Bilanzskandal:Anklage gegen Ex-Wirecard-Chef steht bevor

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Markus Braun sitzt seit eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft - wegen anhaltender Flucht- und Verdunkelungsgefahr. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Staatsanwaltschaft will in den nächsten drei Monaten ihre Vorwürfe gegen Markus Braun präsentieren. Der Ex-Wirecard-Chef, der alles abstreitet, muss sich auf einen Prozess einstellen, der mit einer langen Haftstrafe enden könnte.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt, München

Seit fast eineinhalb Jahren sitzt Markus Braun nun schon im Gefängnis in Augsburg-Gablingen ein - in Untersuchungshaft. In dieser Zeit hat der frühere Vorstandschef des Skandalkonzerns Wirecard viele Akten zu lesen bekommen: Dokumente, Schriftstücke und Zeugenaussagen. Weniges von dem, was die Ermittler über die Zeit zusammengetragen haben, dürfte ihm gefallen haben. Doch das alles scheint nichts zu sein, gegen das Schriftstück, das er wohl in den nächsten Monaten zu lesen bekommen wird: eine Anklage gegen ihn und andere frühere Konzernmanager wegen des Verdachts schwerer Wirtschaftsstraftaten.

Die Staatsanwaltschaft München I will spätestens im März die erste Anklage in Sachen Wirecard erheben. Zusammen mit Braun soll auch der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, der frühere Wirecard-Manager Oliver B., vor Gericht kommen. Und vermutlich noch ein ehemaliger Finanzmanager des Zahlungsdienstleisters, jener Firma, die Mitte 2020 krachend pleiteging, weil sich ein angebliches Konzernvermögen in Höhe von fast zwei Milliarden Euro als Fälschung erwies. Aktionäre und Banken verloren mehr als 20 Milliarden Euro.

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Derjenige, der den mutmaßlichen Lug und Betrug nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zusammen mit Braun gesteuert haben soll, ist allerdings weiter auf der Flucht: Ex-Vorstand Jan Marsalek. Der absehbare Prozess beim Landgericht München I gegen Braun und andere muss also vermutlich ohne ihn beginnen. Es zeichnet sich ein langer Prozess ab. Vermutliche Dauer: ein Jahr und mehr.

Braun, der von vielen Aktionären als Visionär gefeiert wurde, streitet weiterhin alle Anschuldigungen ab. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn der Bilanzfälschung, des bandenmäßigen Betrugs in Milliardenhöhe, der Manipulation des Aktienkurses von Wirecard sowie der Veruntreuung von Konzernvermögen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro. Der Ex-Konzernchef hatte in seinen Vernehmungen im Dezember 2020 immer wieder seine Unschuld beteuert. Wirecard sei hinter seinem Rücken ausgeraubt worden. Braun wäre nach seiner Version Opfer - nicht Täter.

Braun muss weiterhin in U-Haft bleiben

Das sehen jedoch weder die Staatsanwaltschaft noch die Justiz so. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat erst kürzlich entschieden, dass Braun weiter in U-Haft bleiben muss - wegen anhaltender Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Angesichts der schweren Vorwürfe und der Dimension des Fall sei auch die außergewöhnlich lange U-Haft gerechtfertigt. Das OLG drängt jetzt aber auf eine rasche Anklage. Die Staatsanwaltschaft arbeitet seit Wochen an der Anklageschrift, die wahrscheinlich etliche hundert Seiten umfassen wird, gilt es doch, einen einzigartigen Skandal zu beschreiben.

Wirecard ist der erste und bislang einzige Konzern aus dem Deutschen Aktienindex (Dax), der Pleite ging. Braun und andere Beschuldigte sollen Geschäfte mit sogenannten Drittpartnern in Asien erfunden und so die Aktionäre getäuscht und die Banken und Investoren, die Wirecard mehr als drei Milliarden Euro gaben, betrogen haben. Das glaubt zumindest die Staatsanwaltschaft. Braun und sein Verteidiger Alfred Dierlamm weisen diese Anschuldigungen dagegen zurück. Sie behaupten, das sogenannte Drittpartnergeschäft habe es weitgehend gegeben. Die Erlöse seien ohne Wissen und Zutun des Vorstandschefs von Marsalek und einigen Getreuen beiseite geschafft worden. So steht es in Dierlamms Schriftsatz zur Haftprüfung im Dezember.

