Im fünften Jahr seines Asyls in der ecuadorianischen Botschaft dürfte Julian Assange klar geworden sein, dass er auch von der Regierung von Donald Trump keinerlei Gnade erwarten darf. 2017 nannte der damalige CIA-Chef Mike Pompeo den Wikileaks-Gründer einen "Narzissten, der nichts von Wert geschaffen hat", einen "Feigling, der sich hinter einem Bildschirm versteckt." Wikileaks sei ein "feindlicher, nicht-staatlicher Geheimdienst" - die wohl brutalste Einstufung, die ein Geheimdienstchef einer einzelnen Webseite zuschreiben kann.
Das stand im Widerspruch zu dem, was Pompeos jetziger Chef Donald Trump nicht einmal ein Jahr zuvor im Wahlkampf ausgerufen hatte: "I love Wikileaks!". Assanges Whistleblower-Seite hatte interne E-Mails der Demokraten veröffentlicht, US-Medien deren Inhalt bereitwillig weiterverbreitet, was Trumps Gegnerin in die Bredouille brachte: die Demokratin Hillary Clinton.
Deren Anhängern galt Assange, der an diesem Donenrstag in London verhaftet wurde, seitdem als russische Marionette. Viele Fachleute halten es für wahrscheinlich, dass eine Einheit des russischen Geheimdienstes hinter dem Hack steht. US-Geheimdienste haben erklärt, dass der russische Geheimdienst GRU die E-Mails über Umwege an Wikileaks gab. Assange bestreitet, dass der russische Staat ihm die Dokumente gegeben hat.
Fest steht aber, dass Julian Assange, laut New Yorker ein "Mann ohne Land", die Welt auch noch aus seiner Notunterkunft in London erschüttern konnte. Seine Verbindungen zur Außenwelt bestanden aus Besuchen von Hacker-Kollegen, von seiner Unterstützerin Pamela Anderson - und dem Wikileaks-Twitter-Account mit 5,4 Millionen Followern, zu dem er zumindest zeitweise Zugang hatte. Assange kann auf ein engagiertes und teils unbekanntes Team, weltweite Unterstützer und in den Anfangsjahren der Organisation eingerichtete verschlüsselte Kommunikation zurückgreifen. Auch die Verstärker-Funktion größerer Medien nach Leaks half dabei, dass Wikileaks relevant blieb. Nachdem Ecuador Assange 2018 zwischenzeitlich den Internet-Zugang gesperrt hatte, wurde der isländische Jorunalist Kristinn Hrafnsson zum Chefredakteur. Assange blieb als Herausgeber aber wohl der wichtigste Entscheider.
Staatsfeind der USA
Über den Twitteraccount verteilte Assange nicht nur Attacken an seine Gegner und verschwörungstheoretischen Unfug, sondern auch weiterhin große Leaks. Die Webseite machte weiter, obwohl Kreditkartenfirmen schon vor Jahren versucht hatten, sie von Geldflüssen abzuschneiden. Amazon hatte seinen Cloud-Dienst AWS 2010 für Wiklieaks gesperrt, weil die Veröffentlichung von US-Botschaftsdepeschen Menschen gefährde, deren Namen in den Dokumenten auftauchten. Dass die US-Regierung offensichtlich erfolgreich Druck auf Konzerne ausüben konnte, galt Assange als Beweis für deren Allmacht. "Wenn Putin loszieht, um eine Cola zu kaufen, ist das 30 Sekunden später in Washington bekannt", sagte er 2012 in einem Interviewband "Cypherpunks".
Der Zorn von CIA-Chef Pompeo bezog sich auf die Dokumente, die Wikileaks unter dem Namen " Vault 7" im März 2017 ins Netz gestellt hatte. Die Veröffentlichung einer Sammlung von Hacking-Werkzeugen war eine beispiellose Blamage für den Geheimdienst. Die Enthüllung zeigte IT-Fachleuten auf der ganzen Welt, wie die CIA Geheimwissen über Schwachstellen in Software und Hardware hortete und so auch die Sicherheit Unbeteiligter gefährdete. Denn wenn die CIA einen Angriffswinkel kennt und ihn dem Hersteller nicht meldet, dann steht er potentiell auch anderen Geheimdiensten und Kriminellen offen. Den Dokumenten zufolge konnte der Geheimdienst eine Zeit lang in Apples iPhones eindringen. Ein ehemaliger Programmierer der CIA wurde später verhaftet, weil er die Dokumente nach draußen geschmuggelt haben soll.
