Fall etwas mit Finanzen und Geld zu tun hatte und an der Börse bis zu 24 Milliarden Euro wert war. Die Bafin sah sich nur für die Wirecard Bank zuständig. Den Dach-Konzern, die Wirecard AG, sollten die Kollegen der Bezirksregierung in Niederbayern übernehmen.

Ja, Niederbayern. Willkommen im deutschen Geldwäschegesetz. Die Bundesländer, und dort meist die Regierungspräsidien oder Gewerbeämter, sollen komplizierte Transaktionen von den Finanzunternehmen überwachen, für deren Aufsicht die Bafin nicht zuständig ist.

In Niederbayern war man unsicher. Anfangs bejahte man die Zuständigkeit, später nahm man diese Einschätzung zurück und richtete die ausdrückliche Bitte an die Bafin, man möge dem kleinen Aufsichtsbruder in Niederbayern doch bitte "eine abschließende Einschätzung" in der Causa: Sind wir zuständig? Das war der Zeitpunkt, an dem die Bafin mit Engagement den verzweifelten Kollegen einen Rat hätte geben können. Doch die Bundesbehörde teilte mit: Sie könne keine Aussage zu einer Landeszuständigkeit treffen, wie man in der Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Kleine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi nachlesen kann. Man getraute sich also noch nicht einmal, eine Meinung zu äußern.

So zahnlos ist die Bafin nach Meinung von Experten gar nicht

Das Silo-Denken prägt die Bafin schon lange. Vor der Finanzkrise 2008 übersah die Behörde die wachsenden Risiken der außerbilanziellen Geschäfte. Im Fall der IKB äußerte hernach sogar der Bundesrechnungshof Verwunderung, dass der damalige Bafin-Chef Jochen Sanio über die Jahre nichts zu beanstanden gehabt habe. Auch Sanio berief sich damals, wie Hufeld heute, auf die Rechtslage. Nach der Finanzkrise, als allen voran die US-Behörden die Banken zu Milliardenstrafen verdonnerten, wirkte die Bafin lange eher zahnlos. Hufeld und Kollegen ließen durchblicken, dass sie gerne höhere Strafen verhängen würden, doch die Gesetze in Deutschland erlaubten nur überschaubare Bußgelder.

Doch so zahnlos ist die Bafin nach Meinung von Experten gar nicht. Die Behörde schöpfe ihre Rechte viel zu selten aus. Ein früherer Bankenaufseher sagte der SZ, dass die Bafin beim Wirecard-Konzern ihr Prüfungsrecht hätte nutzen müssen. Anhaltspunkte habe es genug gegeben, allein schon wegen der vielen kritischen Berichte zu unsolider Bilanzierung und Scheingeschäften über Wirecard in der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times. Doch stattdessen zeigte die Bafin Journalisten der Zeitung Financial Times wegen des Verdachts der Marktmanipulation an. Hufeld hält diese Maßnahme zu dem Zeitpunkt auch rückblickend für richtig.

Das Beharren des Behördenchefs darauf, keinen Fehler gemacht zu haben - soll das vielleicht eine Amtshaftungsklage seitens der Aktionäre erschweren? Aus Sicht der Kanzlei Tilp hat die Finanzaufsicht "zumindest leichtfertig" ihre gesetzlichen Pflichten zur Aufklärung von Marktmanipulationen bei Wirecard und zur vollständigen Information der Öffentlichkeit und des Kapitalmarktes verletzt.

Nun soll die Bafin reformiert werden, Unternehmensberatungen, Wissenschaftler und Zivilorganisationen sollen bis Ende November Empfehlungen vorlegen. Silvia Schmitten-Walgenbach, Vorsitzende des Verbands der Auslandsbanken - dessen Mitglieder teils viel Geld mit Krediten an Wirecard verloren haben - schlägt vor, dass zum Beispiel ein kleiner Kreis an Ruheständlern aus der Praxis die Bafin punktuell beraten soll. Damit habe man in Großbritannien und Schweden gute Erfahrungen gemacht.

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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