Das OLG München hat diese Tatversion der Verteidigung jedoch zerpflückt. Aus Sicht des Gerichts gibt es keine Indizien dafür, dass das Drittpartnergeschäft überhaupt jemals bestand. Es schenkt damit den Aussagen des Kronzeugen Oliver B., der Braun und andere schwer belastet, weiter Glauben. B. war jahrelang Statthalter von Wirecard in Dubai am Persischen Golf. Nach der Konzernpleite stellte sich B. der Staatsanwaltschaft, legte ein Geständnis ab und sagte in zahlreichen Vernehmungen gegen Braun und andere Konzernmanager aus. B. sitzt ebenfalls in Untersuchungshaft.

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Die bisherigen Entscheidungen des OLG München zu Brauns U-Haft lassen den Schluss zu, dass der Ex-Konzernchef im anstehenden Prozess gegen ihn keinen leichten Stand haben dürfte. Das Gericht verwies unter anderem auf die Zeugenaussage einer Konzernjuristin, wonach Braun regelmäßig Ziele vorgegeben habe, die sich weniger an den wirklichen Unternehmenszahlen, sondern an den Wünschen der Investoren orientiert hätten.

Ein anderer Konzernmitarbeiter hat bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, bei ihm habe sich Ende 2018 das Bauchgefühl eingestellt, die Zahlen seien frisiert. Braun habe 25 bis 30 Prozent Wachstum vorgegeben. Man habe die Uhr danach stellen können, dass dies immer erreicht worden sei. Das OLG München verwies bei seinen Haftentscheidungen gegen Braun auch auf diese Zeugenaussage. Der Zeuge hatte weiter ausgesagt, er habe es als absurd empfunden, dass solche Werte erreicht worden seien, obwohl Wirecard intern so schlecht aufgestellt gewesen sei.

Nach Ansicht des OLG belastet auch ein Manager der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG mit seiner Zeugenaussage Braun schwer. Das betrifft den Verdacht, der Konzernchef habe die Aktionäre falsch informiert und so den Börsenkurs manipuliert. Die KPMG war bei einer Sonderuntersuchung der Wirecard-Geschäfte auf zahlreiche Ungereimtheiten gestoßen. Das war der Anfang vom Ende des Konzerns gewesen.

In Anbetracht des Schadens, den der Ex-Konzernchef verursacht haben soll, droht ihm nach Einschätzung des OLG eine erhebliche Gefängnisstrafe. Braun hingegen beteuert seine Unschuld. Bei seinen Vernehmungen vor einem Jahr hat er sich den Protokollen zufolge vom heutigen Kronzeugen der Staatsanwaltschaft deutlich distanziert. Bereits ein halbes Jahr vor der Pleite sei geplant gewesen, dass Oliver B. und andere Personen entlassen werden sollten.

Braun sagte weiter aus, es sei ebenfalls klar gewesen, dass seinem Vorstandskollegen Marsalek dessen Verantwortungsbereich weggenommen werden solle. Marsalek war unter anderem für das Asien- und das sogenannte Drittpartnergeschäft zuständig gewesen. Braun sprach damals bereits von Schattenstrukturen, mit denen er hintergangen worden sei. Und sinngemäß davon, dass er den Feind im eigenen Haus nicht gesehen habe.

Braun hofft offenbar immer noch, mit seinen Einwänden gegen die Anschuldigungen einer Anklage entgehen zu können, trotz der Abfuhr beim OLG München. Eine Sprecher Brauns erklärte am Sonntag, jetzt hektisch eine "Anklage um der Anklage willen" zu basteln wäre "sicher der falsche Weg". Den Vorwurf, es habe seit 2015 kein Drittpartnergeschäft gegeben, "betrachtet die Verteidigung durch Kontoauszüge und dokumentierte Zahlungsflüsse nämlich als widerlegt". Braun sei als Hauptaktionär von Wirecard "auch Hauptgeschädigter einer hinter seinem Rücken aufgebauten Schattenstruktur", von der er nichts gewusst und von der er auch nicht profitiert habe, so Brauns Sprecher.

Die Staatsanwaltschaft hingegen dürfte sich durch die Haltung der OLG München in ihrer Absicht bestärkt fühlen, bald eine Anklage Braun und weitere Beschuldigte vorzulegen. Das würde dann bestimmt auch zu einem Prozess führen. Im kommenden Jahr wird der frühere Wirecard-Chef also voraussichtlich die Gelegenheit bekommen, seine Version auch öffentlich zu erzählen - vor Gericht.

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