Assange gilt den USA also als Staatsfeind. Nun liegt den britischen Behörden ein Auslieferungsantrag der Vereinigten Staaten vor, weil Assange mitgeholfen haben soll, als Chelsea Manning 2010 Dokumente von Armee und Diplomaten kopierte und Wikileaks zuspielte. Manning saß dafür bis 2017 im Gefängnis.
Die folgenreichste Wikileaks-Veröffentlichung der vergangenen Jahre waren sicherlich die internen E-Mails der US-Demokraten - mitten im US-Wahlkampf. Sie legten Grabenkämpfe innerhalb der Partei offen und dürften Clintons Kampagne zumindest nicht geholfen haben. Trumps ehemaliger Anwalt, Michael Cohen sagte vor dem US-Kongress aus, dass Trump über den Mittelsmann Roger Stone von Assanges Plan, Dokumente zu veröffentlichen, gewusst habe.
Unkommentiert blieben die Veröffentlichungen nie
Da viele Details seines Lebens in der Botschaft im russischen Staatssender RT ausgebreitet wurde, verdächtigten Assanges Gegner ihn, gezielt Ping-Pong mit der russischen Staatspropaganda zu spielen. Die italienische Reporterin Stefania Maurizi, die mit Wikileaks zusammengearbeitet hat und zu Assanges Unterstützern zählt, argumentiert, dass Assange nicht aktiv an seiner Instrumentalisierung mitarbeite: "Russland nimmt Assange als eine Art westlichen Dissidenten wahr. Das Land liebt die Idee, dass es "westliche Dissidenten" gibt und nervt den Westen mit Freude, indem es sicherstellt, dass über Assange und seine Organisation breit berichtet wird."
Der Kampf gegen das amerikanisch geführte "Imperium" ist so etwas wie Assanges Lebensthema. In seinen Jahren in der Botschaft wurde in seinen Twitter-Nachrichten mehr und mehr deutlich, dass seine Vorbehalte gegen Autokraten noch übertroffen werden von seinem Hass auf die "Liberals" der westlichen Politik, die gesellschaftspolitisch progressiven Wirtschaftsliberalen. An den meisten weltpolitischen Desastern ist in seinen Augen ein Komplex schuld aus US-Demokraten, den Nicht-Trumpisten unter den Republikanern, aus außenpolitischen Thinktanks, US-Armee und Konzernen wie Google, mit denen die Obama-Regierung schmuste. Die wütende Reaktion der US-Demokraten auf die Leaks im Wahlkampf dürfte ihn in dieser Überzeugung nur bestärkt haben.
Wikileaks mag seine Dokumente anders als klassische Medien ohne Auswahl und Gewichtung veröffentlichen, unkommentiert blieben die Veröffentlichungen dennoch nie. Aus deutscher Sicht wichtig: Die Veröffentlichung von 90 Gigabyte aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Zusammenarbeit von BND und NSA. Sie wurde 2016 per Pressemitteilung verkündet, die auf die Highlights hinwies.
Auch aus der ecuadorianischen Botschaft heraus erklärte Assange noch die Welt, selbst wenn der Anlass auf den ersten Blick ein eher historisches Thema war. 2016 veröffentlichte Wikileaks Depeschen aus dem Jahr 1979, als noch Jimmy Carter in Washington regierte. Assange erklärte er es zum "Jahr Null der modernen Ära". Die iranische Revolution, Saudi-Arabiens endgültige Hinwendung zum Wahhabismus, die CIA-Unterstützung der afghanischen Mudschahedin, und damit auch der 11. September und alle Kriege in Nahost, die ihm folgten, hätten hier ihren Ursprung. Das ist die Assangesche Weltformel.
Wikileaks' Strategie blieb in der Kritik: Die Organisation veröffentliche unübersichtliche Mengen von Dokumenten gleichzeitig, und füttere Medien mit einer "Anleitung", wie diese zu lesen seien. Das sei sowohl im Fall des CIA-Leaks als auch der E-Mails aus der türkischen Regierungspartei AKP der Fall gewesen, analysierte die Soziologin Zeynep Tufekci in der New York Times. Wikileaks verpasse ihnen jedoch mit Assanges Kommentaren einen eigenen "Spin". Genau das warf Assange den traditionellen Medien oft vor.